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Linken-Chefin Katja Kipping beim Tagesspiegel-Interview.

© Mike Wolff

Linke-Vorsitzende Katja Kipping: "Die SPD ist gerade kein Quell des Optimismus"

Linken-Chefin Katja Kipping setzt nach wie vor auf Rot-Rot-Grün im Bund. Der CDU in Sachsen wirft sie im Interview vor, die AfD salonfähig zu machen.

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Rot-Rot-Grün im Bund gilt als so gut wie tot. Woran liegt’s – an Sahra Wagenknecht, der SPD oder der fehlenden gesellschaftlichen Stimmung?

Die Situation ist gerade eher offen. Was am 24. September rauskommt, sehen wir am Abend des 24. September. Die Erfahrungen der vergangenen Wahlen zeigen, dass es ganz schnelle Veränderungen im Wählerverhalten geben kann, mit Ausschlägen nach oben und unten. Wenn wir die soziale Spaltung in Deutschland und Europa überwinden wollen, muss das Trio aus Wolfgang Schäuble, Angela Merkel und Horst Seehofer abgewählt werden. Ich werde dafür werben, dass das geschieht.

Woher nehmen Sie Ihren Optimismus? An Martin Schulz kann es ja nicht so richtig liegen?

(Lacht.) Die SPD ist gerade kein Quell des Optimismus, was das anbelangt. Sie verändert im Wochentakt ihre Strategie. Das ist verheerend. Wenn wir hier eine Gesellschaft möchten, in der die Mitte besser gestellt wird, wo alle Menschen sicher vor Armut geschützt sind – und um das zu finanzieren, muss man Millionäre stärker zur Kasse bitten -, dann braucht man auch etwas Standhaftigkeit.

Nachdem Sie Martin Schulz kurz vor seiner Wahl zum SPD-Chef trafen, waren Sie noch verhalten optimistisch. Warum ist das verflogen?

Die SPD hat bis kurz vor der Saarlandwahl in der PR vieles richtig gemacht. Sie hatte einen Hype. Am Abend der Wahl hat sie sich dann einen falschen Spin einreden lassen: Erstens, dass das Ergebnis eine große Niederlage für sie sei. Und zweitens, dass es eine Angst vor Rot-Rot gegeben habe. Daraufhin haben sie wieder angefangen zu wanken und schwanken. Es zeigt sich: Aus Hypes können ganz schnell Luftnummern werden.

Hat es Sie sehr enttäuscht, dass sich die SPD sowohl in Schleswig-Holstein als auch in Nordrhein-Westfalen über das Scheitern der Linken an der Fünfprozenthürde gefreut hat?

Enttäuscht ist nicht das richtige Wort. Die Hoffnung der SPD, sie könnte mit einer Absage an Rot-Rot punkten, hat sich zerschlagen. Eine wichtige Lehre ist doch: Wenn man sich von vornherein mögliche Mehrheiten für die Durchsetzung seiner Wahlversprechen verbaut, dann verliert man zuerst an Glaubwürdigkeit und dann auch an Wählerstimmen.

Die Linke hat bei der Landtagswahl in NRW zwar zugelegt. Aber letztlich sind nur 17 Prozent der Verluste von SPD, Grünen und Piraten bei ihrer Partei gelandet. Wo hapert es bei der Linken?

Absolut haben wir in Nordrhein-Westfalen doppelt so viele Stimmen bekommen wie vor fünf Jahren. Angesichts der Verluste, die SPD, Grüne und Piraten zusammen hatten, müsste bei uns noch viel mehr gehen. Es muss sich viel mehr herumsprechen, dass wir die Partei sind, die die konkretesten Vorschläge zur Besserstellung der Mitte hat, verbunden mit einem klaren Einsatz, um jeden im Land vor Armut zu schützen. Darum geht es bei der Bundestagswahl.

In den 90er Jahren gab es eine PDS-Kampagne zur Bundestagswahl, in der Ihre Partei als „cool“ und „geil“ vermarktet wurde. Würde so etwas heute noch einmal funktionieren?

Meine Tochter ist noch zu jung, um mir Unterricht in Teenagersprache zu geben. Aber ich glaube, die Sprache ist heute eine andere. Wir müssen eine Kraft sein, auf die Verlass ist, die den Menschen zuhört und die mit voller Energie für ihre Ziele kämpft.

Aber haben Sie nicht ein Imageproblem? Die Linke kann der Rhetorik – Stichworte: nicht regierungsfähig, Europa-Gegner, außenpolitisch nicht verlässlich – nichts entgegensetzen. Sozialpolitisch wirkt Ihre Partei wie der Reparaturverein der Sozialdemokraten. Oder?

