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Der Fall Sebastian Edathy gibt Rätsel auf.

© dpa

Kinderpornografie-Verdacht: Der rätselhafte Fall Edathy

Er meldet sich krank, legt sein Mandat nieder – dann steht die Polizei vor seiner Tür. Von Hinweisen auf einen Kinderpornoring aus Kanada ist plötzlich die Rede. Der SPD-Politiker Sebastian Edathy gibt Rätsel auf.

Ehrgeizig, sagen sie in der SPD, ist der Mann. Vielleicht ein wenig verbissen. Gut vernetzt, aber auch ein Einzelkämpfer. Jetzt steht er vor seiner härtesten Bewährungsprobe. Er muss gegen einen Vorwurf ankämpfen, der so schwer wiegt, dass er jede Karriere zerstört: den Besitz von Kinderpornografie. Sebastian Edathy, 44 Jahre jung, kämpft um seinen Ruf.

Bis vergangenen Freitag ist er Bundestagsabgeordneter der SPD, ein Innenpolitiker mit einer steilen, aber nicht immer geradlinig verlaufenden Karriere. Er hatte bei jeder Wahl seinen Kreis in Niedersachsen direkt gewonnen, egal, wie verheerend die politische Stimmung für die Bundespartei auch war. Er war von 2005 bis 2009 Vorsitzender des Innenausschusses. Vor allem aber war er Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses, der die Morde der rechten Terrorzelle aufklären sollte. Dieses Amt hat ihn bekannt gemacht, es hat ihm eine gewisse Größe verliehen. Jetzt gibt Sebastian Edathy Rätsel auf.

Am vergangenen Freitag legt Sebastian Edathy auf einmal sein Mandat als Bundestagsabgeordneter nieder, aus „gesundheitlichen Gründen“. Für die Fraktionskollegen kommt es nicht ganz überraschend, denn bereits seit Anfang des Jahres ist er krankgemeldet, sogar ein offizielles Attest gibt es. Aber der Kontakt zu Edathy reißt ab. Auch Parteifreunde aus dem Landesverband erreichen ihn nicht. Spekulationen machen die Runde: Burn-out vielleicht, Enttäuschung, wirklich eine Krankheit oder vielleicht doch mehr? Ein paar wenige sollen von dem Verdacht, der am Dienstag publik wurde, gehört haben. Die Parteiführung erfährt am Montagabend von dem Fall. Fest steht: Die Staatsanwaltschaft Hannover hat ein Ermittlungsverfahren gegen Edathy eingeleitet, verschiedene Büros, allerdings nicht sein ehemaliges Büro im Bundestag, sowie seine Wohnung in Rehburg wurden am Montag durchsucht.

Edathy selbst war nicht anwesend. Dafür aber die Presse, was den Vorgang besonders brisant macht. „Die Harke“ heißt die ortsansässige Lokalzeitung und sie berichtet über Kinderpornografie. Ein Vorwurf, den die Staatsanwaltschaft weder bestätigt noch dementiert. Als Quelle nennt die Zeitung „SPD-Kreise in Niedersachsen“. Mehr noch. Sie veröffentlicht Bilder von Edathys Wohnung, aufgenommen durch das Fenster. „Das kommentieren wir nicht, damit haben wir nichts zu tun“, erklärt die Staatsanwaltschaft.

Am Dienstagmorgen ist es erst mal nur „Die Harke“, die den Verdacht der Kinderpornografie in die Welt setzt. Dann kommt Christine Lambrecht. Sie ist Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Fraktion und sagt am Morgen: „Die genannten Gründe, Verdacht auf Besitz von Kinderpornografie, sind schwerwiegend.“ Plötzlich ist aus einem Zeitungsbericht eine Bestätigung geworden. Einige Zeit später wird ihr das auch bewusst und sie rudert zurück. Sie habe keine näheren Informationen, sondern beziehe sich nur auf Presseberichte.

Was ist das nun? Verschwörung? Racheakt? Oder persönlicher Fall?

Und Edathy selbst? Er geht nicht ans Telefon. Schweigt aber auch nicht. Auf seiner Facebook-Seite wehrt er sich gegen den Vorwurf: „Ein strafbares Verhalten liegt nicht vor.“ Am Nachmittag tritt Thomas Oppermann vor die Presse. Der SPD-Fraktionschef entscheidet sich für die kontrollierte Offensive. Er greift Edathy nicht an, verteidigt ihn aber auch nicht beherzt. „Die geäußerten Vorwürfe gegen den ehemaligen Bundestagsabgeordneten Sebastian Edathy wiegen ungeheuer schwer. Ich erwarte von den Ermittlungsbehörden, dass sie diesen Sachverhalt schnell, umfassend und genau aufklären.“ Andere Genossen sprechen von „Fassungslosigkeit“ oder von „Schock“. Hat da einer sein Bundestagsmandat niedergelegt, um der Aufhebung der Immunität zuvorzukommen? Eindeutig klären lässt sich das noch nicht.

