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Gesangbuch auf einer leeren Kirchenbank in der katholischen Stadtpfarrkirche in Fulda.

© epd

Katholische Kirche in Deutschland: Rekord bei Kirchenaustritten - aber Zuwachs in Berlin

2014 sind so viele Menschen wie noch nie aus der Katholischen Kirche ausgetreten. Eine gegenläufige Bewegung gibt es ausgerechnet im weltlichen Berlin. Das hat einen ganz bestimmten Grund.

Im vergangenen Jahr sind so viele Menschen wie noch nie aus der Katholischen Kirche in Deutschland ausgetreten. Die Zahl der Kirchenaustritte stieg um mehr als 20 Prozent auf 217.716 (2013: 178.805). Der bisherige Höchststand lag bei rund 192.000 im Jahr 1992. Laut der am Freitag in Bonn veröffentlichten Statistik der Deutschen Bischofskonferenz hat damit fast jeder hundertste Katholik (0,91 Prozent) 2014 seiner Kirche den Rücken gekehrt.

Das Erzbistum Berlin hat gegen den Bundestrend im vergangenen Jahr Kirchenmitglieder hinzugewonnen. Die Zahl der Katholiken im Erzbistum steige weiter leicht an, erklärte Diözesanadministrator Prälat Tobias Przytarski am Freitag in Berlin. Sie lag Ende 2014 bei 408.953 Mitgliedern, ein Plus von 1.893 Menschen gegenüber dem Vorjahr. Ursache sei im Wesentlichen der weiterhin starke Zuzug: „Zu uns kommen Menschen aus aller Welt, nicht nur aus den eher katholisch geprägten Regionen der Bundesrepublik, sondern aus ganz Europa, ja aus der ganzen Welt“, sagte Przytarski. Zum Erzbistum Berlin gehören weite Teile Brandenburgs und Vorpommerns. Mit insgesamt 23,93 Millionen Kirchenmitgliedern (2013: 24,17 Millionen) ist die römisch-katholische Kirche in Deutschland aber weiterhin die größte Religionsgemeinschaft mit einem Bevölkerungsanteil von 29,5 Prozent (2013: 29,9 Prozent). An zweiter Stelle liegen die Landeskirchen der EKD mit deutschlandweit 22,63 Millionen Mitgliedern (2013: 23,04 Millionen). Ihr Anteil sank damit von 28,5 auf 27,9 Prozent.

Die genauen Zahlen der Evangelischen Kirche kommen noch

Die Austrittszahlen der Evangelischen Kirche in Deutschland (EKD) sind noch nicht bekannt, doch die Gesamtzahl der Protestanten hat um mehr als 400.000 abgenommen, während die Gesamtzahl der Katholiken um rund 240.000 zurückging. Auch wenn hier noch Zu- und Wegzüge, Taufen und Beerdigungen mit einberechnet werden müssen, deutet vieles auf eine noch höhere Zahl von Austritten auf evangelischer Seite hin.
Bemerkenswert ist in der Statistik der katholischen Kirche ein leichter Anstieg bei den Teilnehmern der Sonntagsgottesdienste. Ihr Anteil stieg von 10,8 auf 10,9 Prozent. Zuvor war er über Jahrzehnte stark rückläufig gewesen. Leichte Zuwächse gab es auch bei den katholischen Taufen mit 164.833 (164.664) sowie bei den Eheschließungen mit 44.158 (2013: 43.728). Auch bei dieser Zahl war es die erste Trendumkehr nach einer langen Abwärtsreihe.
Der Vorsitzende der Bischofskonferenz, Kardinal Reinhard Marx, erklärte zu den neuen Daten, die hohe Zahl von Kirchenaustritten mache den Bischöfen „schmerzlich bewusst, dass wir Menschen mit unserer Botschaft nicht erreichen“. Hinter den Austritten stünden „persönliche Lebensentscheidungen, die wir in jedem einzelnen Fall zutiefst bedauern, aber auch als freie Entscheidung respektieren“.
Der Bamberger Erzbischof Ludwig Schick sagte in Bamberg, er setze auf den Papst und hoffe, dass der „Franziskus-Effekt“ zu einer Trendwende führen werde. Denn der Papst treibe die Erneuerung in der Kirche voran. Eine Ursache des Anstiegs der Kirchenhaustritte ist nach Einschätzung des Freiburger Erzbischofs Stephan Burger das neue Einzugsverfahren der Kirchensteuer auf Kapitalerträge, das von vielen Menschen als Steuererhöhung missverstanden werde. Burger rief dazu auf, den persönlichen Glauben wieder klarer im Alltag zu zeigen und so Menschen für das Christentum zu begeistern.
Auffällig bei der Statistik sind auch die regionalen Unterschiede. So bleiben die Katholiken in den rein ostdeutschen Bistümern mit Abstand die treuesten Gottesdienstbesucher. Spitzenreiter ist das kleine Bistum Görlitz mit 21,1 Prozent, gefolgt von Erfurt mit 19,4 und Dresden-Meißen mit 18,1 Prozent. Die eifrigsten Gottesdienstbesucher im Westen hat das Bistum Regensburg mit 17 Prozent. Schlusslichter sind die Bistümer Hildesheim, Essen und Aachen, wo jeweils nur rund 8,5 Prozent der Katholiken sonntags in die Kirche gehen.
Für Kardinal Marx zeigt die aktuelle Statistik trotz der hohen Zahl von Austritten, „dass Kirche vielgestaltig ist und eine missionarische Kraft hat“. Zugleich dankte er allen Katholiken, die sich in Pfarreien, Ordensgemeinschaften, Verbänden, Einrichtungen und auch in der Caritas auf unterschiedliche Weise einsetzen. Gemeinsam mit dem Papst wolle die Kirche in Deutschland eine Kirche „im Aufbruch“ sein, „die sich um der Menschen und um Gottes willen aktiv in die Gesellschaft einbringt“.

