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Die Initiatorinnen: Linken-Parteichefin Katja Kipping, die Grünen-Abgeordnete Franziska Brantner, Sabine Schmidt von der SPD und Ex-Familienministerin Kristina Schröder, heute CDU-Abgeordnete (von links).

© Bundestagsbüro Kristina Schröder

Kinder und Bundestag: Zwischen Pampers und Parlament

Abgeordnete aller Fraktionen von Linke bis CDU wollen, dass sie Politik machen und dennoch ihre Kinder sehen können. Bisher ist kein einziger Mann dabei.

Für sie gilt keine Elternzeit, sie sind oft auch von ihren kleinen Kindern getrennt, pendeln zwischen zwei Wohnsitzen, kennen kein Wochenende, nicht mal im Urlaub, und ihre wichtigste Arbeitszeit liegt manchmal mitten in der Nacht: Bundestagsabgeordnete und junge Eltern zu sein - noch weniger als bei anderen Jobs scheint hier Beruf und Familie zusammenzupassen. Dennoch werden es immer mehr - zum Nutzen auch der Politik, sagt Katja Kipping, die Vorsitzende der Linken wurde, als ihre Tochter gerade sechs Monate alt war: Man müsse sich doch eher fragen, was die Zeiten der fast reinen Männerparlamente bedeutet hätten, als gerade finanzpolitische Entscheidungen "von Menschen getroffen werden, die das Leben mit kleinen Kindern bestenfalls von einer halben Stunde am Sonntag kannten".

Immer mehr Babys für den Bundestag

Der Babyboom im Parlament - allein bei den Grünen haben elf der 63 Abgeordneten seit der letzten Bundestagswahl Kinder bekommen oder erwarten sie in den nächsten Wochen und Monaten - sollte allerdings auch dazu führen, dass das Parlament sich darauf einstellt. Das findet eine große und alle Fraktionen einende Fraueninitiative. "Eltern in die Politik!" heißt ihre Kampfansage an Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit, eine kinderfeindliche Geschäftsordnung und eine Kultur, die einen freien Sonntagmorgen des Abgeordneten für den Kirchgang zwar akzeptiert, aber nicht für freie Zeit mit den Kindern - weshalb, wie Franziska Brantner schmunzelnd aus ihrer Zeit im Europaparlament erzählt, eine Kollegin immer ihre Frömmigkeit als Vorwand bemühte.

Für ihre Website, die seit Mittwoch freigeschaltet ist, haben sie den berühmten Slogan der Gewerkschaften aus dem Kampf um die Fünf-Tage-Woche "Samstags gehört Vati mir" gewählt und für sich abgewandelt und modernisiert: "Sonntags gehören Mutti und Vati uns."

Nach dem Samstag der Kampf um den freien Sonntag

Um diesen Tag nämlich wollen sie kämpfen. "Der Sonntag sollte politikfrei sei", heißt es in ihren Forderungen, in denen sie sich selbst dazu verpflichten, "grundsätzlich keine Sitzungen auf den Sonntag" zu legen und nur zu solchen Veranstaltungen einzuladen, bei denen auch Familien dabei sein können. Dass man ab und zu und in einer heißen Phase der Politik dann doch mal in die abendliche Talkshow geht, wollen sie nicht ausschließen, sagen sie.

Aber der Rechtfertigungsdruck müsse weg: "Nicht die, die einen Termin am Sonntag nicht wahrnehmen können, müssen sich rechtfertigen, sondern die, die ihn auf diesen Tag legen." Die Frage müsse einfach präsenter werden, sagt Kristina Schröder, die frühere Familienministerin und nach wie vor CDU-Abgeordnete: "Als ich schwanger war, haben sich alle überschlagen vor Rücksicht. Jetzt scheinen viele vergessen zu haben, dass ich zwei kleine Kinder habe." Franziska Brantner wünscht sich skandinavische Verhältnisse: "Dort werden Politiker gefragt, ob sie denn keine guten Väter sein wollten, wenn sie zur Gute-Nacht-Geschichten-Zeit außer Haus sind."

Und wo bleiben die Männer?

Überhaupt die Väter: Die fehlen in der Initiative noch völlig. 50 Frauen und kein einziger junger Vater - das führt, als die Initiatorinnen ihre Pläne vorstellen, zu einem ganzen Sturm von Fragen. Die Abgeordneten, so stellt sich heraus, haben einfach keinen Kollegen angesprochen. Dass ihr Projekt als Aufstand überforderter Muttis abgetan werden könne, fürchten sie nicht: "Wir sind ja erst am Anfang"; sagt Schröder. "Sehen Sie in ein paar Tagen einmal auf unsere Website, die Männer werden schon noch kommen." Positiven Rücklauf gebe es unter männlichen Kollegen bereits, aber die kurzen Wege habe es erst einmal unter Frauen gegeben. Um das Projekt zunächst in aller Ruhe und ohne öffentliche Debatte besprechen zu können, "wollten wir es erst einmal in einem überschaubaren Kreis halten", sagt Schröder.

Sie, die schon ihren Verzicht aufs Ministeramt mit der Familie begründete, ist selbst mit einem Kollegen verheiratet. Ihr Mann und Vater ihrer beiden 1- und 4-jährigen Töchter ist Ole Schröder, Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesinnenministerium. War das etwa der wahre Grund der Initiative: beweisen, dass überfraktionelle Zusammenarbeit klappt, wenn nur die Frauen es versuchen? Jedenfalls ein "Kollateralnutzen", sagt Dagmar Schmidt von der SPD. In ihrer Fraktion hätten auch Männer sich engagiert, "die Initiative ging aber von den Frauen aus".

Mutter werden gilt als Faulheit

Die hatten nämlich auch einen gemeinsamen Anlass, berichtet Schröder. In Medienberichten über den oder die "faulste Abgeordnete" rangierten regelmäßig die Mütter kleiner Kinder ganz oben. Dabei genüge schon eine Mutterschutzphase - auf die auch schwangere Abgeordnete Anspruch haben, anders als auf Elternzeit - um auf der Hitliste der meisten verpassten namentlichen Abstimmungen ganz nach oben zu schießen. Auch dem wollen sie jetzt abhelfen. Die Geschäftsordnung des Bundestags soll, wenn es nach ihnen geht, demnächst bestimmen, dass im Protokoll Abwesenheitsgründe aufgeführt werden, wenn die Betroffenen dies denn wollen.

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