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Brandrodung: Allein in den vergangenen sechs Monaten wurden im Amazonasgebiet 900 Quadratkilometer Wald vernichtet, um Ackerland zu gewinnen. Foto: Marcelo Sayao, pa/dpa

© picture alliance / dpa

Brasilien: Kahlschlag um jeden Preis

Brasiliens neues Waldgesetz kommt der Agrarindustrie entgegen und erleichtert die Rodung des Urwalds.

Berlin - Umweltschützer sprechen von einem Desaster. Allein in den ersten sechs Monaten dieses Jahres ist im brasilianischen Amazonasgebiet eine Waldfläche von 900 Quadratkilometern abgeholzt worden – das entspricht der Größe Berlins. Dort grasen nun Rinder, oder es breiten sich endlose Soja- und Zuckerrohrfelder aus. Im Vergleich zu 2010 hat sich die Einschlagsrate in Amazonien damit mehr als verdoppelt, nachdem sie seit 2004 stetig gesunken war. Die Fläche der geschädigten (noch nicht gerodeten) Flächen liegt um ein Vielfaches höher.

Anstatt den Raubbau jedoch zu bremsen, bedient Brasiliens Politik die Interessen der Agrarindustrie. Erst kürzlich hat das Abgeordnetenhaus ein neues Waldgesetz mit 410 zu 63 Stimmen verabschiedet, das Rodungen weiter vereinfacht. Dahinter steckt das Ziel, die USA als größten Lebensmittelexporteur der Welt zu überhohlen. Seit 2001 ist die Agrarfläche Brasiliens um 21 Prozent ausgeweitet worden. Die Menge des produzierten Getreides ist seit den siebziger Jahre von 20 Millionen Tonnen auf 160 Millionen jährlich gestiegen. Weil die Bauern Produktionssteigerungen aber nicht mit höheren Erträgen pro Hektar erzielen, verlangen sie ständig nach neuen Böden. In einem Land, das fast 25 Mal so groß wie Deutschland ist, scheint es davon genug zu geben.

In diesem Zusammenhang ist das neue Waldgesetz zu sehen: Waren die Großgrundbesitzer in den bewaldeten Gebieten Amazoniens bisher verpflichtet, 80 Prozent des natürlichen Baumbestandes zu erhalten, wird diese Fläche auf 50 Prozent verkleinert. Farmen bis 440 Hektar fallen aus den Bestimmungen heraus, dürfen also komplett gerodet werden. Der Schutzgürtel entlang von Flüssen wird von 30 Meter auf 15 Meter halbiert. Im größten Flusseinzugsgebiet der Welt würden dadurch verstärkt Pestizide und Erdreich in die Wasserläufe geschwemmt. Hinzu kommt, dass illegalen Kahlschlägern eine Amnestie versprochen wird.

Zwar hat das neue Waldgesetz noch nicht den Senat passiert, und Präsidentin Dilma Rousseff hat ihr Veto gegen die Amnestie angekündigt. Doch es scheint, als ob Brasilien, euphorisiert vom Aufstieg zur fünftgrößten Wirtschaftsmacht der Welt, stärker denn je auf ein Entwicklungsmodell setzt, in dem für Umweltbelange kein Platz ist.

Dem Bau eines gigantischen Wasserkraftwerks am Fluss Xingu hat die brasilianische Regierung trotz zahlreicher Klagen und Bedenken von Wissenschaftlern bereits zugestimmt. Der 17 Milliarden Dollar teure Staudamm, an dessen Bau auch deutsche Firmen beteiligt sind, wäre der drittgrößte der Welt: Mehr als 500 Quadratkilometer Regenwald würden überflutet und das indigene Volk der Kajapó vertrieben.

Es wird also geklotzt. Doch Gewalt wird nicht nur der Umwelt angetan, sondern auch ihren Beschützern. Fünf Aktivisten sind in den letzten Wochen im Amazonasgebiet umgebracht worden. Die bekanntesten waren José Claudio Ribeiro da Silva und seine Frau Maria, die im Bundesstaat Pará, einem der sogenannten „Frontstaaten“ an der Grenze zum Urwald, erschossen wurden. Die Killer schnitten den Aktivisten jeweils ein Ohr ab. Als im brasilianischen Parlament ein Abgeordneter die Aufklärung der Morde forderte, wurde er von den Vertretern der mächtigen Agrarlobbys ausgebuht. Auf Youtube hatte da Silva seinen Tod vorhergesehen: „Ich lebe ständig mit einer Kugel im Kopf, weil ich Holzhändler und Köhler anklage.“ Einen Zeugen des Mordes töteten die Killer ebenfalls.

Wenige Tage später wurden der Kleinbauernführer Adelino Ramos und der Umweltschützer Obede Loyla Souza umgebracht. Damit sind in den letzten 15 Jahren bei Landkonflikten in Brasilien 231 Menschen gewaltsam ums Leben gekommen, wie die katholische Pastoralkommission der Erde errechnet hat, die sich für Landlose und Amazonasindianer einsetzt. Weitere Menschen stünden auf den Todeslisten der Agrarmafia, so die Kommission.

Tatsächlich haben Agrarunternehmer in den abgelegenen, riesigen Regionen des brasilianischen Nordens freie Hand. Nicht selten sind Politiker selbst Großgrundbesitzer und haben dementsprechende Interessen, etwa an einer massiven Ausdehnung des Soja-Anbaus (die Bohnen landen zu 80 Prozent als Futter in den Massentierhaltungen Europas und der USA). Dass es in Brasiliens Norden nur wenige verlässliche Landtitel gib, verschärft den Konflikt um die Böden. Hinzu kommt, dass sich die Regierung von Ex-Präsident Lula da Silva nie zu der versprochenen Landreform durchringen konnte. Nun stehen Landlose und Kleinbauern gegen Holzfäller, Viehhalter und die Agrarindustrie. Die indigene Bevölkerung findet sich meist zwischen den Fronten wieder. Das größte Opfer in diesem Konflikt aber ist der Amazonaswald, von dem bereits 40 Prozent verschwunden oder schwer geschädigt sind.

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