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Volker Kauder vor einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Mittwoch.

© Florian Gärtner/imago/photothek

Update

Koalitionsvertrag: So haben Union und SPD die größten Knackpunkte gelöst

Zwei-Klassen-Medizin, sachgrundlose Befristung, Verteidigungsausgaben - in manchen Bereichen waren die Verhandlungen besonders hart. Wie sehen die Kompromisse aus? Ein Überblick.

Bis ganz zum Schluss haben die Unterhändler von CDU, CSU und SPD besonders in den Bereichen Gesundheit, Arbeit und Außenpolitik um Kompromisse gekämpft. Welche Parteien haben sich am Ende durchgesetzt? Wer profitiert? Ein Überblick.

GESUNDHEIT

Ob die SPD-Basis das durchwinkt? Statt eine Bürgerversicherung oder wenigstens gleiche Arzthonorare für Kassen- und Privatpatienten durchzusetzen, sollen sich die Genossen nun mit einer Kommission zufriedengeben. Sie soll bis Ende 2019 eine Reform der Honorarordnungen von gesetzlicher und privater Krankenversicherung prüfen. Und ob man ihre Vorschläge umsetzt, ist fraglich. Das werde „danach entschieden“, heißt es in der Koalitionsvereinbarung. Von der in Aussicht gestellten Honorarangleichung kein Wort, vom versprochenen Ende der „Zwei-Klassen-Medizin“ schon gar nicht.

Von einer gemeinsamen Honorarordnung ist keine Rede

Sieht so ein Verhandlungserfolg bei einem der wichtigsten SPD-Themen aus? Der zuständige Unterhändler der Sozialdemokraten, Karl Lauterbach, meint: Ja. Das Beschlossene werde, so verkündete er am Mittwoch selbstbewusst, „den hohen Erwartungen in weiten Teilen gerecht“. Zwar habe man keine Bürgerversicherung erreicht, einen wichtigen „Schritt in Richtung des Abbaus der Zwei-Klassen-Medizin aber sehr wohl“. Und dann behauptet er etwas, das so nirgends steht: Eine Kommission werde „die Einführung einer gemeinsamen Honorarordnung für GKV- und PKV-Patienten vorbereiten, so dass es in Zukunft für Ärzte bei der Wahl der Behandlung keinen Unterschied mehr macht, ob ein Patient privat oder gesetzlich versichert ist“.

Optimismus ist alles, und das gute Verkaufen magerer Ergebnisse jetzt wohl besonders wichtig. Die Grünen jedenfalls, die ebenfalls für ein Ende des dualen Versicherungssystems trommelten, finden das Ergebnis alles andere als berauschend. „Mit Bürgersicherung starten und bei Kommission für höhere Arzthonorare landen“, spottete deren Gesundheitsexpertin Maria Klein-Schmeink.

Mehr Pflicht-Sprechstunden für Kassenärzte

Doch um nicht ungerecht zu sein: Im Kleinen wurden etliche Besserstellungen für Kassenpatienten erreicht. Gegen überlange Wartezeiten auf Arzttermine etwa sollen mehr Mediziner-Sprechstunden helfen. „Das Mindestsprechstundenangebot der Vertragsärzte für die Versorgung von gesetzlich versicherten Patienten wird von 20 auf 25 Stunden erhöht“, heißt es im Entwurf des Koalitionsvertrages.

Die Servicestellen der Kassenärztlichen Vereinigungen, die Kassenpatienten auf Wunsch Termine bei Medizinern vermitteln, sollen ebenfalls deutlich mehr arbeiten. Die Koalition will ihnen vorschreiben, künftig von 8 bis 18 Uhr erreichbar zu sein, und zwar unter einer bundesweit einheitlichen und leicht zu merkenden Telefonnummer. Zudem sollen sie künftig nicht mehr nur für Fachärzte und Psychotherapeuten zuständig sein, sondern Kassenpatienten auch Haus- und Kinderärzte vermitteln. Bisher hatten die Kassenarzt-Vereinigungen die ungeliebte Terminvergabe nur sehr nachlässig betrieben. Bei manchen war für Anrufer, wie Tests der Patientenbeauftragten ergaben, kaum ein Durchkommen.

Für kleine Selbständige sinken die Beiträge

Für kleine Selbständige sollen die gesetzlichen Kassen zudem deutlich billiger werden. Die Bemessungsgrundlage für ihre Mindestbeiträge halbiert sich nahezu von von bisher 2283,75 auf 1150 Euro. Ein Anreiz für viele womöglich, sich lieber doch nicht in die lebenslange Gefangenschaft einer Privatkasse mit ungewisser Beitragsentwicklung zu begeben. Und beim Zahnersatz soll es für Kassenpatienten einen höheren Festzuschuss geben. Er steigt nach dem Willen der Koalitionäre von 50 Prozent auf 60 Prozent.

