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Streng geregelt. An den Kosten für künstlicher Befruchtung dürfen sich die Kassen nur bei Eheleuten beteiligen.

© picture alliance / dpa

Künstliche Befruchtung: Schwesig will Kostenzuschuss auch für Unverheiratete

Familienministerin Schwesig verlangt, dass auch unverheiratete Paare für Kinderwunsch-Behandlungen einen Kassenzuschuss erhalten. Die Union hält nichts davon.

Familienministerin Manuela Schwesig (SPD) möchte, dass die gesetzlichen Krankenkassen ihre Beteiligung an den Kosten künstlicher Befruchtungen künftig nicht mehr vom Trauschein abhängig machen müssen. Sie sei „der Meinung, dass auch unverheiratete Paare – wie von einigen Krankenkassen ja durchaus angeboten – Zuschüsse zur künstlichen Befruchtung erhalten sollten“, sagte Schwesig dem Tagesspiegel. Für viele auch ohne Trauschein sei dieses Verfahren „die letzte Hoffnung“.

Die SPD-Politikerin reagierte damit auf ein Urteil des Landessozialgerichts Berlin-Brandenburg vom Freitag, das es den gesetzlichen Versicherern untersagt, unverheiratete Paare bei künstlicher Befruchtung finanziell zu unterstützen. Geklagt hatte die Betriebskrankenkasse Verkehrsbau Union (VBU). Sie wollte auch Ehelosen einen Kostenzuschuss von 75 Prozent gewähren, bekam dies jedoch vom Bundesversicherungsamt untersagt (Az L 1 KR 435/12 KL) .

Jedes siebte Paar ungewollt kinderlos

900 Paare stellten einen Antrag Direkt betroffen sind von dem Urteil 900 unverheiratete Paare, die bei der Kasse nach deren Ankündigung bereits einen Antrag auf Kostenbeteiligung gestellt haben. Schätzungen zufolge ist in Deutschland jedes siebte Paar ungewollt kinderlos. Nach Angaben der Krankenkasse werden jährlich im Schnitt 75 000 Kinder nach einer künstlichen Befruchtung geboren, das ist mehr als jedes neunte aller Neugeborenen in Deutschland.

Die Richter erklärten die Begrenzung von Kostenzuschüssen für Eheleute als zulässig, ließen wegen der grundsätzlichen Bedeutung aber eine Revision zum Bundessozialgericht zu. Der Gesetzgeber habe den Anspruch bewusst auf Eheleute beschränkt, lautet die Begründung. Dies könne nicht über die Satzungsänderung einer Krankenkasse ausgehebelt werden.

Formal besehen sei der Richterspruch schlüssig, sagte der SPD-Gesundheitsexperte und stellvertretende Fraktionsvorsitzende Karl Lauterbach dieser Zeitung. Allerdings liefere das Urteil der Politik den Anlass, „nochmals sehr gründlich zu prüfen, ob man eine solche Trennung zwischen Verheirateten und Unverheirateten aufrechterhalten kann“. Unter einem Geburtenüberschuss leide dieses Land schließlich keineswegs.

Grüne: Regelung ist "von vorgestern"

Auch die Grünen verlangen eine Änderung. „Ehepaare und unverheiratete Paare bei der Übernahme von Kosten für Kinderwunschbehandlungen unterschiedlich zu behandeln, ist von vorgestern und familienpolitisch nicht zu rechtfertigen“, sagte Fraktionsvize Katja Dörner.

Der Zuschuss für eine Kinderwunschbehandlung sei die einzige Kassenleistung, für die ein Trauschein nötig sei, sagte Andrea Galle vom Vorstand der VBU – und kündigte an, in Revision zu gehen. „Wir maßen uns nicht an, zu entscheiden, wer gute oder schlechte Eltern sind“, sagte sie. Die Entscheidung des Gerichts basiere „auf einer Rechtsauffassung, die mit den wirklichen Lebensrealitäten in unserer Gesellschaft absolut nichts mehr zu tun hat“.

Union verlangt "gefestigte Beziehungen"

Tatsächlich ist der Streit nicht neu und hat schon 2007 das Bundesverfassungsgericht beschäftigt. Damals erklärten die Karlsruher Richter die Regelung zur künstlichen Befruchtung (Paragraf 27a SGB V), die seither unverändert blieb, für verfassungskonform. Und in der Union gibt es auch keine Bestrebung, daran etwas zu ändern. Künstliche Befruchtungen seien „ein ziemlicher Eingriff“, sagte der CDU-Experte Jens Spahn dem Tagesspiegel. Da sei es „wichtig, dass das Kind in eine gefestigte Beziehung geboren wird“. Es sei die Frage, „wie man die bei unverheirateten Paaren prüfen will“.

Fakt ist allerdings auch, dass hierzulande immer mehr Kinder bei Paaren ohne Trauschein leben. Dem Statistischen Bundesamt zufolge wachsen in Ostdeutschland nur noch 54 Prozent bei verheirateten Eltern auf. 1996 waren es noch 72 Prozent. In jeder fünften ostdeutschen Familie leben Eltern in „wilder Ehe“ zusammen, ihr Anteil hat sich in 15 Jahren verdoppelt. In Westdeutschland stieg er von drei auf sieben Prozent. Gleichzeitig sank die Zahl der Ehepaare von 19,6 auf 18 Millionen. In den neuen Ländern und Berlin war das Minus mit knapp 18 Prozent deutlich stärker als im Westen mit etwa sechs Prozent. Die Zahl nichtehelicher Lebensgemeinschaften stieg im gleichen Zeitraum um gut die Hälfte auf 2,8 Millionen.

Dass ausgerechnet die VBU geklagt hat, ist nicht verwunderlich: Die meisten ihrer mehr als 400 000 Versicherten leben in Berlin und den neuen Ländern. Und seit 2012 haben die Kassen die Möglichkeit, Reproduktionsmedizin als zusätzliche Satzungsleistung anzubieten. Allerdings eben nur für Ehepaare. Es handle sich dabei um „keine rechtlich schrankenlose Ermächtigung zu jedweder Mehrleistung“ beharrt das Bundesversicherungsamt.

2000 Euro pro Versuch

Die Kosten einer künstlichen Befruchtung liegen derzeit je nach Methode zwischen knapp 2000 und 5000 Euro pro Versuch. Da nicht jeder zum Erfolg führt, kann die Sache weit teurer werden. Für Ehepaare müssen die Kassen die Hälfte der Kosten übernehmen – allerdings nur für die ersten drei Versuche. Tatsächlich zahlen bereits mehr als ein Drittel der Versicherer freiwillig deutlich höhere Zuschüsse. Die Länder können diese weiter aufstocken – und wenn sie das tun, beteiligt sich auch der Bund daran. Zur Zeit geschieht dies aber lediglich in Sachsen, Sachsen-Anhalt, Niedersachsen, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen.

Rechtlich ist es übrigens nur den Kassen untersagt, unverheiratete Paare bei ihrem Kinderwunsch zu unterstützen. Die Länder dürfen dies tun. Realität ist eine solche Förderung von Nichtverheirateten bisher aber nur in einem einzigen Bundesland – in Sachsen-Anhalt.

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