Einspruch euer Ehren. Die neoliberale Sozialdemokratie hat immer gesagt, wir sind für die arbeitende Bevölkerung –  und dann den Niedriglohnsektor eingeführt, was nicht nur den Druck auf die Löhne verstärkt, sondern auch dafür gesorgt hat, dass es den Armen und Arbeitslosen noch schlechter geht. Das akzeptieren wir nicht. Wir werben für eine soziale Garantie - und die SPD hat hier sträflich versagt. Zur Frage Regierungsfähigkeit: Wenn SPD oder Grüne jetzt unter Hinweis etwa auf Nato oder Bundeswehreinsätze im Ausland eine Zusammenarbeit mit uns ausschließen – und das tun ja zum Beispiel Thomas Oppermann und Cem Özdemir -, dann bauen sie damit nur einen Popanz auf. Sie lenken davon ab, dass sie selbst zum Kampf für soziale Gerechtigkeit nur Halbgares und Unverbindliches anzubieten haben und in sich zerstritten sind.

Das heißt, Sie brauchen nur eine andere Werbestrategie?

Und einen anderen Zeitgeist, um den müssen wir auch kämpfen. Wir leben in einer Zeit, in der Themen, die Millionen Menschen betreffen, wie die Kinderarmut, die Rente oder die Steuergerechtigkeit, eben nicht in den Talkshows rauf und runter diskutiert werden. Dort geht es dann eher um Themen, die Angela Merkel oder der AfD in die Hände spielen, zum Beispiel die Innere Sicherheit, oder um Geflüchtete als Problem.

Bei der Inneren Sicherheit wird Ihrer Partei relativ wenig Kompetenz zugeschrieben.

Wir wollen nachhaltig gegen Verunsicherung und Kriminalität vorgehen. Die Law-and-order-Freunde sind doch nur gut im Vortäuschen von Sicherheit. Ein Beispiel. Die Regierung setzt angesichts der Angst vor Einbrüchen auf härtere Strafen. Nur blöd, dass nur wenige Fälle überhaupt aufgeklärt werden. Wir sagen: Mehr Personal bei der Polizei würde da eher helfen. Doch dazu braucht die öffentliche Hand mehr Geld. Wir brauchen also eine Umverteilung von privatem Reichtum zu öffentlicher Handlungsfähigkeit, wenn wir nachhaltig mehr Sicherheit gewährleisten wollen.

"CDU in Sachsen trägt zur Normalisierung der AfD bei"

Linken-Chefin Katja Kipping beim Tagesspiegel-Interview.
Linken-Chefin Katja Kipping beim Tagesspiegel-Interview.

© Mike Wolff

Verspüren Sie allgemein mehr Frust über die Politik?

Ich habe unsere Grundsätze einem harten Praxistext unterzogen, zum Beispiel beim Haustürwahlkampf. Ich war in Stadtteilen, in denen einem die Perspektivlosigkeit ins Auge springt. Gerade in meiner Heimatstadt Dresden habe ich dabei erlebt, dass Pegida-Anhänger versuchen, uns gezielt zu provozieren. Aber ich lerne eben auch Leute kennen, die beweisen, dass Armut nicht automatisch zu Rassismus führt, die sich großartig engagieren in der Flüchtlingssolidarität, obwohl sie selber nicht viel haben. Und dann gibt es Menschen, für die Flüchtlinge der Platzhalter für alle möglichen Verunsicherungen sind. Die Flüchtlinge sind für die der Sündenbock. Die Regierung Angela Merkel kommt da nicht so in den Fokus, denn die sieht man nicht vor der eigenen Haustür.

Ist die Linkspartei zu etabliert? Schaden ihr die Regierungsbeteiligungen in mehreren Bundesländern?

Man kann an der Regierung von Bodo Ramelow in Thüringen sehen: Die Linke verändert etwas. Die thüringische Landesregierung hat die V-Leute abgeschafft, ein Recht auf Bildungsurlaub geschaffen, und sie wird ein gebührenfreies Kita-Jahr einführen. 

Viele wählen AfD, weil sie es „denen da oben“ mal so richtig zu zeigen. Warum wählen die eigentlich nicht links aus Protest?

Wenn eine Regierung über Jahre den Eindruck erweckt, ihre Politik sei alternativlos – und die Merkel-Regierung tut das -, dann führt das dazu, dass sich Protest auf ganz destruktive Weise äußert. Die AfD ist im Moment ganz gut selber dabei, sich zu zerlegen. Sie wird nicht verschwinden von der Bildfläche, aber ich bin zuversichtlich, dass wir die Rechten bei der Bundestagswahl hinter uns lassen werden.

Nehmen Sie der CDU ab, was Generalsekretär Tauber sagt: mit denen nie und nimmer?

