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Will er Kanzler werden? Ja schon. Nur kann er das noch nicht so deutlich sagen.

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Interview mit Peer Steinbrück: „Rot-Grün wäre niemals ein so kolossaler Unsinn passiert“

Ex-Finanzminister Peer Steinbrück spricht im Interview über schwachsinnige Steuerpolitik, eine Kanzlerin mit flüchtigem Macherimage und die Schuldenkrise in Europa.

Herr Steinbrück, feiern Sie den angekündigten Rücktritt des italienischen Ministerpräsidenten Silvio Berlusconi?

Nein, da gibt es nichts zu feiern. Der Mann hätte schon vor Jahren zurücktreten müssen.

Nach Griechenland strauchelt nun auch die politische Führung Italiens. Welche Auswirkungen hat das auf die Euro-Krise?

Dass Italien einen Reformbedarf hat, will ich nicht bestreiten. Aber ich warne davor, das Land schwächer darzustellen, als es ist. Italien hat eine wettbewerbsfähige Industrie und eine hohe Sparquote. Das Land ist also weniger abhängig von ausländischen Kapitalgebern, die Staatsanleihen kaufen. Das ökonomische Potenzial Italiens unterscheidet sich aber fundamental von dem seiner politischen Führung. Italien hat vor allem ein Testosteron gesteuertes Problem, und das hat einen Namen: Berlusconi.

Am 5. Oktober 2008, Sie waren Finanzminister der großen Koalition, haben Sie den Deutschen gesagt: Euer Geld ist sicher. Würden Sie den Satz heute wiederholen?
Bezogen auf die deutschen Spareinlagen: Ja. Wir haben 2008 keine Patronatserklärung für Derivate, Investmentzertifikate oder verbriefte Produkte abgegeben. Glauben Sie mir, diese Erklärung, die ich gemeinsam mit der Bundeskanzlerin abgegeben habe, ist uns nicht leicht gefallen. Denn wir wussten, dass wir sie im Zweifelsfall hätten einlösen müssen.

Heute haben die Menschen wieder Angst um ihr Geld. Zu Recht?
Man sollte in diesen Zeiten nicht naiv optimistisch sein. Aber ich wage trotzdem die Prophezeiung: Den Euro wird es auch in zehn Jahren geben. Er befindet sich nicht in einer Krise. Der Euro ist werthaltig, es gibt weniger Inflation als in den letzten zehn D-Mark-Jahren, und sein Außenwert ist erstaunlich stark. Was wir sehen, ist eine Krise von Mitgliedsstaaten des Euro. Es besteht in meinen Augen keine Gefahr für die Spareinlagen der Deutschen.

Sie werfen Angela Merkel vor, dass sie die Dimension der Euro-Schuldenkrise lange nicht erkannt und zu spät gehandelt habe. Macht es die Kanzlerin jetzt besser?
Ihre Reden sind proeuropäischer geworden – nach mancher Verirrung. Und sie sieht wohl inzwischen die Notwendigkeit eines umfassenden Ansatzes zum Krisenmanagement. Doch sie hat den Deutschen zu wenig Erklärungen geboten und zu viele Volten geschlagen. Erst sollte Griechenland überhaupt kein Geld bekommen, dann kam ein Rettungsschirm, den angeblich niemand in Anspruch nehmen würde, ferner sollte der Schirm lediglich zeitlich begrenzt werden. Nichts von allem ist eingetreten.

Was hätte Peer Steinbrück anders gemacht?
Die Staats- und Regierungschefs hätten bereits im Mai 2010 ein umfassendes Rettungspaket verabschieden müssen, statt sich scheibchenweise alles abringen zu lassen. Außerdem hätten diese Volten und Verdummungen der Bevölkerung unterbleiben müssen.

Reicht das Rettungspaket vom letzten Gipfel Ende Oktober?
Ich habe Zweifel. Von den 440 Milliarden Euro im EFSF steht faktisch nur noch die Hälfte zur Verfügung, mit denen jetzt Staaten und Banken rekapitalisiert werden sollen. Das wird nicht reichen. Und was uns als Hebel in Aussicht gestellt wurde, um die Summe zur vergrößern, ist noch immer nicht konkretisiert.

Wie sähe Ihr Paket aus?
Es geht nicht um jetzt, es geht um das Jahr 2010. Schon damals hätte man einen Schuldenschnitt für Griechenland erwirken müssen, damals hätte man eine umfassende Kapitalisierungshilfe für Banken und Euro-Staaten in Gang setzen müssen, ein wirtschaftliches Erholungsprogramm für Griechenland in Gang setzen und ein europäisches Bankeninsolvenzrecht erwirken müssen. Die Kanzlerin hat diese Krise in ihrem Umfang und in ihren Wirkungen nicht richtig eingeschätzt. Sie hätte mit den Chefs der Europäischen Kommission, der Euro-Gruppe, der Zentralbank und dem französischen Präsidenten vor die Kameras treten und den Märkten, wie am 5. Oktober 2008, klar machen müssen: Die Staatsanleihen sind sicher.

