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Kurdische Kämpfer im Norden des Irak.

© afp

Isis-Terror: Türkei schließt Kurdenstaat im Nord-Irak nicht aus

Bisher hat die Türkei einen unabhängigen Kurdenstaat im Norden des Irak strikt abgelehnt. Doch jetzt erscheint ein solches Szenario plötzlich denkbar. Und Ankara steht vor einer außenpolitischen Kehrtwende.

Angesichts des blutigen Konflikts im Irak fasst die Türkei offenbar die Möglichkeit eines Zerfalls des Nachbarstaates ins Auge. Der Irak sei schon jetzt „praktisch in drei Teile gespalten“, sagte Hüseyin Celik, der Sprecher der türkischen Regierungspartei AKP von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan. Für den Fall, dass der Irak als geeinter Staat von Schiiten, Sunniten und Kurden nicht überlebe, sicherte Celik den nordirakischen Kurden das Recht auf Selbstbestimmung zu. Damit deutete Celik eine außenpolitische Kehrtwende seines Landes an: Bisher hatte Ankara die Vorstellung eines unabhängigen Kurdenstaats im Nordirak strikt abgelehnt.

Die Beziehungen zwischen Ankara und der Autonomiezone der nordirakischen Kurden im Norden haben sich in den vergangenen Jahren erheblich verbessert. Die Kurdenzone ist weltweit einer der wichtigsten Abnehmer türkischer Exporte. Gleichzeitig hofft die Türkei auf massive Öleinfuhren aus dem nordirakischen Kurdengebiet. Mit der Einnahme der Ölstadt Kirkuk vergangene Woche hatten die Kurden ihre Stellung im Irak weiter gestärkt; das Öl von Kirkuk könnte einen Kurdenstaat wirtschaftlich lebensfähig machen.

Türkei toleriert Einnahme von Kirkuk durch die Kurden

Obwohl türkische Politiker in den vergangenen Jahren immer wieder betont hatten, eine alleinige Kurdenherrschaft über Kirkuk werde nicht hingenommen, kam nach der Einnahme der Stadt kein Protest aus Ankara. Veysel Ayhan, Direktor der Denkfabrik IMPR in Ankara, sagte dem Tagesspiegel, nach dem Vormarsch der sunnitischen Extremistengruppe „Islamischer Staat im Irak und Syrien“ (Isis) im Irak sowie den wachsenden Gegensätzen zwischen Sunniten und Schiiten müsse Ankara seine Irak-Politik überdenken. Am Donnerstag lieferten sich Isis-Kämpfer und irakische Regierungstruppen weiter schwere Gefechte um die größte Ölraffinerie in Baidschi rund 200 Kilometer nördlich von Bagdad.

„Der Bundesstaat (im Irak) hat keine Stabilität gebracht, deshalb müssen wir über ein neues System nachdenken: einen Staatenbund oder eine Aufteilung des Landes“, sagte Ayhan. Wenn Sunniten und Schiiten im Irak nicht miteinander in einem Staat leben wollten, dann könne auch die Türkei die territoriale Integrität des Irak nicht garantieren. Erdogan sprach Donnerstag von einem „Konfessionskrieg“ zwischen sunnitischen und schiitischen Muslimen im Irak.

Kaum noch Chancen für einen geeinten Irak

Parteisprecher Celik ging weiter als sein Chef. Er sagte dem kurdischen Mediennetzwerk Rudaw im Nordirak, die einseitig proschiitische Politik von Ministerpräsident Nuri al Maliki habe den Irak „an den Rande des Zusammenbruchs“ geführt. Sollte die innere Spaltung des Landes in einen sunnitischen, einen schiitischen und einen kurdischen Teil „offiziell“ werden, dann hätten die Kurden das Recht, einen eigenen Staat zu gründen. Auch der Ministerpräsident der nordirakischen Kurden, Nechirvan Barzani, sieht kaum noch eine Chance für einen geeinten Irak. „Ich glaube, es kann nicht zusammenbleiben“, sagte Barzani am Donnerstag in einem Interview des britischen Senders BBC über das Land.

Der ehemalige türkische Botschafter in Deutschland und Ex-Oppositionsabgeordnete Onur Öymen warnte die Erdogan- Regierung davor, das Ziel eines geeinten Irak aufzugeben. Ein Zerfall des Nachbarlandes werde einen unkontrollierbaren Dominoeffekt in der gesamten Region auslösen, sagte Öymen dem Tagesspiegel. Doch Nahostexperte Ayhan von der Denkfabrik IMPR ist fest davon überzeugt, dass es schon zu spät ist. Als Folge von Krieg und Chaos „zeichnen wir derzeit die neuen Landkarten von Irak und Syrien“, sagte er. Die Grenzen in dieser Region würden schon bald neu gezogen. Thomas Seibert

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