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Koalitionsvertrag im Detail: Gegenwind bei Erneuerbaren

Beim Ausbau der erneuerbaren Energien wollen es Union und SPD ein bisschen langsamer angehen. Verdient die Energiewende noch ihren Namen?

Was Umweltverbände und Atomkraftgegner vom Koalitionsvertrag zwischen CDU/CSU und SPD halten, haben sie am Samstag in Berlin laut und deutlich gesagt: nämlich nichts. Rund 16000 Menschen haben nach Angaben der Veranstalter gegen das „Ausbremsen der Energiewende“ demonstriert (Foto oben). Am meisten stört die Kritiker die Ausbaubegrenzung für erneuerbare Energien, auf die sich die künftigen Koalitionäre geeinigt haben. Der CSU-Bundestagsabgeordnete Josef Göppel, der selbst der Verhandlungsgruppe Energie angehörte, hat am Ende gegen den Koalitionsvertrag gestimmt. Sein größter Kritikpunkt: Die Energiewende werde zentralisiert, der Einfluss von Bürgern begrenzt. Im Internetportal „Wir Klimaretter“ sagte Göppel: „Meine größte Sorge ist, dass die Stromerzeugung wieder in die Hand von zentralen Großkonzernen gerät und die Bürger mit normalem Einkommen sich nicht mehr daran beteiligen können.“

ERNEUERBARE ENERGIEN

Union und SPD haben sich darauf geeinigt, bis Ostern 2014 eine grundlegende Reform des Erneuerbare-Energien-Gesetzes (EEG) vorzulegen, bis zum Sommer soll es beschlossen werden. Kernstück ist eine Begrenzung des Ausbaus von Windrädern, Solar- und Biogasanlagen. Bis 2025 soll der Anteil erneuerbarer Energien auf 40 bis 45 Prozent steigen, bis 2035 auf 55 bis 60 Prozent. Unklar ist im Text, ob sich dieser sogenannte Ausbaukorridor auf den Anteil erneuerbarer Energien am Stromverbrauch bezieht, was vermutlich gemeint ist, oder am Gesamtenergieverbrauch. Wäre der Gesamtenergieverbrauch die Bezugsgröße, würde der Ausbau nicht auf ein jährliches Wachstum von 1,7 Prozent beschränkt, sondern eher höher liegen.

Die EEG-Reform wird in Umrissen beschrieben. So sollen alle Einspeisevergütungen einer ständigen Degression unterliegen: Es wird vorab festgelegt, um wie viel die Einspeisevergütung pro Monat gesenkt wird. Die Vergütungssätze für Windenergieanlagen an Land sollen gekürzt werden. Im Binnenland sollen nur noch Windräder gefördert werden, die auf einen Windertrag von 75 bis 80 Prozent kommen. Damit würde etwa in Baden- Württemberg nahezu kein Windrad mehr gefördert, kritisiert der Stuttgarter Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) in der „Stuttgarter Zeitung“. „Baden-Württemberg hat einige angeblich schwache Standorte, die wir mit neuen Anlagenkonzepten gut nutzen können, und zwar in einem Umfang von 2000 bis 2500 Volllaststunden im Jahr. Das ist mehr als das Doppelte, was Fotovoltaikanlagen im Süden bringen“, kritisierte er. Josef Göppel sieht es ähnlich kritisch. In Verbindung mit der von seinem Parteichef Horst Seehofer (CSU) durchgesetzten Abstandsregelung für Windräder von bis zu zwei Kilometern von der Wohnbebauung sei die Windenergie in Bayern nahezu tot, sagt Göppel.

