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Wütender Protest. Julia Timoschenko am Dienstag im Gericht in Kiew. Die ehemalige Ministerpräsidentin wurde wegen Amtsmissbrauch zu sieben Jahren Haft verurteilt.

© dpa

Julia Timoschenko: Lieblingsrolle Märtyrerin

Die Verurteilung von Julia Timoschenko in der Ukraine ist ohne Frage politisch motiviert. Blütenweiß aber ist ihre Weste nicht.

Als Julia Timoschenko Anfang 2005 zum ersten Mal – und als erste Frau überhaupt – zur Premierministerin der Ukraine vereidigt wurde, trug sie ein silber-graues Satinkleid, schwarze Spitzenhandschuhe und zu hohe Absätze für eine wohlanständige Politikerin, wie viele Ukrainer bald monierten. Zur Stilikone wurde sie dennoch, vor allem wegen ihres blonden Haarkranzes, jenes bäuerlich-traditionellen Markenzeichens, das sie sich mit dem Gang in die Opposition vor fast zehn Jahren zulegte.

Im Westen bekannt geworden ist die „eiserne Julia“ in den 17 Tagen der Orangenen Revolution Ende 2004. Auf dem Majdan, dem zentralen „Platz der Unabhängigkeit“ in der Kiewer Innenstadt, hatte die damals 43-jährige Timoschenko die Herzen der Demonstranten erobert, nicht der bedächtige, von einem Dioxinanschlag entstellte Oppositionsführer und spätere Präsident Viktor Juschtschenko. „Jeder Tag ohne euch, ist ein verlorener Tag für mich!“, rief sie in die Menge. Und: „Die Banditen gehören ins Gefängnis!“ Volksnähe und eine radikale Abrechnung mit dem verhassten System von Präsident Leonid Kutschma verschafften ihr die Sympathien, nicht Stöckelschuhe und ausgefallene Frisuren. Die Forderungen trug sie später zweimal als Ministerratsvorsitzende (2005 und 2007 bis 2010) in ihre Regierungen. Kutschmas Günstlinge, darunter vor allem der heutige Staatspräsident Viktor Janukowitsch, hatten nichts mehr zu lachen. Ihre Privatisierungsgeschäfte wurden durchleuchtet. Nun haben sie sich mithilfe eines willfährigen Gerichtes im Kiewer Stadtteil Petscherk gerächt.

Durch Handel von Gas und Strom wurde sie Millionärin

So sehr die Anklage gegen Timoschenko politisch motiviert sein mochte, zum Saubermann-Image der Orangen Revolutionäre passte die einstige Oligarchin aus Dnjepropetrowsk jedoch nie. Die früher als „Erdgasprinzessin“ bekannte Politikerin entstammt nicht nur demselben Dnjepropetrowsker Clan wie Kutschma, sie gilt auch als Vertraute des wegen Geldwäsche in den USA einsitzenden ukrainischen Ex-Premiers Lazarenko. Timoschenko war mit Gas- und Stromhandel Mitte der 90er Jahre zu Millionen gekommen. Dabei soll sie angeblich ein Vermögen außer Landes geschafft haben. Im Jahre 2001 saß sie deswegen sechs Wochen in Untersuchungshaft. „Ich war eine politische Gefangene“, sagte sie später. Die Haftzeit sei hart gewesen, doch sie habe ihren Willen gestählt.

Härte mit sich selbst und unbändiges Machtstreben zeichnete die Volkstribunin seitdem aus. Mit ihrem Mitkämpfer Juschtschenko legte sie sich rasch quer. Der erste klar pro-westliche Staatspräsident der Ukraine entließ die „eiserne Julia“ bereits nach wenigen Monaten und holte sich einen umgänglicheren Bündnispartner in seine Mannschaft. Später verbanden sich sowohl Juschtschenko als auch Timoschenko mit den einstigen Feinden der Orangenen Revolution, wann immer es für sie politisch opportun war. Vor ein paar Wochen sagte Juschtschenko gar vor dem Petschersker Bezirksgericht gegen seine einstige Mitstreiterin als Zeuge aus. Timoschenko schaute ihn damals von der Anklagebank aus nicht einmal an. Sie behandelte den einstigen Freund aus Revolutionstagen genauso abschätzig wie den Gerichtspräsidenten Rodion Kirijew.

Am Dienstag nun das Urteil: Sie wurde für schuldig befunden, 2009 unrechtmäßig und zum Schaden des Landes einen Gasliefervertrag mit Russland durchgesetzt zu haben. Timoschenko habe ihre Machtbefugnisse überschritten, als sie dem staatlichen Energiekonzern Naftogaz den Weg zu einem zehnjährigen Gasabkommen mit Russland geebnet habe, befand der Richter.

Sie koalierte, mit wem es ihr gerade opportun erschien

Durch die Verurteilung zu sieben Jahren Gefängnis wird Timoschenko erneut zur Märtyrerin. Dies ist ihre Lieblingsrolle, die sie seit ihrer ersten Untersuchungshaft noch unter Präsident Kutschma vor zehn Jahren gekonnt spielt und politisch erfolgreich vermarktet. Als sie Juschtschenko im September 2005 zur Märtyrerin der Orangenen Revolution machte, rächte sie sich fünf Jahre später mit fast zehn Mal mehr Zustimmung bei den Präsidentschaftswahlen.

Dass es damals gegen den pro-russischen Janukowitsch nicht reichte, dafür zahlt Timoschenko nun einen bitteren Preis. Allerdings stehen die Chancen für eine frühzeitige Haftentlassung und Rehabilitation gut – auch wegen des Drucks der EU. Timoschenko sinnt sicher schon auf Rache an Janukowitsch und seinen willfährigen Richtern und Staatsanwälten.

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