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Im Fokus. Kurdische Soldatin der Syrischen Demokratischen Kräfte.

© Umnaber/dpa

Kampf um Afrin in Syrien: Türkei will offenbar Kurdengebiet besetzen

Die türkische Regierung bereitet einen Einmarsch in den Norden Syriens vor. Russland würde den Angriff dulden – und so den Streit mit den USA verschärfen. Was planen die Kurden?

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Türkische Truppen stehen offenbar vor einem Einmarsch in Syrien. Anfang August könnten 7000 an der Grenze stationierte Soldaten versuchen, die nordsyrische Provinz Afrin zu besetzen. Dabei helfen sollen ihnen 13.000 Kämpfer, die sich aus islamistischen Milizen und womöglich Einheiten der Freien Syrischen Armee (FSA) rekrutieren. Dies berichten türkische Medien und syrische Oppositionelle. Nahe der Grenzstadt Kilis warten türkische Panzer.

Einige Beobachter befürchten, dass danach auch die schon jetzt von protürkischen Milizen gehaltene Provinz Idlib besetzt werde – dort bekämpfen sich die islamistischen Rebellengruppen inzwischen untereinander. Beim geplanten Angriff auf Afrin geht es darum, die kurdische Selbstverwaltung in Syrien zu beenden. Schon in den vergangenen Wochen beschoss die türkische Armee kurdische Orte. Sollte der Einmarsch gelingen, verfügte die Türkei nicht nur über einen seit 2015 bestehenden Korridor in Nordsyrien, sondern eine Besatzungszone.

Russen aus Afrin abgezogen - nach Deal mit der Türkei

Die Gesellschaft für bedrohte Völker warnt davor, dass hunderttausende Kurden, Araber und Christen aus Afrin vertrieben würden – viele von ihnen kamen einst aus dem umkämpften Aleppo, um Schutz in Afrin zu finden. Afrin gehört zu Rojava, jenem Gebiet, das eine Koalition um die Kurdenpartei PYD als Autonomieregion gegen Islamisten und Truppen von Baschar al Assad verteidigt. Die linke PYD gilt als Schwesterpartei der auch in Deutschland verbotenen PKK und wird von einer internationalen Solidaritätsbewegung sowie den USA unterstützt.

Umstrittenes Land - die meisten syrischen Provinzen sind umkämpft.
Umstrittenes Land - die meisten syrischen Provinzen sind umkämpft.

© Tsp

Auch Russland, das im Syrien-Krieg zugunsten Assads intervenierte, hielt einst zu den PYD-Kurden. Doch die weigerten sich, zusammen mit Assad gegen den „Islamischen Staat“ (IS) zu kämpfen. Stattdessen befreien die Kurden nun als Spitze der Syrischen Demokratischen Kräfte (SDF) das Gebiet um Rakka vom IS. Russland spielt dabei keine Rolle, die Waffen kamen von den USA.

Als dann vor einigen Wochen ein syrischer Kampfjet am Euphrat einen Kurden-Posten bombardierte, schossen US-Piloten den Angreifer ab. Das verärgerte bereits die Moskauer Führung – nun könnte sie die Kurden vollends fallen lassen. In Afrin stationierte russische Militärs sind bereits abgezogen. Zudem meldeten türkische Sender, dass russische Diplomaten den Kurden erklärt hätten, aus welchen Orten sie sich zurückziehen sollten, um sie protürkischen Milizen zu überlassen. Türkischen Medien zufolge geht man in Ankara davon aus, dass der Kampf gegen die Kurden zehn Wochen dauert – wenn massive Luftangriffe auf Rojava geflogen werden.

Chef der Kurdenpartei PYD: "Die Menschen in Afrin werden sich verteidigen"

Nach Tagesspiegel-Informationen setzen die Kurden nun mehr denn je auf lokale Allianzen. PYD-Chef Salih Muslim sagte: „Im Kanton Afrin leben fast 1,5 Millionen Menschen, sie werden sich verteidigen.“ Dem Politiker zufolge gebe es die von der Türkei genannten FSA-Einheiten um Afrin nicht. „Die meisten FSA-Kämpfer haben sich den SDF angeschlossen, um mit uns Rakka zu befreien.“ Den Syrischen Demokratischen Kräften gehören auch Christen an.

In Kasachstan hatten unter Russlands Führung vor einigen Wochen die Türkei, der Iran und Syrien eigene Verhandlungen geführt: Kurdische Autonomiebestrebungen lehnen alle drei Staaten ab. In der Türkei geht die Armee hart gegen die PKK vor, während die linken Kurden im Iran nur noch ein brüchiger Waffenstillstand vor den Mullahs schützt.

Die Beobachter aus dem in Berlin residierenden Kurdischen Zentrum „Civaka Azad“ gehen davon aus, dass in der Türkei ein Aufstand ausbricht, wenn Afrin angegriffen wird. Schon als Ankara 2015 Islamisten gegen die PYD unterstützte, begann im kurdischen Südosten der Türkei ein Aufstand. Tausende starben, Hunderttausende flohen, Gespräche zwischen Ankara und der PKK sind unwahrscheinlicher geworden.

Syrer befürchten türkische Annexion

Die USA haben den Ernst der Lage erkannt und erhöhen den Druck auf die Regierung in Ankara. US-Verteidigungsminister James Mattis hatte erklärt, es sei möglich, die syrischen Kurden auch nach der Befreiung von Rakka mit Waffen zu unterstützen. Die USA fürchten, dass im Schatten der Kämpfe an der türkischen Grenze weiter südlich eine russisch-syrisch-iranische Allianz ihr Ziel verwirklicht: einen pro-schiitischen Korridor vom Mittelmeer zum Iran.

Einst wollte auch die sunnitische Regierung in Ankara einen schiitischen Korridor verhindern. Die Nato-Partner Türkei und USA waren sich einig. Nun aber setzt man in Washington auf die von säkularen Kurden dominierten SDF. Sie sollen nach Rakka auch das südlichere Deir ez Zor vom IS befreien. Östlich der Stadt stehen schon Schiiten aus dem Irak, von Westen könnte Assads Armee kommen.

Eine Besatzung von Afrin und Idlib lehnen sowohl regimetreue Syrer als auch viele Rebellen und die meisten Kurden ab. Sie befürchten eine dauerhafte Annexion. Historisch beanspruchten türkische Nationalisten das Gebiet.

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