Künftig sollen Betreiber von Windparks oder Solaranlagen zudem gezwungen werden, ihren Strom selbst zu vermarkten. Bisher enthält das EEG zwei Regelungen zur Vermarktung des Grünstroms außerhalb der zentralen Vermarktung durch die Übertragungsnetzbetreiber an der Leipziger Strombörse: die gleitende Marktprämie und das Grünstromprivileg. Die Vermarktung über die sogenannte gleitende Marktprämie, für die sich nach Auskunft des Bundesverbands Windenergie knapp 90 Prozent der Windstromerzeuger entschieden haben, erfolgt zwar über die Strombörse, allerdings meist unter Vermittlung eines Vermarkters – unter anderen die großen Stromkonzerne. Das zweite Vermarktungsinstrument, das sogenannte Grünstromprivileg, mit dem Ökostromhändler wie Naturstrom oder die Elektrizitätswerke Schönau EEG-Strom an der Börse vorbei vermarktet haben, wollen die Koalitionäre dagegen abschaffen, weil es „teuer“ sei.

Das findet Josef Göppel grundfalsch. Dem Tagesspiegel sagte er während der Verhandlungen: „Das Grünstromprivileg kann die EEG-Umlage entlasten, weil mit dieser Art der Vermarktung der Börsenpreis nicht weiter sinkt.“ Der Marktprämienstrom werde dagegen genau da gehandelt, wo auch der Rest des EEG-Stroms vermarktet werde. Das Beratungsunternehmen Energy Brainpool kommt in einem Gutachten für den Bundesverband Erneuerbare Energie (BEE) zu einem ähnlichen Schluss: Die erzwungene Marktprämie sei nichts anderes als eine Vergütungskürzung, die auf die Höhe der EEG-Umlage keine Auswirkungen habe. 2012 kostete die Vermarktung von 47,9 Terawattstunden Strom laut Umweltministerium 467Millionen Euro, die Vermarktung von 2,9 Terawattstunden über das Grünstromprivileg 112 Millionen Euro. Die große Koalition versucht also, die erneuerbaren Energien ins bestehende Versorgungssystem zu integrieren, statt die Strukturen so zu ändern, dass die Erneuerbaren die hauptsächliche Stromversorgung übernehmen könnten.

STROMMARKT

An eine Reform des Strommarktes, die Anreize für Investitionen in Stromerzeugungsanlagen geben könnte, wagen sich die künftigen Koalitionäre nicht heran. Die Versorgungssicherheit soll weiterhin mit ordnungsrechtlichen Mitteln gesichert werden. Die Bundesnetzagentur definiert konventionelle Kraftwerke als systemrelevant. Diese dürfen dann nicht abgeschaltet werden. Die Kosten dafür werden über die Netzumlage von den Stromkunden getragen. Über einen Kapazitätsmechanismus, also eine Vergütung von Erzeugungsleistung dort, wo sie für kalte, windlose und wolkenreiche Tage benötigt wird, soll erst „mittelfristig“ entschieden werden. Da die Planung und der Bau von flexiblen Gaskraftwerken rund zehn Jahre dauert, könnte das bis zur Abschaltung der letzten Atomkraftwerke 2022 knapp werden.

Außerdem sollen Betreiber von Wind- und Solarparks womöglich für einen Teil dieser Kosten aufkommen. Im Koalitionsvertrag heißt es, es solle geprüft werden, ob die Anlagenbetreiber einen „garantierten Grundlastanteil“ liefern sollten. Der könne über Speicher, steuerbare erneuerbare Anlagen wie Biogas oder konventionelle Kraftwerksleistung erbracht werden – und das wird auf jeden Fall teuer. Im letzteren Fall würde indirekt über die EEG-Umlage und private Investitionen in erneuerbare Energien Geld in die Kassen der großen Konzerne fließen.

UNTERNEHMENSRABATTE

Die große Koalition kündigt an, einige Unternehmen aus der weitgehenden Befreiung von der EEG-Umlage herauszunehmen. Mit der Formulierung, dass auch innereuropäische Konkurrenz bei der Bewertung der Unternehmen eine wichtige Rolle spielen soll, sind vor allem Baustoffunternehmen auf der sicheren Seite. Damit könnten etwa Zementwerke, die zwar keinem internationalen, aber einem europäischen Wettbewerb ausgesetzt sind, weiterhin von der weitgehenden Befreiung von der Umlage profitieren.

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