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Zum Reichstag gehört jetzt auch die AfD - deshalb sollte sich die Bundesregierung in der EU-Politik keine Blöße geben.

© Kay Nietfeld/DPA

Jamaika und Europa: "German vote" - Nein danke!

Die Jamaika-Unterhändler denken über eine Neugestaltung bei der Koordinierung der EU-Politik in Berlin nach. Es wäre gut, wenn Rivalitäten künftig nicht mehr Deutschlands EU-Politik lähmen würden. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Albrecht Meier

CDU, CSU, FDP und Grüne bekennen sich, so lautet der Verhandlungsstand der Jamaika-Sondierer in Sachen EU, „zur Gestaltung eines starken und geeinten Europa“. So weit, so erwartbar. Oder hätte jemand ernsthaft gedacht, eine neue Bundesregierung würde, während in Österreich und Tschechien Populisten Wahltriumphe feiern, die bisherigen Grundkoordinaten der deutschen Europapolitik in Frage stellen? Interessant ist aber ein anderer Punkt, der sich ebenfalls im Eckpunkte-Papier der potenziellen Jamaika-Partner findet: Zu den Themen, die Schwarze, Gelbe und Grüne noch weiter besprechen wollen, gehört eine „verlässliche Koordinierung zu europäischen Fragen in der Bundesregierung“. Hier geht es um Ressortfragen, also um Machtfragen.

Dass die künftige Regierung die bisherigen Berliner Abläufe in der Europapolitik auf den Prüfstand stellt, ist richtig. Denn auch in den kommenden vier Jahren dürften die europapolitischen Herausforderungen kaum kleiner werden. Zur Erinnerung: Als Union und FDP 2009 ihren Koalitionsvertrag aufsetzen, hatte niemand so richtig die anschließende Euro-Krise auf dem Schirm. Ähnlich war es 2013, als die letzte große Koalition geschmiedet wurde; die Flüchtlingskrise von 2015/2016, die anschließend zur Krise der EU wurde, war damals nicht absehbar.

Wer zu den Optimisten unter den Europapolitikern gehört, hat die Hoffnung, dass die EU in den nächsten Jahren den Krisenmodus verlässt. Mit dem Brexit könnten sich tatsächlich neue Perspektiven für eine verstärkte Zusammenarbeit im Kreis der verbleibenden 27 EU-Länder eröffnen. Doch selbst wenn es so käme, braucht es künftig mehr denn je eine eindeutige politische Handschrift der Bundesregierung in der Europapolitik. Der Grund: Angesichts der AfD-Präsenz im Bundestag kann es sich die Bundesregierung weniger denn je leisten, sich in Brüssel eine Blöße zu geben und in Häuserkämpfe zwischen den Ressorts zu verlieren.

Im Zweifel muss sich der deutsche EU-Botschafter enthalten

Seit vielen Jahren wird in Brüssel das „German vote“ belächelt. Oftmals können sich die deutschen Vertreter in der EU-Hauptstadt nur spät mit einer eindeutigen Position in Fachdiskussionen einschalten, weil zu Hause in Berlin die Fachressorts im Clinch miteinander liegen. Im Zweifel muss sich denn der deutsche EU-Botschafter bei der Abstimmung enthalten – „German vote“ eben.

Das jüngste Beispiel lieferte der Streit um die Verlängerung der Zulassung für den umstrittenen Unkrautvernichter Glyphosat: Die amtierende Umweltministerin Barbara Hendricks (SPD) ist gegen die weitere Zulassung, Landwirtschaftsminister Christian Schmidt (CSU) dafür.
Der schwerfällige deutsche Abstimmungsprozess in der Europapolitik, an dem neben den Fachressorts auch die 16 Bundesländer beteiligt sind, verträgt sich schlecht mit dem Anspruch von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), dass die EU künftig mehr handfeste Entscheidungen statt ständiger Wiedervorlagen produzieren soll.

Geballte Macht im Kanzleramt

Dabei hat sich die Bundesregierung – oder genauer gesagt: das Kanzleramt – in den vergangenen Jahren durchaus reaktionsfähig gezeigt, wenn es wie im Fall Griechenlands oder der Flüchtlinge um die Bewältigung europäischer Großkrisen ging. Kein Wunder: Seit den Tagen des SPD-Kanzlers Gerhard Schröder, der gegen den Willen des damaligen Außenministers Joschka Fischer (Grüne) immer mehr europapolitische Aufgaben an sich zog, gilt das Kanzleramt als das eigentliche europapolitische Entscheidungszentrum. Das Problem liegt allerdings darin, dass die Regierungszentrale mangels personeller Ausstattung nicht in der Lage ist, sich jenseits der europäischen Großthemen auch noch mit den Mühen der Ebene – siehe Glyphosat – zu befassen.

Eine Neuorganisation, möglicherweise mit einem verstärkten Einsatz von Beamten aus den Fachministerium im Kanzleramt, täte also not. In einer andere Richtung geht indes die Überlegung des Grünen-Chefs Cem Özdemir, künftig einen eigenen Koalitionsausschuss für Europa einzusetzen. Ein solches Gremium würde wiederum die Mitspracherechte der Juniorpartner der Union bei der Europapolitik in einer möglichen Jamaika-Koalition stärken. Eines steht jedenfalls fest: Das „German vote“ sollte in Brüssel nicht länger das Markenzeichen deutscher Europapolitik sein.

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