zum Hauptinhalt
Gregor Gysi bewirbt sich bei der Bundestagswahl um ein Direktmandat in Treptow-Köpenick.

© Mike Wolff/Tagesspiegel

Linken-Politiker Gregor Gysi: "Rot-Rot im Saarland wäre ein wichtiges Signal"

Der Linken-Politiker Gregor Gysi im Interview über die Chancen für Rot-Rot-Grün im Bund, Lafontaines Pläne im Saarland und SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz als Hoffnungsträger.

Von Matthias Meisner

Herr Gysi, Oskar Lafontaine macht sich Hoffnungen auf Rot-Rot. Kann das Saarland nach der Wahl am Sonntag zur Blaupause für den Bund werden?

Auf jeden Fall könnte das Saarland das erste westdeutsche Bundesland werden, in dem SPD und Linke zusammen regieren. Es ist das Bundesland, in dem wir so viele Stimmen bekommen wie nirgendwo sonst im Westen. Das Land ist nicht so groß, insofern ist es für die anderen erstmal verkraftbar. Es kann also ein positives Beispiel werden. Aber die Länder, weder im Osten noch im Westen, sind nicht der Bund. Und trotzdem wäre Rot-Rot im Saarland ein wichtiges Signal.

Und das mit Lafontaine als Spitzenkandidat, der die SPD immer noch ganz schön nervt. Spielt das auch eine Rolle?

Sicherlich. Aber man kommt doch an objektiven Interessen nicht vorbei. Und das Interesse ist, dass er für eine andere Politik streitet. Und dass die SPD an der Seite der Union nicht stärker, sondern schwächer wird. Alle merken, wie die Zustimmung wächst, wenn Martin Schulz nur die Hoffnung zum Ausdruck bringt, aus der SPD wieder eine sozialdemokratische Partei zu machen. Dann das Erstarken der AfD. Diese ganze Atmosphäre darf man nicht vergessen. Deshalb werden sich Leute, die innerlich Schwierigkeiten haben, überwinden müssen. Oskar Lafontaine hat das frühzeitig erkannt und war für eine entsprechende Regierungsbildung im Saarland.

Im Bund gerät mit der Nominierung von Martin Schulz auch einiges in Bewegung. Verspüren Sie auch wachsende Zustimmung für die Option Rot-Rot-Grün?

Martin Schulz gilt als nicht zum politischen Establishment gehörend, weil er nicht im Bundestag ist und nie war und auch nie zu einer Bundesregierung gehörte. Es ist trotzdem eine Illusion, denn er gehört selbstverständlich als langjähriger Europapolitiker auch zum politischen Establishment. Für die Leute kommt er von weither, aus Brüssel. Und eben nicht aus dem früheren Bonn und dem jetzigen Berlin. Das ist der erste Vorteil. Der zweite Vorteil ist, dass er als erstes bestimmte soziale Maßnahmen angekündigt hat wie die Verlängerung des Arbeitslosengeldes I. Viele Menschen haben eine Hoffnung auf eine Sozialdemokratie, wie sie wirkte unter Willy Brandt. Wenn Martin Schulz nun, obwohl es eine andere Möglichkeit gäbe, eine Koalition mit der FDP oder der CDU einginge, machte er die SPD kaputt.

Sahra Wagenknecht, die Spitzenkandidatin der Linken bei der Bundestagswahl, nimmt Schulz die Abkehr von der Agenda 2010 nicht ab. Wie sehen Sie das?

Meines Erachtens nach hat Schulz keine andere Chance. Wenn er jetzt etwas ankündigt und es dann nicht macht, organisiert er die nächste tiefe Enttäuschung über die SPD. Wenn er umsetzen will, was er angekündigt hat, wird das mit der Union oder der FDP nicht funktionieren. Martin Schulz hat sich selbst in eine Situation gebracht, in der er offener sein muss in der Frage Rot-Rot-Grün. Wobei ich nicht übersehe, dass es in allen drei Parteien Leute gibt, die das nicht wollen. Aber die Interessen der Gesellschaft sehen anders aus.

Sie haben Martin Schulz kürzlich getroffen. War das Ihre Idee oder seine?

