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Saudi-Arabiens Herrscherhaus regiert autoritär und mit gut ausgerüsteten Sicherheitskräften.

© dpa

Islamistische Gewalt in Nahost: Der Domino-Effekt

In den Ländern des arabischen Raums gerät ein Staat nach dem anderen in einen Strudel islamistischer Gewalt. Ein Überblick vom Maghreb bis an den Golf.

Syrien, der Irak und jetzt Jemen. In der arabischen Welt scheint ein Dominoeffekt immer mehr Staaten in den Abgrund zu reißen. Von der Aufbruchstimmung des Arabischen Frühlings ist dagegen kaum noch etwas zu spüren. Ein Ende der Gewaltwelle ist nicht abzusehen, zumal aus vielen Ländern der Region junge Männer nach Syrien und in den Irak gezogen sind, um sich der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) anzuschließen. Wenn sie in ihre Heimatländer zurückkehren, könnten sie dort neue Konflikte entfachen. Ein Überblick.

Marokko

Marokko ist derzeit noch eine Art Leuchtturm der Stabilität in Nordafrika. König Mohammed VI., mit 52 Jahren noch relativ jung im Vergleich etwa zu den Herrschern in Saudi-Arabien, hat es bisher geschafft, sein Land durch sanfte Reformen so zu modernisieren, dass sich die junge Generation ernst genommen fühlt und die Traditionalisten nicht verprellt wurden. Frauen erhielten beispielsweise mehr Rechte, als Antwort auf den Arabischen Frühling kündigte der Monarch außerdem an, das Land in eine parlamentarische Monarchie umzuwandeln.

Sein Vorteil: Mohammed VI. ist gleichzeitig auch religiöses Oberhaupt seines Landes, was ihn praktisch unangreifbar macht. Der Islam ist in Marokko Staatsreligion, 90 Prozent der Bevölkerung sind sunnitische Muslime.

Algerien

Algerien hat bereits in den 1990er Jahren einen blutigen Bürgerkrieg erlebt. Auslöser war der Abbruch einer Wahl, bei der sich ein Sieg einer islamistischen Partei, der Islamischen Heilsfront (FIS), abgezeichnet hatte. Die FIS griff daraufhin zu den Waffen und überzog Algerien mit einer beispiellosen Terrorwelle. Erst unter Präsident Abdelaziz Bouteflika gelang es, einen Versöhnungsprozess auf den Weg zu bringen, der dem Land seine Stabilität zurückgab. Während des Bürgerkriegs konnten sich aber auch Al-Qaida-nahe Kräfte in Algerien entfalten, die noch immer eine Gefahr darstellen. Nach Erkenntnissen deutscher Sicherheitskreise gibt es inzwischen außerdem eine Zelle des „Islamischen Staates“. Neue Krisen können daher nicht ausgeschlossen werden.

Tunesien

Das Geburtsland des Arabischen Frühlings galt bisher als positives Beispiel für eine gelungene Demokratisierung. Ende 2014 bestimmten die Tunesier in freien und friedlichen Wahlen einen neuen Präsidenten. Doch der Anschlag auf das Nationalmuseum in der Hauptstadt Tunis mit mehr als 20 Toten am 18. März hat gezeigt, wie fragil die Entwicklung ist. Inzwischen ist klar: Tunesien droht in den Strudel des libyschen Bürgerkriegs hineingezogen zu werden. Die Attentäter aus Tunis wurden in Libyen, Tunesiens östlichem Nachbarn, ausgebildet.

Libyen

Seit dem Sturz von Machthaber Muammar al Gaddafi kämpfen in Libyen verschiedene rivalisierende Gruppen um die Vorherrschaft. Inzwischen ist ein offener Bürgerkrieg zwischen islamistischen und gemäßigten Kräften ausgebrochen, in dem auch ein Ableger des „Islamischen Staates“ mitmischt. Von Libyen aus gelangen auch gefährlich viele Waffen in die Nachbarstaaten – und dort in die Hände extremistischer Gruppen wie Al Qaida und „Islamischer Staat“.