Erreicht hat die SPD für die gesetzlich Versicherten die Rückkehr zur paritätischen Beitragsfinanzierung. Auch wenn die Zusatzbeiträge nun nicht abgeschafft werden, wie es die Sozialdemokraten wollten: Ab 2019 sind die Arbeitgeber wieder bei beidem, dem bundeseinheitlichen Beitrag und dem kassenindividuellen Zusatzbeitrag, zur Hälfte mit im Boot.

SPD nun auch für Verbot von Versandhandel bei Verschreibungspflicht

Eingeknickt ist die SPD allerdings bei einem anderen Punkt: dem Internethandel mit Medikamenten. „Um die Apotheken vor Ort zu stärken, setzen wir uns für ein Verbot des Versandhandels mit verschreibungspflichtigen Arzneimitteln ein“, heißt es im Koalitionsvertrag.

Der Europäische Gerichtshof (EUGH) hatte im Herbst 2016 die in Deutschland geltende Preisbindung für solche, von ausländischen Versandapotheken versandte Präparate, gekippt. Gesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU) hatte daraufhin den Versandhandel mit verschreibungspflichtiger Arznei komplett verbieten wollen, war damit aber an der SPD gescheitert. Nun könnte der EUGH wieder das letzte Wort haben.

Sachgrundlose Befristungen: beschränkt, nicht abgeschafft

Volker Kauder vor einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Mittwoch.
Volker Kauder vor einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Mittwoch.

© Florian Gärtner/imago/photothek

ARBEIT

Das Thema ist für die Sozialdemokraten mit Blick auf den Mitgliederentscheid von ganz besonderer Bedeutung. Auch deshalb wird wohl im Koalitionsvertrag hervorgehoben, dass es bei der Einigung bei sachgrundlosen Befristungen und Kettenbefristungen von Arbeitsverträgen einen „wirklichen Durchbruch“ gegeben hat. Hier zu Veränderungen zugunsten von Arbeitnehmern zu kommen, war vor allem ein Anliegen der Gewerkschaften. Also war ein Erfolg bei diesem lebensnahen Punkt ausschlaggebend für den Versuch der Parteiführung, in den kommenden Wochen möglichst viele skeptische Mitglieder zur Zustimmung zu bewegen.

Allerdings wird die sachgrundlose Befristung nicht abgeschafft. Gegen ein Ende dieser Möglichkeit, Arbeitsverträge ohne Angabe von Gründen zu befristen, hatten die Arbeitgeberverbände Einspruch erhoben. Sie sind allerdings in der Privatwirtschaft auch seltener als im öffentlichen Dienst, der diese Möglichkeit vor allem im Bildungsbereich nutzt.

Sachgrundlose Befristungen stärker beschränkt

Daher werden sachgrundlose Befristungen nun stärker beschränkt als bisher: Sie sollen nur noch 18 statt 24 Monate möglich sein. Bis zu dieser Gesamtdauer ist künftig auch nur noch eine einmalige statt einer dreimaligen Verlängerung möglich. Arbeitgeber mit mehr als 75 Beschäftigten dürfen auch nur noch „maximal 2,5 Prozent der Belegschaft“ sachgrundlos befristen. Bei einem Betrieb mit 500 Beschäftigten wären das also 12,5 Stellen. „Bei Überschreiten dieser Quote gilt jedes weitere sachgrundlos befristete Arbeitsverhältnis als unbefristet zustande gekommen“, heißt es im Vertrag. „Die Quote ist jeweils auf den Zeitpunkt der letzten Einstellung ohne Sachgrund zu beziehen.“

Vereinbart wurde, dass befristete Arbeitsverträge generell zeitlich stärker begrenzt werden. Damit wird nun gesetzlich nachgeholt, was die Justiz bis hin zum wegweisenden Urteil des Bundesarbeitsgerichts von 2016 schon vorbereitet hat: Endlose Kettenbefristungen gibt es bald auch nach dem Arbeitsrecht nicht mehr. So ist laut Koalitionsvertrag eine Befristung künftig nicht mehr zulässig, wenn ein Arbeitnehmer mit dem Arbeitgeber zuvor schon einmal einen unbefristeten Vertrag hatte oder „ein oder mehrere befristete Arbeitsverhältnisse mit einer Gesamtdauer von fünf oder mehr Jahren bestanden haben“.

Zu der künftigen Höchstdauer von fünf Jahren zählen auch Zeiten, die ein Arbeitnehmer bei dieser Firma als Leiharbeiter beschäftigt war. „Ein erneutes befristetes Arbeitsverhältnis mit demselben Arbeitgeber ist erst nach einer Karenzzeit von drei Jahren möglich“, heißt es weiter in der Vereinbarung. Ausnahmen bei Sachgrund-Befristungen soll es in bestimmten Arbeitsverhältnissen weiterhin geben – der Vertrag nennt Künstler und Fußballer.

