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Wilder Haufen. Die Freiwilligenbataillone trainieren auch ukrainische Zivilisten an der Waffe, wie hier in Kiew. 35 Strafuntersuchungen laufen gegen sie.

© dpa

Krieg im Donbass: Flüchtlinge berichten von Übergriffen ukrainischer Freiwilligenbataillone

Zivilisten beklagen Übergriffe der ukrainischen Freiwilligenbataillone, die von Kiew nicht in den Griff zu bekommen sind. Amnesty International dokumentierte zahlreiche Fälle - doch es geschieht nichts.

Gut 30 Frauen und ein paar vereinzelte Männer haben sich vor Garage Nummer 6 im Innenhof des Hotels „Slowjansk“ angestellt. Die lokale Nichtregierungsorganisation „Slowjansker Wiedergeburt“ verteilt Essenspakete. Jeder bekommt fünf Kilo Graupen, Reis, Teigwaren und eine Fleischkonserve. Die Wartenden sind wenig gesprächig, die Blicke gesenkt, viele schämen sich, dass sie an diesem kalten Vormittag um Almosen anstehen müssen. Wohl die meisten haben rund 80 Kilometer südlich von hier, im weiteren Umland von Donezk, Einfamilienhäuser zurückgelassen. Manche davon sind inzwischen völlig zerschossen, wie das hübsche grüne Häuschen von Alla. Auf ihrem alten Mobiltelefon zeigt sie die letzten Fotos, die sie im Dezember davon gemacht hat. Verzweifelt sagt die knapp 40-jährige Landwirtin aus Peski: „Alles ist hin! Wieso bloß schießen sie auf uns?“

Das ukrainische Dorf südöstlich von Donezk gehörte bis vor Kurzem neben Debalzewe zu den meistumkämpften strategischen Zielen der prorussischen Kämpfer. Denn von Peski aus kann der Donezker Flughafen beschossen werden. Dort hatten sich monatelang ukrainische Truppen verschanzt, gedeckt wurden sie teils von Einheiten in Peski. Opfer der Kämpfe wurden die etwas mehr als 3000 zivilen Einwohner des Dorfes.

Im Sommer hat sich Alla dem Druck der ukrainischen Truppen ergeben und sich Hals über Kopf aus Peski evakuieren lassen. „Wir bekamen 15 Minuten Zeit und durften nur zwei Plastiktaschen mitnehmen“, erzählt sie. Statt wie versprochen nach wenigen Tagen wieder zurückzudürfen, sei ihr dies nach mehreren Versuchen erst im Dezember gelungen. Da sei ihr Haus dann aber schon zerstört gewesen. Die wenigen Straßen im Dorf hätten die jeweiligen Freiwilligenbataillone unter sich aufgeteilt. Nur die regulären Truppen der ukrainischen Armee hätten sich anständig verhalten, ja, sie hätten ihr sogar geholfen, noch ein paar Sachen aus dem Haus zu retten, erzählt Alla weiter. „Im Fernsehen heißt es immer, der ukrainische Staat schütze uns; was ich in Peski erlebt habe, ist indes genau das Gegenteil.“

Auch Allas jüngere Kollegin Lena berichtet Schreckliches. Die zweifache Mutter stammt aus der nahe Peski gelegenen Kleinstadt Awdijewka. „Die Separatisten räumten unsere Stadt im Sommer freiwillig, erst als sie weg waren, kamen die Ukrainer und schossen wie wild um sich“, behauptet Lena. In ihrem Wohnblock hätten die Regierungstruppen danach viele Wohnungen durchsucht. „Angeblich suchten sie Waffen, doch bei mir wurden einfach Kinderkleider mitgenommen“, sagt Lena. Ob die Übeltäter Soldaten von Freiwilligenbataillonen oder reguläre Soldaten waren, weiß sie nicht.

Wer nicht aus den Rebellengebieten stammt, gilt nicht als Flüchtling

Die beiden Frauen gehören zu den offiziell 25 000 Flüchtlingen im Bezirk Slowjansk, rund 60 Kilometer nördlich der aktuellen Frontlinie zwischen Kiewer Regierungstruppen und den von Russland unterstützten Kämpfern. Viele seien auf der Durchreise, heißt es im Rathaus. Niemand kennt die genaue Zahl, und überall fehlt es an Wohnraum und Geld für die Grundbedürfnisse der Kriegsflüchtlinge. Erschwerend kommt dazu, dass jene, die nicht aus den von den russischen Rebellen besetzten Gebieten stammen, über keinen Flüchtlingsstatus verfügen und damit auch keine staatliche Unterstützung bekommen. Private und religiöse Organisationen müssen hier einspringen.

Im zwischen Fichten gelegenen Kurpark angelangt, erzählt ein betagtes Geschwisterpaar aus Peski ganz andere Horrorgeschichten. Elena und Maria sind die ganze Zeit im Dorf geblieben und waren der Herrschaft der Freiwilligenbataillone täglich ausgesetzt. „Nachbarn wurden aus dem Haus gejagt, einer von ihnen ist krankenhausreif geschlagen worden“, erzählt Maria. Welches Freiwilligenbataillon für welche Übeltat im Dorf verantwortlich ist, weiß sie indes nicht. „Sie hatten alle rot-schwarze Wappen an der Uniform“, sagt sie nur.

In der Kiewer Zentrale von Amnesty International (ai) ist das Problem der Übergriffe gegen Zivilisten durch die Freiwilligenbataillone nicht unbekannt. Wegen Personalnot stamme der letzte Bericht dazu jedoch vom September 2014, sagt Pressesprecher Bogdan Owartschuk. Amnesty hatte damals das Treiben des Freiwilligenbataillons „Aidar“ dokumentiert. 35 Strafuntersuchungen seien daraufhin eröffnet worden, heißt es. „Doch Untersuchungen eröffnen bedeutet leider nicht, dass auch wirklich untersucht wird“, sagt Owartschuk resigniert. Das Verteidigungsministerium habe offensichtlich Probleme mit den Freiwilligen. Doch ein klarer politischer Wille, diese anzupacken, sei nicht erkennbar.

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