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Zwei ukrainische Soldaten an einem Checkpoint im Osten des Landes

© dpa

Kämpfe im Osten der Ukraine: Mysteriöse Attacke auf russischen Militärkonvoi

Ein russischer Militärkonvoi soll am Freitag in den Osten der Ukraine eingedrungen sein. Die ukrainische Armee habe ihn zerstört, sagt Präsident Poroschenko. Beweise gibt es keine. Die Verwirrung ist groß.

Es wäre einer der gravierendsten Vorfälle in der kriegerischen Auseinandersetzung im Osten der Ukraine, der den Konflikt leicht international eskalieren lassen könnte: In der Nacht zu Freitag sollen ukrainische Regierungstruppen große Teile eines russischen Militärkonvois, der sich auf ukrainischem Staatsgebiet befunden haben soll, zerstört haben. Dies vermeldete Staatspräsident Petro Poroschenko am späten Freitagnachmittag MESZ auf seiner Internetseite. Meldungen, dass 23 russische Militärfahrzeuge in die Ukraine vorgestoßen seien, gab es bereits seit den Morgenstunden – am Mittag wurde der Vorfall sogar von der Nato bestätigt. Bundeskanzlerin Angela Merkel telefonierte noch am Abend mit Russlands Präsident Wladimir Putin und forderte ihn auf, dem Strom von Rüstungsgütern, Militärberatern und bewaffnetem Personal über die Grenze in die Ukraine ein Ende zu setzen.

Moskau dementiert - Ukraine bleibt Details schuldig

Moskau hat die jüngsten Vorwürfe sofort scharf dementiert. Tatsächlich: Bis zum späten Samstagnachmittag lieferte die ukrainische Regierung keine Beweise. Weder dafür, dass überhaupt russisches Militär auf ihr Territorium vorgestoßen war, noch dafür, dass gepanzerte Fahrzeuge zerstört wurden. Es gibt weder Angaben zu Toten, Verletzten oder Gefangenen, noch Fotos von zerstörtem Material, das in der derzeitigen Lage kaum aus dem Kampfgebiet abtransportiert worden wäre. Dies alles geschieht in einer aufgeheizten Lage, in der beide Seiten keine Propagandamöglichkeit auslassen. So forderten die USA auch entsprechende Beweise.

Der Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums, Andrej Lysenko, teilte auf seinem täglichen Medienbriefing am Samstagmittag lediglich noch einmal mit, was die Administration von Poroschenko bereits am Freitag um 14.22 Uhr Kiewer Ortszeit ins Internet gestellt hatte. In der Meldung geht es um ein Telefonat, das Poroschenko mit dem britischen Premierminister David Cameron geführt hatte. Wörtlich heißt es auf der Website: "Der Präsident hat die Informationen bestätigt, sie sind richtig, das meiste militärische Gerät wurde in der Nacht von ukrainischer Artillerie zerstört."

Donnerstagnacht hatten britische Journalisten der Tageszeitung "Guardian" über einen Grenzübertritt russischer Truppen in der Region Donezk berichtet. Lysenko sagte am Samstag: "Ein großer Teil des Konvois wurde durch Artillerie der ukrainischen Truppen zerstört." Allerdings beeilte er sich festzustellen, dass Russland regelmäßig militärische Ausrüstung, auch gepanzerte Fahrzeuge, in die Ostukraine schicke. Derzeit gebe es allerdings Behinderungen, weil die meisten Städte im Donbass von ukrainischen Einheiten umstellt seien, die "Lieferung von russischer Militärausrüstung ist in ernsthaften Schwierigkeiten".

Poroschenko muss auf seinen Ruf achten

Schwierigkeiten könnte auch Poroschenko bekommen. Sollte sich herausstellen, dass es den von ihm beschriebenen Überfall auf den russischen Konvoi in der Form nicht gegeben hat, würde das den Ruf des erst vor knapp drei Monaten mit großer Mehrheit ins Amt gewählten Präsidenten wohl erheblich beschädigen. Weder das Außenministerium der Ukraine noch Poroschenkos Sprecher Swjatoslaw Tsegolko waren am Samstag zu Auskünften bereit, wo und wann sich der Zwischenfall genau ereignet haben soll – und warum es bisher keine Bilder davon gibt.

Auch die Medien in der Ukraine berichten über den angeblichen Vorfall äußerst spärlich. Am späten Freitagabend hatte sich Präsidentenberater Juri Luzenko über Facebook zur angeblichen Attacke auf die vermeintlichen russischen Eindringlinge geäußert. Der frühere Innenminister schrieb: "So geht man mit ungeladenen Gästen um, sie sollen hier – verdammt noch mal – nicht herumlaufen." Und weiter, das ukrainische Militär sei "mit 70 gepanzerten Fahrzeugen, an denen russische Hoheitszeichen prangten, fertig geworden".

Klar dürfte sein, dass sich der ukrainische Außenminister Pawel Klimkin, der am Sonntag in Berlin zu einem Krisengespräch mit seinem russischen Amtskollegen Sergej Lawrow und dem deutschen Außenminister Frank-Walter Steinmeier erwartet wird, kritische Fragen anhören muss.

Separatisten: 30 Panzer von Moskau

Die Separatisten in der Ostukraine haben nach eigener Darstellung massive militärische Unterstützung aus Russland erhalten. 30 Panzer sowie 1200 auf russischem Gebiet ausgebildete Kämpfer seien zur Verstärkung gekommen, verkündete ihr Anführer Alexandr Sachartschenko in einem Video. Die russische Führung hat eine direkte Beteiligung am Konflikt in der Ostukraine immer bestritten. Der Kreml teilte mehrfach mit, es sei möglich, dass Freiwillige zum Beispiel aus dem Nordkaukasus aus eigener Initiative aufseiten der Separatisten kämpfen könnten.

Gefechte mit Separatisten halten an

Die schweren Gefechte im Osten des Landes gingen auch am Samstag weiter. Dabei sind nach Angaben prorussischer Separatisten 30 Angehörige der Regierungstruppen getötet worden. Die Soldaten seien in der Region Lugansk unweit der russischen Grenze unter Beschuss der Rebellen gekommen, hieß es am Samstag auf einer von Separatisten betriebenen Internetseite. Das Militär habe zwei Dörfer in der Nähe der Rebellenhochburg Donezk mit Granaten beschossen, erklärten die Separatisten weiter. Auch das Zentrum der Großstadt sei unter Artilleriebeschuss genommen worden. Ein Sprecher des ukrainischen Verteidigungsministeriums wies die Berichte über den Granatenbeschuss zurück. Er sagte, in den vergangenen 24 Stunden seien drei ukrainische Soldaten getötet worden. Er fügte hinzu, dass zuletzt russische Drohnen und ein Hubschrauber illegal in den ukrainischen Luftraum eingedrungen seien.

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