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Martensteins Schreibexperiment zum "IS": Wer auf Islamisten schießt, darf sich über die Folgen nicht wundern

Tagesspiegel-Kolumnist Harald Martenstein wagt ein Experiment: Wie hört sich das an, wenn man die Argumente der Putin-Versteher auf den "Islamischen Staat" anwendet?

Dies ist ein Schreibexperiment. Ich möchte ausprobieren, ob man auch die Gruppe „Islamischer Staat“ verstehen kann, die im Irak ein Kalifat errichten will und dabei massenhaft Leute umbringt. Dazu verwende ich Sätze und Argumente, die ich in den vergangenen Wochen gehört oder gelesen habe, im Zusammenhang mit Putin.

Also: Eines ist klar – die Grenzen im Mittleren Osten sind willkürlich von den Kolonialmächten gezogen worden. Staaten wie der Irak oder Jordanien sind Kunstprodukte. Noch mehr als die Ukraine. Der IS hat also das Recht, diese willkürlich gezogenen Grenzen zu verändern. Früher gab es da mal ein Großreich, das Kalifat. Heute gibt es das Kalifat nicht mehr. Es ist doch klar, dass diese Tatsache den Stolz der Menschen dort verletzt. Sie fühlen sich gedemütigt und eingekreist. Wenn man sich die Weltkarte anschaut – rund um das neue Kalifat des IS herum liegen Staaten und Gebiete, die keine Kalifate sind. Dass dadurch bei den IS-Kriegern Ängste geweckt werden, ist nachvollziehbar. Wer Menschen in ihrem Stolz verletzt, muss damit rechnen, dass sie sich wehren, vor allem gilt dies für Kalifen und ihre Krieger.

Wenn der Westen, statt den IS zu bombardieren, alle Araber entwaffnen würde, die gegen den IS kämpfen, würde dort garantiert bald Frieden herrschen. Aber der Westen gießt Öl ins Feuer. Statt die Kurden zu entwaffnen, um Frieden zu schaffen, liefert Deutschland den Kurden sogar Waffen.

Menschenrechte sind ein Import aus dem Westen, die Völker dort unten wollen das nicht. Wenn man da unten einen islamischen Staat errichtet, verwirklicht man nur das Selbstbestimmungsrecht der Völker, die ihre eigene Kultur leben möchten. Gut, sehr viele Muslime auf der ganzen Welt sind gegen den IS. Diese Muslime sind vom Westen korrumpiert worden.

Die IS-Leute ermorden Christen, sie töten alle möglichen anderen Menschengruppen, das ist nicht zu bestreiten. Aber wie behandelt der Westen denn die Islamisten? Man muss nur einmal an den Afghanistankrieg denken. Wer auf Islamisten schießt oder ihren Gegnern Waffen liefert, darf sich über die Folgen nicht wundern. Das Gleiche gilt für die Reporter, denen vor laufender Kamera der Kopf abgeschnitten wird. Das ist nicht schön. Aber was machen denn die USA in Guantanamo? Wie haben sie denn die Gefangenen in dem Foltergefängnis in Bagdad behandelt? Den USA geht es nur um ihre Einflusssphäre. Ob die IS-Krieger da wirklich so viele Frauen vergewaltigen, ist nicht bewiesen. Gut, gegen die Folterer aus dem Gefängnis haben die Amis einen Prozess veranstaltet. Aber ob der IS nicht auch irgendwann einen Prozess veranstaltet, weiß man doch nicht.

Wir sollten in aller Ruhe abwarten. Was geht uns das überhaupt an?

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