Als ich zum Präsidenten der Europäischen Linken gewählt wurde, habe ich viele angeschrieben und um einen Antrittsbesuch gebeten. Er hat sehr schnell reagiert. Und dann haben wir beide unsere Terminkalender zur Hand genommen, um einen Termin zu finden, an dem er noch Präsident des Europäischen Parlamentes ist. Und den haben wir auch gefunden. Insofern hatten wir beide ein Interesse.

Was könnte eine rot-rot-grüne Bundesregierung bewirken?

Ich sehe drei Funktionen: Sie muss für einen sozialen Schub und für mehr Steuergerechtigkeit auch für die Mitte der Gesellschaft sorgen. Und sie muss das Ganze im Bündnis mit den klein- und mittelständischen Unternehmen machen. Sonst scheitert sie.

Wo sehen Sie im Moment die größten Hürden für Rot-Rot-Grün?

Bei der Rente.

Nicht in der Außenpolitik?

Nein.

Warum nicht?

Weil die SPD weiß, dass der Afghanistan-Krieg falsch war. Sie weiß, dass der Irak-Krieg falsch war. Sie weiß, dass der Libyen-Krieg falsch war. Sie weiß, dass die Europäische Union in einer Krise ist, aber gerettet werden muss. Sie weiß auch, dass der Euro anders gehandhabt werden muss, dass wir eine Aufbau- und nicht eine Abbaupolitik im Süden Europas brauchen. Das wird gemeistert. Aber die Rente, die Rente. Wenn wir die Armutsrente der Zukunft ausschließen wollen, müssen wir für die jetzt junge Generation festlegen: Alle mit Erwerbseinkommen müssen ohne Beitragsbemessungsgrenze einzahlen und der Rentenanstieg für die Spitzenverdiener muss abgeflacht werden. Und die Angleichung der Renten Ost an West muss schneller kommen. Das mit der SPD durchzubekommen, halte ich für ein großes Kunststück.

Martin Schulz legt sich in der Koalitionsfrage nicht fest, wenigstens nicht öffentlich. Ist das aus Ihrer Sicht eine kluge Strategie?

Noch eine vernünftige Strategie. Jetzt ist es ja auch zu früh. Wahlkampf führt man ja nicht zusammen. Er wird gegen die Linke polemisieren, ich werde in meinen Wahlkampfreden die SPD zurecht kritisieren. Aber es muss schon Gespräche geben, Andeutungen so derart: Könnten wir uns nicht auf dem Gebiet verständigen oder auf jenem? Die zweite und die dritte Reihe kann man doch schon über alles reden lassen. Dann gibt es fünf Punkte, wo die nicht weiterkommen. Und das muss dann die erste Reihe machen.

Die erste Reihe bei Ihnen formuliert doch gerade eher rote Linien.

Aber auch die erste Reihe bei uns weiß, was auf sie zukommt. Wer nicht kompromissfähig ist, ist nicht demokratiefähig. Und wer zu viele Kompromisse macht, gibt seine Identität auf. Die Kunst besteht darin, dafür den richtigen Weg zu finden. Wenn die Linke in einem Krieg wie gegen Jugoslawien, Afghanistan, Irak oder Libyen teilnähme, könnten wir einpacken. Auf der anderen Seite muss man sich dann auch bei sozialen Forderungen sagen: Also Leute, ganz so weit können wir nicht gehen, wir erreichen nur die Hälfte. Aber immerhin, das ist doch schon etwas. Ich mag ja die roten Linien nicht. Weil rote Linien immer bedeuten, dass ein Parteitag seiner eigenen Führung misstraut. Ein Koalitionsvertrag muss ohnehin von den Mitgliedern bestätigt werden.

Wie optimistisch sind Sie?

Die drei Parteien müssen einfach wissen, worum es historisch geht. Wenn sie jetzt alle – oder auch nur eine oder zwei – versagen, versündigen sie sich an unserer Gesellschaft, weil die Entwicklung nach rechts dann verstärkt weiter gehen wird. Und das will ich auf gar keinen Fall.

Gregor Gysi (69) war bis Herbst 2015 viele Jahre lang Vorsitzender der Linksfraktion im Bundestag. Bei der Bundestagswahl im Herbst bewirbt er sich um ein Direktmandat im Berliner Stadtteil Treptow-Köpenick. Das Gespräch führte Matthias Meisner.

Zur Startseite