Seite 2: "Die Menschen brauchen eine Vision von unserem gemeinsamen Kontinent."

Alle gemeinsam, jeder für sich. FDP-Chef Rösler, Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer (v. l.) verkünden ihre Pläne zur Entlastung der Bürger.
Alle gemeinsam, jeder für sich. FDP-Chef Rösler, Kanzlerin Merkel und CSU-Chef Seehofer (v. l.) verkünden ihre Pläne zur Entlastung der Bürger.

© dapd

Wäre Ihr Plan für die Steuerzahler am Ende billiger geworden?

Ohne Rettungsschirme wäre es natürlich auch nicht gegangen. Aber im Vergleich zu heute wäre es günstiger geworden, wenn bereits im letzten Jahr umfassend gehandelt worden wäre.

Kann es Angela Merkel nicht?

Das ist mir zu plakativ. Lange war nur Wolfgang Schäubles Sicht auf Europa zu vernehmen. Nun beobachte ich eine Frau Merkel, die klarer als vor Monaten auf die Umsetzung einer europäischen Gesamtstrategie setzt. Es wird ja auch Zeit.

Kann Griechenland im Euroraum bleiben?

Das entscheidet Griechenland selbst. Bis jetzt hat Europa versucht, mit Notverordnungen das Land zu stabilisieren. Das ist erkennbar gescheitert. Nun steht endlich der Schuldenschnitt bevor, den viele schon im Sommer 2010 gefordert haben. Doch auch das ist nicht genug. Was die Griechen brauchen, ist ein europäisches Wirtschaftshilfeprogramm. Die EU unterhält Strukturfonds, die gut gefüllt sind. Was fehlt, ist der klare Wille und ein Hilfsplan, der diesem Land auf die Beine hilft. Ohne diese materielle Hilfe und eine technische Unterstützung für den Aufbau funktionierender Verwaltungen, nicht zuletzt zur Bekämpfung der Steuerflucht, wird das Land weiter abrutschen.

Wie geht Ihre Erzählung vom Europa der Zukunft?

Die Menschen brauchen eine Vision von unserem gemeinsamen Kontinent. Es reicht nicht, ihnen zu sagen, dass wir in einer Währungsunion sind und es gute ökonomische Gründe für Europa gibt. Wir alle haben es in den letzten zwanzig Jahren versäumt, den Menschen zu sagen, wie faszinierend Europa ist. Hier herrscht seit 60 Jahren Frieden und Wohlstand, hier geht es den Menschen besser als irgendwo sonst auf der Welt, es gibt Rechtsstaatlichkeit, Sozialstaatlichkeit, Meinungsfreiheit, die Trennung von Staat und Kirche sowie eine große kulturelle Vielfalt. Das ist das europäische Projekt, eine zivilisatorische Errungenschaft, für das es sich einzusetzen lohnt.

Was sagt Ihnen der Begriff der Vereinigten Staaten von Europa?

Das erinnert zu sehr an die USA mit einer anderen Geschichte und nationalstaatlichen Entwicklungen. Europa ist eher ein Staatenbund, in dem sich Einigkeit und Vielfalt nicht ausschließen. In meinem Haus Europa gibt es durchaus nationale Identitäten, aber es gibt eben auch den Verzicht auf nationale Zuständigkeiten und souveräne Rechte.

Sollen die Italiener in Zukunft über unseren Haushalt bestimmen?

Nicht die Italiener, aber eine europäische Institution. Das gehört zur Solidarität. Wenn andere Länder an unserer Bonität teilhaben wollen, dann werden sie alles tun müssen, um uns von dieser Last der Stützung durch eigene Reformanstrengungen wieder zu entlasten. Und das gilt auch umgekehrt. Wenn es jetzt um eine Stärkung des europäischen Stabilitäts- und Wachstumspaktes, eine makroökonomische Überwachung, automatische Sanktionen und eine europäische Kontrollbehörde mit weitreichenden Rechten geht, dann sind wir schon auf einem richtigen Weg.

Das hätte Angela Merkel nicht anders gesagt. Wird die Kanzlerin in die europäische Rettungsgeschichte als Macherin eingehen, deren Initiativen die SPD zugestimmt hat?

Den Eindruck habe ich nicht. Die SPD handelt aus einer europäischen Verantwortung und nicht einer parteipolitischen Räson. Und das Macherimage von Frau Merkel war in den letzten zwei Jahren sehr flüchtig. Warten Sie mal ab.

Peer Steinbrück für Rot-Grün ab 2013?

Das ist die naheliegendste Machtoption.

