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Gegner von Stuttgart 21 sehen in Ministerpräsident Mappus einen cäsarischen Alleinherrscher.

© AFP

Bahnprojekt: Mappus und die "Spätzle-Connection"

In der Debatte um das umstrittene Bahnprojekt Stuttgart 21 droht der Landesregierung neues Ungemach. Nach Informationen von Handelsblatt Online ist die Landesumweltministerin für die Stiftung eines Shoppingcenter-Betreibers tätig, der in ein gigantisches Einkaufszentrum auf dem S-21-Gelände investieren will.

Das Bahnprojekt Stuttgart 21 (S-21) soll Baden-Württemberg und seiner Landeshauptstadt wichtige Impulse verleihen - nicht nur durch den Umbau des Stuttgarter Hauptbahnhofs, sondern vor allem auch durch die Bebauung des angrenzenden Areals. Dabei geht es immerhin um eines der größten privat finanzierten Immobilienprojekte Deutschlands. Für 500 Millionen Euro will ein Konsortium aus ECE, Strabag und Bayerische Bau und Immobilien Gruppe das „Quartier am Mailänder Platz“ errichten - mit 43.000 Quadratmetern Verkaufsfläche, Gastronomie, Dienstleistung, Hotel, Büros sowie rund 500 Mietwohnungen und 2.200 Tiefgaragenstellplätze. Ein Baustopp oder gar ein komplettes Aus für S-21 wäre verheerend - für die Stadt, aber erst recht für die ECE.

Dazu soll es nicht kommen. Deshalb suchen der baden-württembergische Ministerpräsident Stefan Mappus und der Schlichter Heiner Geißler (beide CDU) einen Kompromiss in dem Streit um das gesamte S-21-Projekt. Ein ambitioniertes Unterfangen, zumal der Landesregierung wegen der ECE neuer Ärger droht. Grund ist die von der ECE gegründete Stiftung „Lebendige Stadt“, mit der sich der Projektentwickler gemeinnützig für europäische Städte engagiert. An sich ist das nichts Besonderes. Nicht ungewöhnlich ist auch, dass dem Stiftungsrat und dem Kuratorium namhafte Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kultur, Politik und Wirtschaft angehören. Vorsitzender des Kuratoriums ist Alexander Otto, Sohn des ECE-Gründers und Versandhauspioniers Werner Otto.

Pikant ist, dass dem geschäftsführenden Vorstand der Stiftung Friederike Beyer angehört. Beyer ist die Lebensgefährtin von Günther Oettinger (CDU), früher Stuttgarter Ministerpräsident, heute EU-Industriekommissar. Endgültig zum Politikum jedoch macht die Sache, dass dem Stiftungsrat die Landesministerin für Umwelt, Naturschutz und Verkehr, Tanja Gönner (CDU), und der Stuttgart-21-Architekt Christoph Ingenhoven angehören.

Es habe „ein Geschmäckle“, wenn ein Regierungsmitglied offenbar nicht die nötige Distanz zu einem Projektbeteiligten wahre, sagte der Vorsitzende des Bundestagsverkehrssauschusses, Winfried Hermann, Handelsblatt Online. „Die betreffenden Personen müssen darlegen, dass kein Interessenkonflikt besteht, wenn sie gleichzeitig für eine Stiftung arbeiten, die von Stuttgart-21 profitiert“, sagte er. Hermann legte der Ministerin den Rückzug aus der ECE-Stiftung nahe: „Frau Gönner sollte sich überlegen, ob sie sich aus der Stiftung zurückzieht.“ Ansonsten sei nicht gewährleistet, dass sie ihre politischen Entscheidungen im Zusammenhang mit dem Bahnprojekt unabhängig treffe.

Dabei hatte Gönner mit dem Projekt zunächst wenig am Hut. Jedenfalls fiel der Bahnhofsumbau erst nicht in ihre Zuständigkeit. Denn Gönner war bis 2005 Sozialministerin. Erst danach, als sie 2005 Umweltministerin und dann 2010 zusätzlich noch Verkehrsministerin wurde, war sie unmittelbar in S-21 involviert.

Oettingers Rolle für das Projekt liegt auf der Hand. Stuttgart 21 ist sein Vermächtnis an die heute im Ländle Regierenden. Denn Oettinger war es, der das Projekt im Sommer 2007 letztlich durchsetzte – damals noch auf eine breite parlamentarische Mehrheit gestützt. Oettinger machte denn auch nie einen Hehl daraus, welche immense Bedeutung das Projekt für ihn hat. Beim ersten Spatenstich im Februar diesen Jahres sagte er: Wenn die Trasse und der Bahnhof jetzt nicht gebaut würden, dann werde „in unserer Generation gar nichts mehr“ gebaut.

Ingenhoven ist einer der federführenden Architekten des Bahnhofsumbaus. Schon 1997 hatte er den Wettbewerb um die Neugestaltung des Stuttgarter Hauptbahnhofs unter 190 Mitbewerbern gewonnen. Den Zorn der Landeshauptstädter zog er auf sich, als die anfingen gegen sein Lieblingsprojekt mobil zu machen und er ihnen daraufhin „Historismus-Seligkeit“ vorwarf.

Der Grünen-Politiker Hermann sieht die Verstrickungen der S-21-Beteiligten mit dem Investor ECE nahe am Filz. „Das ist ein weiteres Beispiel für die Spätzle- und Maultaschen-Connection, wie wir sie aus Baden-Württemberg kennen: von Lothar Späth bis Stefan Mappus sehen wir eine zu große Nähe zu wirtschaftlichen Interessen“, wettert er.

Für problematisch hält Hermann auch das S-21-Engagement von Martin Herrenknecht. Der Konzern des Schwarzwälders fertigt riesige Maschinen, die Tunnel in Berge bohren können. Einer dieser Kolosse hat die vierte Elbtunnelröhre in Hamburg gegraben, ein anderer frisst sich gerade in den Schweizer Sankt Gotthard. Herrenknecht würde gerne auch maßgeschneiderte Maschinen für Stuttgart 21 liefern.

Besonders heikel in dem Zusammenhang findet der Grünen-Politiker, dass der Stuttgarter Ex-Regierungschef Lothar Späth dem Tunnelbohrer eng verbunden ist. Späth, ehemaliger Ministerpräsident und heute noch Verfechter von S21, ist Aufsichtsratsvorsitzender der südbadischen Herrenknecht AG, die bei den Grabungen zu S21 eine Hauptrolle spielen wird. „Man hat schon den Eindruck, dass die vielen Tunnelkilometer, die für Stuttgart 21 gebohrt werden sollen, ein Projekt Herrenknecht auf Staatskosten sind“, sagte Hermann.

Ganz abwegig ist diese Einschätzung nicht, wenn man die Rolle Oettingers noch einmal in den Blick nimmt. Dieser hatte 2008, damals noch Ministerpräsident, in einer Regierungserklärung gesagt, Herrenknecht werde bohren, ohne dass Ausschreibungen vorliegen.

Quelle: Handelsblatt Online

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