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Interview mit Peer Steinbrück: „Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage“

SPD-Kanzlerkandidat Peer Steinbrück über das Einkommen von Politikern, seine Pläne für das Bundestagswahljahr 2013 – und warum er auch in Zukunft kein Blatt vor den Mund nehmen will.

Von Antje Sirleschtov

Herr Steinbrück, erklären Sie bitte, was in Ihren Augen ein Tugendwächter ist?

Das ist jemand mit einem sehr rigiden Moralmaßstab, an dem er andere misst, sich selbst aber nicht immer dran hält.

Sie sprechen im Zusammenhang mit Politikergehältern von Tugendwächtern, die eine groteske und für das politische Engagement schädliche Debatte führen. Wo sehen Sie diese Debatte?

Mir geht es darum, dass viele gute Leute, die wir in der Politik gut gebrauchen könnten, unter anderem deswegen nicht kommen, weil sie woanders besser verdienen und sich nicht jeder Debatte um Diätenerhöhungen aussetzen wollen.

Fühlen Sie sich ungerecht behandelt?

Nein. Ich werde von den Medien und der Öffentlichkeit ganz neu betrachtet, seit ich Kanzlerkandidat bin. Das ist in Ordnung, aber manche Kritik moniert etwas, was ich so gar nicht gesagt habe.

Sie meinen Ihre Bewertung des Einkommens deutscher Kanzler und Kanzlerinnen?

Ja. Denn ich habe mitnichten gefordert, das Kanzlergehalt zu erhöhen, wie es zu lesen und hören war. Ich habe lediglich in einem Interview, wie zuvor schon viele Male, und andere auch die Meinung vertreten, dass Kanzler im Vergleich zu Führungspersonen in der Wirtschaft eher gering bezahlt sind.

Kanzler verdienen in Deutschland 16 000 Euro im Monat. Ist das wirklich zu wenig, Herr Steinbrück?

Natürlich kann man davon gut leben. Keine Frage und aus der Perspektive einer alleinerziehenden Frau mit 1000 Euro monatlich erst recht. Gerhard Schröder hat recht. Wem die Entlohnung nicht reicht, der sollte sich nicht bewerben. Und das ist auch selbstverständlich Grundlage meiner Kandidatur. Ich habe nur auf vergleichbare Positionen in unserer Gesellschaft und die große Verantwortung hingewiesen. Diese Wahrheit werde ich nicht verschweigen, auch nicht als Kanzlerkandidat.

Es könnte so verstanden werden, als wollten Sie den Job nur machen, wenn mehr Geld dafür bezahlt wird.

Das ist wirklich Unfug. Dass es jetzt heißt, ich sollte solche Sätze nicht sagen, weil ich Kanzlerkandidat bin, darüber sollten andere nachdenken. Ich sage, was ich denke, und ich tue, was ich sage. Das ist mein Gegenentwurf zu Politikern, die oft nur so reden, wie es opportun ist.

Herr Steinbrück, die Beliebtheit der Bundeskanzlerin Angela Merkel haben Sie in diesen Tagen mit einem Frauenbonus begründet. Wie meinen Sie das?

Die Sozialforscher sagen uns, dass Frau Merkel vor allem bei Frauen erkennbar großen Respekt und Ansehen dafür genießt, dass sie sich als Frau in einer noch immer von Männern dominierten politischen Welt durchgesetzt hat.

Ist das eine Frage des Geschlechts oder der Leistung als Politikerin?

In erster Linie ist es eine Leistung, die Frau Merkel erbracht hat. Dass ihr dies als Frau in einer Welt gelungen ist, in der Männer nach wie vor in der Mehrzahl sind, wird vor allem von vielen Frauen besonders anerkannt. Das meine ich damit. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.

Ist es für Sie als Mann schwieriger, gegen eine Frau in den Wahlkampf zu ziehen?

Nein. Wobei ich hinzufügen möchte, dass mir ein randalierender Wahlkampf nicht in den Sinn kommt.

Steinbrück fordert Höchstgrenze für Mieterhöhungen

Sprechen wir über den Wahlkampf 2013. Mit welcher Botschaft gehen Sie in dieses Jahr?

Unsere Botschaft lautet: Wie halten wir die Gesellschaft zusammen? Wie können wir Gemeinsinn und Gemeinwohl wiederbeleben in einer Gesellschaft, die erkennbar auseinanderdriftet? Die Klammer wird sein: Mehr Wir, weniger Ich.

Wie kann man als Regierungschef mehr Wir organisieren, durch Steuererhöhungen für Reiche?