Sie haben sich in Nordrhein-Westfalen nicht gerade als Freund der Ökopartei erwiesen.
Na und. Im Vergleich zu dem zerstrittenen Laden von Frau Merkel und den Herren Seehofer und Rösler pflegten wir in Nordrhein-Westfalen ein geradezu freundschaftliches Verhältnis.

Seite 3: Kein Sozialdemokrat wird diesem Unsinn zustimmen."

Was kann Rot-Grün besser als Schwarz-Gelb?
Nehmen wir die Europapolitik: Da hätte Rot-Grün einen wesentlich stetigeren Kurs gefahren. Und in der Steuerpolitik wäre Rot-Grün niemals ein so kolossaler Unsinn passiert. Was Union und FDP letzte Woche verabredet haben, ist ein absoluter Skandal. In diesen Zeiten Steuersenkungen auf Pump zu beschließen, heißt die Schuldenlast und Nettokreditaufnahme zu erhöhen. Das Ergebnis von letztem Sonntag kostet uns 180 Millionen Euro im Jahr zusätzlich an Zinsen. Noch dazu ist es verteilungspolitisch schwachsinnig, weil in den oberen Einkommensetagen deutlich mehr entlastet wird als in den unteren. Und wirtschaftspolitisch hat es null Effekt, weil der Durchschnittsverdiener sich davon monatlich gerade mal zwei Tassen Kaffee leisten kann. Das Schlimmste jedoch ist, dass diese Regierung in der Zeit, in der wir täglich über die Staatsverschuldung sprechen, die Schulden weiter erhöht. Das ist furchtbar und wird nur noch übertroffen von der Fernhalteprämie...

...Sie meinen das Betreuungsgeld für Eltern, die ihre Kinder nicht in eine Kinderkrippe bringen wollen...
...genau. Das ist integrationspolitisch idiotisch, denn gerade die Kinder mit Migrationshintergrund, die an den Angeboten von Kitas teilhaben sollten, werden ihnen fern bleiben. Es ist frauenpolitisch idiotisch, weil die Frauen davon abgehalten werden, einem Job anzunehmen. Es ist eine bildungspolitische Katastrophe, denn es untergräbt das Ziel der Gesellschaft, allen Kindern so früh wie möglich Sprach- und Sozialkompetenzen zu vermitteln und die etwa zwei Milliarden, die das kosten mag, werden dringend für den Ausbau von Betreuungsangeboten benötigt. Kein Sozialdemokrat wird diesem Unsinn zustimmen.

Die FDP sagt, sie wolle in dem Fall den Arbeitern sagen, dass die SPD dafür verantwortlich ist, dass Inflation und kalte Progression deren Nettolöhne auffressen.
Da wäre ich an deren Stelle vorsichtiger. Wer die kalte Progression im Steuersystem abschaffen will, der braucht 20 bis 25 Milliarden Euro im Jahr. Die haben wir nicht. Wenn FDP und Union jetzt den Leuten erzählen, sie würden diese kalte Progression abschaffen, dann belügen sie die Menschen. Es geht jetzt nicht darum, die Steuern zu senken. Die entscheidende Frage für die Zukunft unseres Landes ist, woher wir mehr Geld für die Finanzierung von Bildung bekommen.

Ein Kanzler Peer Steinbrück hätte dafür jetzt den Spitzensteuersatz angehoben?

Ja. Ich denke, es ist richtig, den Spitzensteuersatz zu erhöhen. Man muss aber genau hinsehen, ab welchem Einkommen er greifen soll. Auch die Abgeltungssteuer auf Kapitaleinkünfte muss angehoben werden. Es mag ein Fehler meiner Zeit als Finanzminister gewesen sein, ihn bei 25 Prozent festzuschreiben. Auch steuerliche Subventionen müssen erneut überprüft werden.

Und die Vermögenssteuer?

Ich sehe wohl, dass es angesichts der steigenden Vermögen eines Eingriffs bedarf, gebe meiner Partei jedoch zu bedenken, dass das handwerklich sehr kompliziert ist. Denn die Steuer ist eine Substanzsteuer, die auch an die Substanz kleiner und mittlerer Unternehmen geht. Und die wollen wir ja nicht schädigen. Interessant finde ich den Vorschlag der Grünen, eine Besteuerung nur dort zu setzen, wo auch wirklich Gewinne erzielt werden.

Herr Steinbrück, warum sagen Sie nicht einfach gerade heraus: Ja , ich will Bundeskanzler werden?

Weil das Vorschlagsrecht beim Parteivorsitzenden der SPD liegt. Und das ist zu respektieren. Ferner ist der Zeitpunkt zwei Jahre vor der nächsten regulären Bundestagswahl zu früh. Die Frage einer Kanzlerkandidatur ist zu einem angemessenen Zeitpunkt zu beantworten. Jetzt ist dieser Zeitpunkt nicht gegeben.
Das Gespräch führten Stephan-Andreas Casdorff und Antje Sirleschtov.

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