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Palästinenser in Ramallah protestieren im Mai 2019 gegen die BDS-Resolution des Deutschen Bundestags.

© AFP

Kulturschaffende gegen BDS-Resolution des Bundestags: Der Nahost-Konflikt wird auf deutscher Bühne inszeniert

Die BDS-Bewegung, die zum Boykott gegen Israel aufruft, ist in Deutschland unbedeutend. Gerade deshalb eignet sie sich gut für Profilierungen. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Malte Lehming

Wenn in Deutschland die Rede auf Juden und Israel kommt, überschlagen sich oft die Gemüter. Das ist wegen der deutschen Vergangenheit nicht unverständlich. Manchmal aber pendeln die Gefühlsausbrüche zwischen lachhaft und pathetisch. Das nervt.

Das ganz große rhetorische Rad wird gedreht, und das Publikum weiß am Ende nicht, welche Fixierung stärker ausgeprägt ist: die der sogenannten „Israel-Kritiker“ oder die der Kritiker der „Israel-Kritiker“.

Mehrere deutsche Kulturinstitutionen – die Liste reicht vom Goethe-Institut über die Kulturstiftung des Bundes bis hin zum Deutschen Theater Berlin und dem Einstein Forum – haben in einer gemeinsamen Erklärung die „Initiative GG 5.3 Weltoffenheit“ ins Leben gerufen.

Im Grundgesetz Artikel 5, Absatz 3, heißt es: „Kunst, Wissenschaft, Forschung und Lehre sind frei.“ In erster Linie wenden sich die Unterzeichner gegen die BDS-Resolution des Deutschen Bundestages. Das Kürzel steht für „Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen“.

Im Mai vergangenen Jahres hatte eine große Koalition aus Union, SPD, Grünen und FDP beschlossen, Vertretern des BDS jede Art von Unterstützung durch Bundesmittel zu verwehren. Mit anderen Worten: keine Auftritte in öffentlichen Räumen oder Universitäten.

Das kritisieren die deutschen Kulturinstitutionen nun als massiven Eingriff in die Meinungsfreiheit. Auch Hunderte jüdische und israelische Wissenschaftler wandten sich gegen die Resolution des Bundestages. Mehr als sechzig weitere Wissenschaftler aus Deutschland und Israel warnten vor einem „inflationären, sachlich unbegründeten und gesetzlich unfundierten Gebrauch des Antisemitismus-Begriffs“.

Eine "Hexenjagd" auf "Israel-Kritiker"?

Neben BDS geht es dabei auch um den ehemaligen Direktor des Jüdischen Museums Berlin, Peter Schäfer, und die Auseinandersetzung um den Kameruner Philosophen und Kolonialismusforscher Achille Mbembe. Die israelische Tageszeitung „Ha’aretz“ titelte jetzt: „In Germany, a Witch Hunt Is Raging Against Critics of Israel“.

Die BDS-Bewegung wurde im Jahr 2005 von rund 170 palästinensischen Organisationen gegründet. Sie ruft international zu Boykottaktionen gegen Israel auf. Politiker, Musiker, Sportler und Wissenschaftler werden aufgefordert, nicht in Israel aufzutreten.

Unterstützt wird BDS von Naomi Klein, Judith Butler und den Musikern Kate Tempest und Roger Waters. In den USA, Großbritannien und Skandinavien ist die Bewegung vor allem an Universitäten aktiv, in Deutschland ist ihr Einfluss gering.

Allerdings sieht Israels rechtsnationalistische Regierung um Benjamin Netanjahu in BDS eine „existenzielle Bedrohung“. Ein Gesetz wurde verabschiedet, das es der Regierung erlaubt, BDS-Unterstützern die Einreise zu verweigern. Prominent angewandt wurde es im Sommer 2019 gegen zwei US-Abgeordnete der Demokratischen Partei, Ilhan Omar und Rashida Tlaib. Das Einreiseverbot war auch auf Druck von Donald Trump erlassen worden.

Moralische Konsequenzen der Besatzung

Dass die Netanjahu-Administration die BDS-Bewegung mit großem Aufwand bekämpft, ist nachvollziehbar. BDS thematisiert in Permanenz die moralischen Konsequenzen der Besatzung. Das stört in einer Zeit, in der viele muslimisch regierte Staaten Abkommen mit Israel schließen, mehr denn je.

Doch warum tobt der Streit darüber so vehement in Deutschland, wo BDS in der Öffentlichkeit faktisch keine Rolle spielt? Die Antwort mag paradox klingen: Gerade weil BDS hierzulande unbedeutend ist, eignet sich die Organisation hervorragend für Profilierungen und Positionierungen. Ob als Streiter wider Antisemitismus oder für Meinungsfreiheit, als Verteidiger Israels oder Fürsprecher der Palästinenser.

Kaum ein Bundestagsabgeordneter, der für die BDS-Resolution gestimmt hat, wird ernsthaft geglaubt haben, sie befreie Israel von einer existenziellen Gefahr. Kaum ein Kulturschaffender, der die BDS-Resolution kritisiert, wird ernsthaft behaupten, die Meinungsfreiheit in Deutschland sei bedroht, wenn BDS-Vertreter ihre Vorträge nur noch in Räumlichkeiten halten können, die nicht vom Staat finanziert werden.

Andererseits sind jene liberalen Kommentatoren kaum ernst zu nehmen, die die Meinungsfreiheit in Deutschland zwar gegen jede Form einer „cancel culture“ verteidigen, aber BDS-Thesen aus jedem Diskurs strikt verbannen möchten.

Pro-jüdisch und pro-Israel ist nicht deckungsgleich

Dass alle BDS-Aktivisten antisemitisch seien, wie es die Bundestags-Resolution insinuiert, darf bezweifelt, eine Tendenz in diese Richtung aber nicht bagatellisiert werden. Was sich antizionistisch nennt, nährt in der rhetorischen Praxis oft einen israelbezogenen Antisemitismus. Doch pro-jüdisch und pro-Israel ist längst nicht mehr deckungsgleich.

Wenn etwa Netanjahu innige Freundschaftsbande zu Europas Rechtspopulisten knüpft - zu Matteo Salvini, Viktor Orban sowie den Regierungen in Polen, Tschechien und der Slowakei -, wenn er die antisemitische Kampagne in Ungarn gegen George Soros duldet, wenn Trump einen antisemitischen Neonazi-Aufmarsch in Charlottesville, Virginia, verteidigt: Muss nicht auch über die Gefahren, die davon für Juden ausgehen, die außerhalb Israels leben, gesprochen werden? Es war ein 46-jähriger Trump-Fan, der vor einem Jahr in der „Tree-of-Life“-Synagoge in Pittsburgh ein Massaker verübte.

Pro BDS? Anti BDS? Es ist höchste Zeit, dass Diskussionen über Antisemitismus und die Sicherheit Israels sich aus dieser Verengung befreien. Falls nicht, pendeln die Emotionen weiterhin zwischen lachhaft und pathetisch.

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