Sehen Sie die Statistiken mit einer deutlich gewachsenen Spreizung in der Einkommens- und Vermögensverteilung an: Es gibt ein Auseinanderfallen der Gesellschaft. Und da ist es ebenso angemessen wie geboten, die oberen Einkommensbezieher stärker zur Finanzierung des Gemeinwohls heranzuziehen. Es gibt enorme Aufgaben im Bildungsbereich, in der Sanierung der wirtschaftsnahen Infrastruktur, zudem benötigen die Kommunen dringend Unterstützung. Gleichwohl müssen wir trotzdem die Schuldenbremse im Grundgesetz einhalten, damit unseren Kindern nicht zu viele Schulden aufgebürdet werden. Dafür benötigen wir mehr Einnahmen. Was nötig ist, muss getan werden, und ich habe den Eindruck, dass auch diejenigen, die davon betroffen sind, unsere Pläne durchaus als angemessen betrachten, weil sie den Wert einer stabilen sozialen Ordnung kennen. Wir werden nicht alle Steuern für alle erhöhen, aber einige für einige.

Welche Steuern wollen Sie erhöhen?

Zunächst werden wir den Spitzensteuersatz in der Einkommenssteuer auf 49 Prozent anheben. Das ist angemessen, denn nur zu Erinnerung: Bei Herrn Kohl lagen wir schon einmal bei 53 Prozent. Außerdem müssen die Kapitaleinkünfte steuerlich stärker herangezogen werden. Mit Blick auf die Besteuerung von Vermögen brauchen wir eine Lösung, bei der es nicht zu einer Substanzbesteuerung von unternehmerischem Vermögen insbesondere des Mittelstandes und der Familienunternehmen kommen darf. Ansonsten würde man ihnen Investitionsmöglichkeiten nehmen und sie an der Bildung von Eigenkapital hindern.

Die SPD, aber auch die Grünen, wollen das steuerliche Ehegattensplitting abschaffen. Das werden auch Familien der Mittelschicht als Steuererhöhung empfinden. Was bezwecken Sie damit?

Zunächst einmal geht es nicht darum, bestehende Regelungen außer Kraft zu setzen, sondern für die zukünftigen Ehen eine Neuregelung zu finden. Wir wollen das Ehegattensplitting umbauen, weil es mehr und mehr zu einem Steuersparmodell vornehmlich für gut verdienende Männer und ihre nicht berufstätigen Frauen geworden ist. Ohne hier schon ins Detail zu gehen, liegt die Lösung bei einer Individualbesteuerung mit der Möglichkeit, Unterhaltsleistungen gegenüber dem Partner steuerlich geltend machen zu können.

Im Dezember haben Sie eine Initiative angekündigt, die das Mietpreisniveau in großen Städten dämpfen soll. Was planen Sie, Herr Steinbrück?

Als unerlässlich sehe ich es an, eine bundesweite Höchstgrenze für Mieterhöhungen bei Neuvermietung einzuführen. In Berlin zum Beispiel werden bei Neuvermietung teilweise schwindelerregend die Mieten um 20 bis 30 Prozent erhöht. Das beeinflusst im Laufe der Zeit das gesamte Mietniveau einer Wohngegend und verdrängt sozial Schwächere. Das muss verhindert werden, etwa durch eine Höchstgrenze von maximal zehn bis 15 Prozent, verbunden mit Regelungen für Mieterhöhungen in einem bestimmten Zeitraum danach.

Bildungsinvestitionen wollen Sie ins Zentrum ihrer Politik stellen, wenn Sie die Bundestagswahl gewinnen. Wie lange wird sich der Bund noch aus Investitionen in Schulen heraushalten?

Wenn es nach mir geht, einigen sich Bundesländer und Bundestag noch morgen über die Abschaffung des Kooperationsverbots im Grundgesetz. Dass es dem Bund untersagt ist, Kommunen direkt bei Bildungsinvestitionen zu unterstützen, war ein massiver Fehler. Überall in Deutschland gibt es Schulen, die verfallen und wir brauchen mehr Personal in Betreuungseinrichtungen vor allem in sozialen Brennpunkten. Bildung ist in Deutschland mit 25 Milliarden Euro pro Jahr unterfinanziert. Die Kommunen und die Länder können diesen Rückstand unmöglich allein aufholen, und darüber hinwegzugehen kann sich Deutschland angesichts der demografischen Entwicklung und der Integrationsanforderungen nicht leisten. Wenn Rot-Grün Ende Januar die Landtagswahl in Niedersachsen gewinnt, dann wären wir mit einer Mehrheit im Bundesrat in der Lage, die notwendige Grundgesetzänderung sofort in Gang zu setzen. Mit den Einnahmen aus der Steuererhöhung könnten wir nach der Bundestagswahl die Finanzierungslücke im Bildungswesen um zehn Milliarden Euro verringern.

