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Andrej Holm.

© dpa

Martenstein über Holm: Wer Opfer ist, bestimmen immer noch Genossen

Andrej Holms Botschaft heißt: Wir, die Ex-Stasi, sind das Volk. Er macht Täter zu Opfern und Opfer zu Tätern. Ein Kommentar zum Fall des gescheiterten Berliner Staatssekretärs.

Ein Kommentar von Harald Martenstein

Wir reden oft über Flüchtlinge, warum nicht auch mal über diese: Vier Millionen Menschen sind aus der DDR geflohen. Die meisten haben dabei, wie heute die Syrer, alles zurückgelassen. Die Stasi hat mindestens 200.000 DDR-Bürger in den Knast gebracht. Mindestens 2500 starben, viele von ihnen bei fingierten Unfällen oder durch Suizid. Eine Spezialität der Stasi hieß „weiße Folter“, dabei entstanden keine körperlichen Spuren, statt dessen sollte die Persönlichkeit des Opfers zerstört werden.

Wenn der Ex-Staatssekretär Andrej Holm, der jetzt von seinen pseudohumanistischen Freunden als Märtyrer für die Sache des Sozialismus gefeiert wird, einen rassistischen Witz gemacht hätte, dann wäre er sein Amt wohl schnell los gewesen, ohne lange Debatte. Warum? Weil der Witz Gefühle verletzt. Das wäre der Schaden, den Holm mit einem solchen Witz angerichtet hätte, ein verletztes Gefühl.

Aber für die Linke gibt es Gefühle, die wichtig sind, und Gefühle, die unwichtig sind. Dass es Gefühle verletzt, wenn ein Folteropfer ein Mitglied der Folterfirma als neue Regierung vorgesetzt bekommt, und zwar eines, das nicht einmal das Billigste und Mindeste zu geben imstande ist, nämlich ein Zeichen der Selbstreflexion, also ein Indiz dafür, dass er, bei Gelegenheit, heute nicht wieder in eine ähnliche Firma mit ähnlichen Methoden eintreten würde – dieser Gedanke ist offenbar zu bizarr, als dass er bei der Linken viele Freunde fände. Wer Opfer ist, Genossen, bestimmt in eurer Welt immer noch ihr.

"Biografie mit Widersprüchen"

In seiner Rücktrittserklärung nennt Holm den Regierenden Bürgermeister abfällig „Herr Müller“ und macht die Medien verantwortlich, ein Lügenpresse-Vorwurf von links. Er schreibt, er habe halt „eine Biografie mit Widersprüchen“. Wo, bitte, finde ich in seiner Biografie den Widerspruch? Originalton Holm: „Wer einen gesellschaftlichen Aufbruch will, wird auch biografische Brüche und das Unangepasste akzeptieren müssen.“ So macht er, in alter Stasi-Tradition, die Täter zu Opfern und die Opfer zu Tätern. Die „Unangepassten“ waren die Zielobjekte der Stasi, nicht er.

Wer lange in Geiselhaft leben muss, beginnt oft, sich mit den Geiselnehmern zu identifizieren, ein Selbstschutz, man spricht vom „Stockholm-Syndrom“. Der Linken ist es gelungen, einen Teil der DDR-Bürger mit dem Stockholm-Syndrom zu infizieren. Sie glauben, Stasi-Vorwürfe seien eine Diffamierungsmasche besserwisserischer Westler gegen alle Ostdeutschen. Holms Botschaft heißt: Wir, die Ex-Stasi, sind das Volk. In Wirklichkeit waren fast alle Opfer Ostdeutsche. Mir, dem Wessi, hätte die Stasi bestimmt nichts getan. Wenn einer wie Holm heute nicht regieren darf, dann nur deshalb, weil mutige DDR-Bürger dieses System zum Teufel gejagt haben.

Im Umgang mit Holm ging jedes Maß verloren: Eine Gegenposition von Jost Müller-Neuhof lesen Sie hier.

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