Was ist das nun? Ein neuer Fall Jörg Tauss? Eher nicht. Der ehemalige Sozialdemokrat war ebenfalls Bundestagsabgeordneter und wurde im Jahr 2010 rechtskräftig verurteilt, weil er kinderpornografisches Material besaß. Seine Immunität wurde aufgehoben, obwohl er vorgab, das Material nur aus „Recherchezwecken“ verwendet zu haben.

Oder ist es ein Racheakt der rechten Szene? Edathy, dessen Mutter in Deutschland geboren wurde und dessen Vater, Pfarrer in Hannover, in Indien aufgewachsen ist, hatte immer wieder mit rassistischen Beschimpfungen, Beleidigungen und Übergriffen zu tun. Der schwerwiegendste Fall ereignete sich im Dezember 2012, als ein Sprengsatz im Briefkasten seines Wahlkreisbüros detonierte.

Oder ist es ein Fall für die Verschwörungstheoretiker? Schließlich hat sich Edathy als Vorsitzender des NSU-Untersuchungsausschusses mit nahezu sämtlichen deutschen Sicherheitsbehörden angelegt. Eher unwahrscheinlich. Dass die Ermittlungsbehörden ernsthafte Hinweise hatten, liegt auf der Hand, sonst hätten sie keinen Durchsuchungsbeschluss für Edathys Wohnung und Büros bekommen.

Hinweise aus Kanada sollen zu Edathy führen

Der NDR berichtet, dass der Name Edathy bereits im Zuge von Ermittlungen des Bundeskriminalamts zum Thema Kinderpornografie im vergangenen Jahr aufgetaucht sein soll. Der Spiegel wiederum berichtet von Informationen aus Kanada auf einen internationalen Kinderporno-Ring, dessen Spur auch nach Deutschland führen soll. Die Hinweise auf deutsche Kunden sollen an das BKA weitergeleitet und von der Zentralstelle Internetkriminalität der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main bearbeitet worden sein. Diese soll sich in mehreren Fällen entschieden haben, die Staatsanwaltschaften an den Wohnorten der Beschuldigten einzuschalten. So möglicherweise auch bei Edathy. Das Bundeskriminalamt wollte diese Berichte weder bestätigen noch dementieren, sondern verwies an die Staatsanwaltschaft Hannover.

Vieles deutet darauf hin, dass es keine Verschwörung, keine Rache ist, sondern sein eigener Fall. Sebastian Edathy galt einst als ein sozialdemokratischer Aufsteiger, der Höhen und Tiefen durchlebt hat. Als Vorsitzender des Innenausschusses war er ab 2005 auf dem besten Weg, einer der profiliertesten Experten zu werden. Nach der für die SPD so niederschmetternden Bundestagswahl 2009 kommt ein Karriereknick. Edathy wird ausgebremst. Den Ausschussvorsitz muss er abgeben, innenpolitischer Sprecher wird er auch nicht mehr. Er sitzt im Gorleben-Untersuchungsausschuss – als stellvertretendes Mitglied.

Dann aber werden die Morde des „National Sozialistischen Untergrunds“ bekannt und Edathy wird Vorsitzender des Untersuchungsausschusses. Edathy ist stets gut vorbereitet. Sattelfest in den Themen. Er ist keiner für die große Show, aber er greift an. Hart, kritisch – und ohne Ansehen auf das Parteibuch des geladenen Zeugen. In den Pausen raucht er. Viel. Der Ausschuss bekommt Lob von allen Seiten, und daraus erwachsen Erwartungen – auch bei Edathy persönlich. Als die SPD im Januar 2013 die Landtagswahl in Niedersachsen zusammen mit den Grünen gewinnt, will er Innenminister werden. Er fühlt sich reif und berufen. Nur er wird nicht gerufen. Auch nach der Bundestagswahl bleibt das so. Obwohl Edathy wieder seinen Wahlkreis gewinnt, bleibt er bei der Postenvergabe unberücksichtigt. Es sind einfach zu viele Niedersachsen schon versorgt: der Chef persönlich, Sigmar Gabriel, Thomas Oppermann, Edelgard Bulmahn als Vizepräsidentin des Bundestages und jetzt sogar noch die neue SPD-Generalsekretärin Yasmin Fahimi. „Macht mal langsam“, rufen Genossen anderer Landesverbände nach Niedersachsen.

Sebastian Edathy ist da schon so etwas wie der Verlierer der Ausschuss-Helden. Anfang 2014 wird es ruhig um den SPD-Politiker, die Krankschreibung folgt. Kurz zuvor meldet sich der Bundestagsabgeordnete mit einer kryptischen Neujahrsbotschaft unter der Überschrift: „Ich muss mich ändern“ in der „Tageszeitung“ noch mal zu Wort. Vielleicht ist es ein misslungenes Feuilleton. Vielleicht auch Verzweiflung: „Eigentlich will ich mich nicht ändern. Eigentlich will ich mich doch ändern. Eigentlich müsste ich mich ändern. Aber eigentlich will ich nicht.“

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