Ein Punkt, den die SPD nun in das endgültige Papier hineinverhandelt hat, ist eine Tariföffnungsklausel im Arbeitszeitgesetz – ein Erfolg, der bei den Gewerkschaften ankommen dürfte. Damit solle es zu einer „Öffnung für mehr selbstbestimmte Arbeitszeit der Arbeitnehmer“ kommen. Zudem solle damit möglich werden, „mehr betriebliche Flexibilität in der zunehmend digitalen Arbeitswelt zu erproben“.

Verteidigungsetat an Entwicklungshilfe gekoppelt

Volker Kauder vor einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Mittwoch.
Volker Kauder vor einer Sondersitzung der Unionsfraktion am Mittwoch.

© Florian Gärtner/imago/photothek

AUSSENPOLITIK

Im Wahlkampf hatte die SPD noch mit ihrer Kritik an einer „Aufrüstung“ Deutschlands zu punkten versucht. SPD-Chef Martin Schulz kritisierte das innerhalb der Nato vereinbarte Ziel, bis 2024 zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, und kündigte an, es nach einem Wahlsieg zu kippen. Doch so weit gingen die Sozialdemokraten in den Koalitionsverhandlungen offenbar nicht mehr. Allerdings blieb die Frage, in welchem Umfang Verteidigungsausgaben und Entwicklungshilfe aufgestockt werden sollten, am Dienstag der Spitzenrunde überlassen.

Am Ende verständigten sich Union und SPD darauf, die Verteidigungsausgaben nur dann zu erhöhen, wenn auch die Ausgaben für Entwicklungshilfe „im Verhältnis von eins zu eins“ aufgestockt werden. Insgesamt würde eine neue große Koalition in dieser Legislaturperiode zwei Milliarden Euro zusätzlich in den Bereichen Verteidigung sowie Entwicklungshilfe, Krisenprävention und humanitäre Hilfe ausgeben – nach der von den Parteichefs gefundenen Regelung würden also auf beide Bereiche je eine Milliarde Euro zusätzlich entfallen.

Bereits in den Verhandlungen der für Außenpolitik und Verteidigung zuständigen Arbeitsgruppe war schnell klar, dass das Zwei-Prozent-Ziel der Nato auf Wunsch der SPD-Seite nicht erwähnt werden sollte, selbst ein Verweis auf die bei den Nato-Gipfeln „in Wales und in Warschau vereinbarten Ziele“ war nicht durchsetzbar. Deutschland werde „dem Zielkorridor der Vereinbarungen in der Nato folgen“, steht nun im Koalitionsvertrag. An anderer Stelle heißt es: „Wir wollen die vereinbarten Nato-Fähigkeitsziele erreichen und Fähigkeitslücken schließen.“ Damit bekennen sich Union und SPD zum Zwei-Prozent-Ziel der Nato, ohne das explizit zu erwähnen.

Schwesig will Rüstungsexporte retten

In den Sondierungen war es den Sozialdemokraten gelungen, einen sofortigen Stopp von Rüstungsexporten in Länder durchzusetzen, die am Jemen-Krieg beteiligt sind. Davon betroffen wäre vor allem Saudi-Arabien, das seit Jahren zu den wichtigsten Empfängerländern deutscher Waffen zählt. Doch in den Koalitionsverhandlungen hatten bei diesem Thema plötzlich nicht nur Vertreter der Union, sondern auch die Sozialdemokraten noch Gesprächsbedarf. Mecklenburg-Vorpommerns Ministerpräsidentin Manuela Schwesig (SPD) meldete Vorbehalte an.

Die Peene-Werft in Wolgast soll 33 Patrouillenboote nach Saudi-Arabien liefern, Schwesig wollte den Großauftrag nicht gefährden. Auch dieses Thema mussten die Parteichefs in der Schlussrunde klären. Am Ende wurde der Exportstopp um eine Ausnahmeregelung für bestehende Projekte ergänzt: „Firmen erhalten Vertrauensschutz, sofern sie nachweisen können, dass bereits genehmigte Lieferungen ausschließlich im Empfängerland verbleiben.“

In den Verhandlungen der Arbeitsgruppe Außenpolitik, die als weitgehend problemlos beschrieben werden, trafen bei einem weiteren Thema sehr unterschiedliche Interessen aufeinander: Beim umstrittenen Gaspipeline-Projekt Nord Stream 2 gab es keine Einigung zwischen Union und SPD. Die „Vernetzung der Gasinfrastruktur“ sichere Europas Unabhängigkeit, hieß es in einem Formulierungsvorschlag der SPD.

Die Union hingegen sprach sich für eine „europäische Regelung“ aus, wohl wissend, dass es in der EU-Kommission und mehreren EU-Staaten große Vorbehalte gegen die Pipeline von Russland nach Deutschland gibt. Der geschäftsführende Außenminister Sigmar Gabriel (SPD) habe sich sehr für das Projekt eingesetzt, hieß es in Verhandlungskreisen. Zugleich soll der CSU-Ehrenvorsitzende Edmund Stoiber hinter den Kulissen für Nord Stream 2 geworben haben. Weil es keine Einigung gab, wurde das Thema am Ende ganz aus dem Koalitionsvertrag gestrichen.

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