Ägypten

In Ägypten sind längst alle Hoffnungen auf einen demokratischen Frühling verflogen. In Kairo sitzt mit Abdel Fattah al Sisi wieder ein früherer Militär fest im Sattel; das Experiment einer islamistischen Regierung unter den Muslimbrüdern wurde mit Gewalt beendet. Doch Ägypten ist auch jetzt alles andere als stabil. Vor allem auf der Sinai-Halbinsel kämpft die Armee gegen Extremisten und kriminelle Banden. Die Tatsache, dass der „Islamische Staat“ hier ebenfalls Fuß gefasst hat, macht die Lage bedrohlich.

Jordanien und Libanon

Zwei kleine Staaten im Nahen Osten haben eine ganz besondere Last zu tragen. Der Libanon mit vier Millionen Einwohnern hat mehr als eine Million Flüchtlinge aus dem benachbarten Syrien im Land, Jordanien mit 6,3 Millionen Einwohnern hat mehr als 600 000 Flüchtlinge aufgenommen. Dabei besteht schon die reguläre Bevölkerung zu einem erheblichen Teil aus Flüchtlingen – Palästinensern, die teilweise seit Jahrzehnten im Libanon oder in Jordanien leben.

Die Lage in den Flüchtlingslagern ist katastrophal. Selbst dem Welternährungsprogramm der UN gehen inzwischen die Mittel aus, um die Flüchtlinge zu versorgen. Die Lebensmittelrationen wurden jetzt gekürzt. Das könnte zu Konflikten führen, die auch die Stabilität der beiden Länder insgesamt gefährden würden. Für den Libanon, der nur notdürftig von einer Regierung der Nationalen Einheit aus sunnitischen und schiitischen Muslimen und Christen zusammengehalten wird, wäre das besonders gefährlich.

Israel/Palästinensische Gebiete

Der Nahost-Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wird derzeit von den Ereignissen in Syrien, dem Irak und im Jemen überlagert. Beigelegt ist er aber nicht, und die zum Teil katastrophale wirtschaftliche und soziale Lage in den Palästinensergebieten bleibt ein Nährboden für neue Spannungen.

Saudi-Arabien

Das ölreiche Saudi-Arabien ist ein Hort der Stabilität. Möglich ist das allerdings nur, weil die Königsfamilie oppositionelle Strömungen im Keim erstickt. Zuletzt machte der Fall des Bloggers Raif Badawi Schlagzeilen, der im vergangenen Jahr zu zehn Jahren Haft und 1000 Peitschenhieben verurteilt wurde. Sein Vergehen: Kritik an der Politik und der Islamauslegung des Königshauses. Mit sozialen Wohltaten, aber auch dank der Ausrüstungshilfe seiner westlichen Partner für die Sicherheitskräfte gelingt es der Herrscherfamilie, ihre Untertanen unter Kontrolle zu halten. Selbst einige Aktivistinnen, die sich trotz des für Frauen geltenden Fahrverbots ans Steuer wagten, sitzen heute im Gefängnis.

Andere arabische Golfstaaten

Ähnlich wie in Saudi-Arabien regieren auch die meisten Herrscher dieser Staaten mit einer Mischung aus Zuckerbrot und Peitsche. Und sie stehen sich im Krisenfall bei – vor allem, wenn es gilt, den Einfluss des Iran und schiitischer Gruppen, die vom Iran unterstützt werden, einzudämmen. So halfen Saudi-Arabien und die Vereinigten Arabischen Emirate vor wenigen Jahren, Unruhen von Schiiten in Bahrain niederzuschlagen; nun gehen die Staaten gemeinsam gegen schiitische Rebellen im Jemen vor. Einzig Oman hält sich heraus.

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