Religionssoziologe sieht dramatische Entwicklung

Der Freiburger Religionssoziologe Michael Ebertz bewertet den neuen Höchststand der Zahl der Kirchenaustritte als Folge eines rasch voranschreitenden, dramatischen Verlustes der Kirchenbindung in der deutschen Gesellschaft. „Der Anteil der Katholiken an der Gesamtbevölkerung ist erstmals unter 30 Prozent gefallen, die Austrittszahlen sind dagegen klar über die 200.000er-Marke gestiegen, und der Rückgang bei den kirchlichen Bestattungen zeigt, dass die Kirchen selbst am Lebensende ihr Monopol im Todesfall verlieren“, sagte Ebertz am Freitag der Katholischen Nachrichten-Agentur (KNA).
Das mache deutlich, so Ebertz, dass die Kirchen immer seltener in der Lage seien, vor allem junge Menschen langfristig zu binden. „Dies ist eindeutig auch eine Folge des jahrelangen Umbaus der seelsorglichen Strukturen unter dem Kennzeichen des Priestermangels. Immer weniger Menschen kommen überhaupt noch in ihrem Alltag mit Pfarrern oder anderen Vertretern von Kirche in Kontakt“, sagte Ebertz. Daher schwinde die religiöse Bindekraft der Kirche.
Für den Wissenschaftler macht die am Freitag veröffentliche Kirchenstatistik auch deutlich, dass es in Deutschland keinen „Franziskus-Effekt“ gebe: „Ich kann nicht erkennen, dass die - mediale - Popularität des Papstes hierzulande zu neuer Kirchenbindung führen würde.“
Umgekehrt wirkten der Missbrauchsskandal und der Finanzskandal um den Limburger Bischof Franz-Peter Tebartz-van Elst noch immer nach. Auch das neue Einzugsverfahren der Kirchensteuer auf Kapitalerträge habe eine Rolle gespielt, viel entscheidender seien aber die langfristigen Entwicklungen.
Ebertz betonte, wissenschaftliche Studien zeigten auch, dass die bisher wichtigsten Gründe für eine Kirchenmitgliedschaft zunehmend an Plausibilität verlören: das soziale Engagement der Kirche sowie das Anbieten von Riten an wichtigen Lebensabschnitten wie Taufe, Trauung oder Bestattung. „Längst sind dies keine kirchlichen Alleinstellungsmerkmale mehr. So stehen Caritas und Diakonie in direkter Konkurrenz zu nichtkirchlichen sozialen Trägern. Und auch der Markt für frei gestaltete Riten der Lebenswende boomt.“
Der Religionssoziologe stellte auch den seit mehreren Jahren andauernden Rückgang bei kirchlichen Bestattungen heraus: „Vielleicht ist es die prägnanteste Kennzahl der Statistik, dass entgegen der demografischen Entwicklung mit einer steigenden Zahl von Todesfällen die kirchlichen Bestattungen deutlich zurückgehen.“ Immer weniger Menschen glaubten daran, dass nur der christliche Glaube und die Kirche eine Heilsperspektive nach dem Tod eröffneten.
Hinzu komme die Tendenz, dass junge Menschen gerade bei der Gestaltung von Hochzeiten und Taufen vor allem daran interessiert sein, diese Feier als einzigartiges und unverwechselbares Event zu gestalten. „Und dies verträgt sich schlecht mit dem Wesen des kirchlichen Ritus', der ja immer eine gemeinschaftsstiftende Kraft beansprucht.“ Der Markt für alternative Anbieter von Riten bei Hochzeiten werde daher künftig noch weiter wachsen, so die Einschätzung von Ebertz. (KNA/epd)

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