Wir wissen noch nicht, wie die Auseinandersetzung in der CDU um die Frage von Koalitionen mit der AfD ausgeht. Wenn ich in mein Heimatland Sachsen schaue, bin ich in großer Sorge. Die CDU trägt dort klar zur Normalisierung und Entdämonisierung der AfD bei. Wenn in Meißen ein CDU-Stadtrat mit Tatjana Festerling Selfies macht, die einer der Köpfe der rassistischen Pegida-Mobilisierung war, und sich freut, dass demokratische Debatten verhindert werden, lässt das tief blicken.  

Das alles schadet der CDU offenkundig bisher nicht.

Wenn es gelänge, in Sachsen deutlich zu machen, dass es links von der CDU eine realistische  Machtalternative gibt, dass eine Mitte-Links-Landesregierung gewollt wäre, dann könnte man mobilisieren und begeistern. Da hat auch und gerade die SPD eine wichtige Aufgabe.

Wie erklären Sie sich, dass die in Sachsen dominierende CDU die CSU noch rechts überholt?

An dieser Frage verzweifle ich manchmal selbst. Natürlich wissen wir, dass es in Regionen, in denen es mehr Armut und Arbeitslosigkeit gibt, auch eine größere Anfälligkeit für Ressentiments und Chauvinismus gibt. Das ist für mich kein reines Ost-West-Ding. Die Demütigungserfahrungen der Nachwendezeit haben zu einer Begeisterung für eine Art Königsersatz wie Kurt Biedenkopf geführt. Die CDU in Sachsen muss endlich in die Opposition geschickt werden. Vorsitzende der CDU ist im übrigen Angela Merkel. Was in Sachsen passiert, ist kein allein sächsisches Problem, sondern das einer Parteivorsitzenden, die ihre Verantwortung nicht wahrnimmt.

Sie sind die bisher einzige Parteichefin, die als sehr junge Mutter an die Spitze gewählt wurde, Sie haben Doppelspitzen in Partei und Fraktion und Frauen und Migranten in Führungspositionen. Warum wirkt eine Partei, deren Führung stark modernisiert ist, dennoch weiter so honeckerbeige?

Wenn das so wäre, hätten wir doch keine überdurchschnittlichen Wahlergebnisse bei den Jüngeren bis 35, gerade auch in Berlin. Man muss nur unseren Parteivorstand ansehen, den kann man wirklich nicht mehr mit Vergangenheit assoziieren.

Aber vielleicht viele Basisorganisationen, sagen wir in Cottbus?

Unsere Verankerung im Osten ist doch unsere Stärke. In allen anderen Parteien macht die Stimme des Ostens immer maximal den Zweiten. Nicht bei uns.

Linken-Spitzenpolitiker (von links) Katja Kipping, Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht und Bernd Riexinger im Januar bei der Vorstellung des Entwurfs für das Bundestagswahlprogramm.
Linken-Spitzenpolitiker (von links) Katja Kipping, Dietmar Bartsch, Sahra Wagenknecht und Bernd Riexinger im Januar bei der Vorstellung des Entwurfs für das Bundestagswahlprogramm.

© Gregor Fischer/dpa

Dass Ihre Spitze moderner ist als Ihre Basis, würden Sie nicht sagen?

Da haben Sie ein verzerrtes Bild von unserer Basis. Immer mehr sieht man den Mix der Generationen. Bei den Neueintritten haben wir ein Durchschnittsalter von 35 Jahren.

Vielleicht liegt es daran, dass Sie keine Erzählung von moderner Gesellschaft haben? Sahra Wagenknechts Satz, der die Mittel für Flüchtlinge und die für Sozialausgaben in Geld fürs „Eigene“ und „Fremde“ etikettierte, erzählt jedenfalls nicht davon.

Die Menschen wollen eher genau wissen, was wir für sie tun. Da sind wir sehr konkret. Am Ende ist Handeln entscheidend. Wir Linken haben zu jedem Angriff aufs Asylrecht nein gesagt. Anders als selbst die Grünen.

Im Produzieren von Missverständnissen waren sie auch nicht so schlecht, um bei Wagenknecht und deren Äußerungen zur Flüchtlingspolitik zu bleiben.

Das ist doch längst geklärt. Nennen Sie mir die Partei, die frei ist vom Produzieren von Missverständnissen. Aber wenn es ums Handeln geht, dann ist auf uns Verlass.

Katja Kipping (39) ist seit Juni 2012 Vorsitzende der Linken. Die gebürtige Dresdnerin führt die Partei gemeinsam mit Bernd Riexinger. Das Gespräch führten Andrea Dernbach und Matthias Meisner.

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