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Lula da Silva.

© AFP

Brasilien: Lulas Mega-Projekt

Brasiliens Präsident machte das Land zum Global Player. Jetzt gibt er grünes Licht für einen Riesen-Staudamm.

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Trotz massiver Proteste im In- und Ausland hält Brasiliens Regierung an ihren Plänen für das drittgrößte Wasserkraftwerk der Welt im Amazonas-Gebiet fest. Präsident Luiz Inácio Lula da Silva unterzeichnete jetzt einen Konzessionsvertrag mit dem Konsortium Norte Energía SA, das für 35 Jahre die Nutzungsrechte an dem Kraftwerk Belo Monte am Xingu- Fluss im Bundesstaat Pará hat. Damit rückt der Baubeginn für das Milliardenprojekt immer näher. Das umgerechnet etwa 8,5 Milliarden Euro teure Kraftwerk soll 2015 in Betrieb gehen.

Die Regierung hält das Wasserkraftwerk bei der Stadt Altamira zur Sicherung der Energieversorgung für die weltweit achtgrößte Volkswirtschaft für notwendig. Die am und vom Xingu-Fluss lebenden Indios, die katholische Kirche, Menschenrechtler und Umweltschützer laufen dagegen Sturm gegen das Projekt. Sie befürchten unkalkulierbare Auswirkungen auf die Umwelt und sehen die Lebensgrundlagen der Indios massiv bedroht: Für die Anlage sollen 500 Quadratkilometer Regenwald überflutet und nach Schätzungen der Kritiker bis zu 50 000 Menschen vertrieben werden.

Als Präsident Lula 2003 sein Amt antrat, herrschten in Brasilien Panik und Angst vor einer unmittelbar bevorstehenden Staatspleite. Bald geht er aus dem Amt, im Oktober stehen Wahlen an. Unter seiner Ägide ist das größte Land Lateinamerikas vom regionalen Schwergewicht zum Global Player aufgestiegen, zu einem gewichtigen Akteur, dessen Stimme auf der Weltbühne gehört wird. Der ehemalige Gewerkschafter bereiste Afrika und Asien, ist Dauergast auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos und diente sogar seine Vermittlung in Nahost an.

Unter Lula übernahmen die Brasilianer die Führung der UN-Stabilisierungstruppe in Haiti, der Staatskonzern Petrobras fand neue, riesige Offshore-Erdölvorkommen, und die Brasilianer avancierten zur Ethanol-Macht mit 30 Jahren Vorsprung vor anderen Ländern: Schon während der Ölkrise der 70er Jahre begann das Land mit Investitionen in alternative Treibstoffe. Lulas Sozialprogramme sorgten dafür, dass Millionen von Armen nicht mehr hungern. Gleichzeitig konsolidierte seine konservative Wirtschaftspolitik die heimische Ökonomie, die selbst die internationale Finanzkrise einigermaßen unbeschadet überstand. Gehörten 2003 rund 64 der 190 Millionen Brasilianer zu Mittelschicht – worunter das Nationale Statistikinstitut ein monatliches Einkommen von 430 bis 1800 US-Dollar zählt –, waren es im vorigen Jahr 91 Millionen.

Doch wie stabil ist das Fundament, auf dem das südamerikanische Land steht? Die Frage ist insofern berechtigt, als Brasilien schon lange als „Land der Zukunft“ gilt, den Sprung in die erste Liga aber nie geschafft hat. „Um eine Weltmacht zu werden, reicht der bloße Wille nicht aus“, schrieb Mexikos Ex-Außenminister Jorge Castaneda in einem bissigen Kommentar für „El Pais“ aus Madrid. Die Medien tendierten dazu, Brasiliens Erfolge über- und die Misserfolge unterzubewerten, schrieb er. Wirtschaftlich steht Brasilien solider da als früher, aber noch immer mit strukturellen Schwächen: einem erstarkten Real, der die Außenhandelsbilanz ins Negative drücken könnte; einem steigenden Anteil von Rohstoffen und Agrarprodukten wie Soja an den Exporten – die klassischen Ausfuhrprodukte eines Entwicklungslandes. Das größte Handicap aber ist die veraltete Infrastruktur. Beobachter fragen sich, wie das Land die kommenden Sport-Großereignisse – Fußballweltmeisterschaft 2014 und Olympische Sommerspiele 2016 – stemmen will. Jahrzehntelang investierte der Staat gerade einmal 0,5 Prozent des BIP in den Straßenbau. Auch das Stromnetz ist überlastet, immer wieder kommt es zu Stromausfällen wie Ende 2009, als im halben Land das Licht ausging. Der Airport Sao Paolo mutet an wie ein besserer, deutscher Provinzflughafen. Ähnlich sieht es auf den Straßen aus: unübersichtlich, voller Schlaglöcher, überlastet.

Deshalb hat Lula jetzt ein großes Investitionsprogramm über umgerechnet 600 Milliarden Euro aufgelegt. Es soll im Vorfeld der Wahlen nicht nur Stimmen für seine designierte Nachfolgerin Dilma Rousseff mobilisieren, sondern die Binnenwirtschaft bis 2014 ankurbeln und Brasilien fit machen fürs 21. Jahrhundert. Kritiker werfen ihm jedoch vor, das Geld hauptsächlich für prestigeträchtige Megaprojekte auszugeben – wie zum Beispiel der Staudamm am Amazonas. Die Megaprojekte nutzten nur einigen Großkonzernen, nicht der örtlichen Bevölkerung, kritisiert Lulas früher Verbündeter, der Theologe Frei Betto. Dabei liege das größte Entwicklungshemmnis im sozialen Bereich. Brasilien gehört weltweit zu den Ländern mit der ungleichsten Reichtumsverteilung – trotz Lulas Sozialprogrammen sind 42 Millionen Menschen arm. Verschärft wird die Marginalisierung von Millionen durch ein Bildungssystem, das die Ungleichheit zementiert statt Aufstiegschancen für die Ärmsten zu bieten. Nur ein Drittel der Brasilianer hat einen Schulabschluss. Mit 26 Morden pro 100 000 Einwohner gehört Brasilien außerdem zu den gewalttätigsten Ländern Lateinamerikas. Schwachstellen, die der sozialdemokratische Präsidentschaftskandidat José Serra jetzt im Wahlkampf gerne hervorkehrt. Er verspricht einen schlankeren Staat, mehr Effizienz, weniger Steuern, mehr Sicherheit, ein besseres Verkehrsnetz, die Erschließung neuer Märkte im Ausland und mehr Investitionen. „Brasilien kann es besser“, so lautet seine Kampfansage an Rousseff.

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