Die Bundesländer haben auf das Investitionsverbot des Bundes gepocht, weil sie befürchten, dass sich der Bund auch inhaltlich einmischen und eine deutschlandweite Einheitsschule schaffen wird.

Diese Befürchtung ist so etwas wie ein Ungeheuer von Loch Ness, das immer dann auftaucht, wenn über Bildungsinvestitionen und Hilfe für die Kommunen gesprochen wird. Keiner denkt daran, die Kultushoheit der Länder abzuschaffen. Ich würde den Bundesländern allerdings raten, sich intensiver mit der Vergleichbarkeit der Schulsysteme zu beschäftigen. Es gibt noch immer einen Flickenteppich in Deutschland, der es Familien sehr schwer macht, mit ihren Kindern von einem Bundesland in ein anderes zu ziehen.

Steinbrück contra doppelten Regierungssitz in Berlin und Bonn

Das zentrale Wahlversprechen der SPD soll eine einheitliche Lohnuntergrenze werden. Wann wird es den Mindestlohn geben?

Wenn wir die Wahl gewinnen, dann wird die Einführung des flächendeckenden gesetzlichen Mindestlohnes zu den ersten Maßnahmen unseres 100-Tage-Programms gehören.

Wie vielen Menschen wird das den Gang zum Sozialamt trotz eines Vollzeitjobs ersparen?

Ich kann keine Zahlen dazu nennen. Aber ein Mindestlohn von 8,50 Euro in ganz Deutschland wird insbesondere sehr vielen Frauen und und auch Männern vor allem im Osten helfen, die bis jetzt weit unter 8,50 Euro verdienen. Diese grotesken Verhältnisse müssen ein Ende haben.

Die Warnungen von Unternehmen vor Insolvenzen schrecken Sie nicht?

Nein. Es gibt in vielen unserer Nachbarländer Mindestlöhne und auch in Deutschland gibt es sie in einzelnen Branchen. Trotzdem ist es weder dort noch hier zum Weltuntergang gekommen, den die Unternehmerverbände ankündigen, wenn es einen flächendeckenden Mindestlohn geben sollte. Zum Zusammenhalt der Gesellschaft, von dem ich gesprochen habe, gehört es, dass in diesem Land niemand, egal wo er wohnt oder wie alt er ist, für weniger als 8,50 Euro Stundenlohn arbeiten gehen muss. Ein Betrieb, der Mitarbeiter mit 4 bis 5 Euro nach Hause schickt und die nötige Aufstockung dem Steuerzahler aufbürdet, der hat kein funktionierendes Geschäftsmodell.

Dieses Interview, Herr Steinbrück, führen wir in Ihrer Heimatstadt Bonn. Auch zwanzig Jahre nach der Wiedervereinigung von Ost- und Westdeutschland teilen sich die Bundeshauptstadt Berlin und Bonn die Regierungsarbeit. Wie lange wird es noch Bundesministerien am Rhein und Ministerialbeamte geben, die jede Woche zwischen Bonn und Berlin hin- und herpendeln?

Auch bei diesem Thema gilt für mich: Ich sage, was ich denke und für richtig halte. Das mag hier in Bonn nicht jeder gut finden. Die Zeiten von doppelten Standorten der Ministerien werden irgendwann zu Ende gehen. Der bereits beschrittene Weg, Ministerialverwaltungen in oberste Bundesbehörden zu überführen bietet sich als Lösung an, unter Beachtung der den Beschäftigten gegebenen Zusagen. Bonn bleibt Bundesstadt und UN-Standort, aber der Platz der politischen Entscheider ist Berlin.

Volkswirt und Politiker

Peer Steinbrück wurde 1947 in Hamburg geboren. Er studierte Volkswirtschaftslehre und Soziologie in Kiel. Zunächst war er Minister für Wirtschaft, Technik und Verkehr in Schleswig-Holstein, dann erst Wirtschafts-, später Finanzminister und schließlich von 2002 bis 2005 Regierungschef einer rot-grünen Koalition in Nordrhein-Westfalen.

Finanzminister für harte Zeiten

Von 2005 bis 2009 war Steinbrück Finanzminister der großen Koalition unter Führung von Kanzlerin

Angela Merkel. Im In- und Ausland wurde seine Kompetenz bei der Bewältigung der Finanzmarktkrise geschätzt.

Kandidat der SPD für das Kanzleramt

Mitte Dezember 2012 hat die SPD Peer Steinbrück in Hannover zum Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl 2013 ernannt. Für seine Bewerbungsrede erhielt er sehr viel Beifall – trotz der Querelen, die es im Vorfeld wegen seiner zahlreichen und gut bezahlten Vorträge vor Bankmanagern und im Auftrag von kommunalen Unternehmen gab.

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