zum Hauptinhalt

Merkel und Böhmermann: Auf die Haltung der Kanzlerin ist kein Verlass

Es gibt Gründe für die Entscheidung Merkels in der Causa Böhmermann. Aber eine andere Entscheidung wäre möglich gewesen. Und nötig. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan-Andreas Casdorff

Wenn es nur um Recht und Gesetz gegangen wäre, wie die Bundeskanzlerin mit allen ihren Worten nahezulegen versucht hat – dann wäre es ihr genauso möglich gewesen, die deutsche Justiz nicht von staatlicher Seite aus zur Strafverfolgung gegen den ZDF-Moderator Jan Böhmermann zu ermächtigen. Angela Merkel hätte auch ganz anders argumentieren können, und dem Recht wäre doch Genüge getan. Das hat sie aber nicht, und so fällt diese Ermächtigung auf sie zurück. Die Kanzlerin wird wissen, wie ihr diese Entscheidung ausgelegt werden wird, in der Koalition, in der Nation. Die Mehrheit der Deutschen ist dagegen, dass sie dem Begehren von Majestät Recep Tayyip Erdogan in dieser Weise entspricht.

„Majestät“ ist deshalb der passende Begriff, weil der Strafgesetzparagraf 103 aus dem Jahr 1871 der für die Majestätsbeleidigung ist. Er stammt also aus der Zeit, als wir noch in Kutschen fuhren und einen Kaiser hatten. Und die Türken einen Sultan. Darum ist es übrigens bei allem Verdruss gut, dass der Paragraf abgeschafft wird. 2018 soll es ihn nicht mehr geben – immerhin.

Die AfD wird sich freuen

Aber zurück zu Merkel. Ja, die Kanzlerin kann so entscheiden, politisch wegen ihrer Richtlinienkompetenz, juristisch, weil sich Gründe finden. Dass es aber eine andere Auffassung geben kann, macht der Streit der Beteiligten deutlich. Das Kanzleramt gegen das Außenamt, das Innen- gegen das Justizressort, die Union gegen die SPD – das tut weh: der Regierung und dem Land. Mal sehen, wem diese beispiellose Spaltung am Ende nutzt. Und wie sich das bei den kommenden Wahlen niederschlägt. Schon eine Ahnung?

Die AfD wird sich freuen. Noch einmal: Eine andere Haltung wäre möglich. Und nicht nur möglich, sondern geboten. Nämlich die, Erdogan nicht nachzugeben, so dass es von ihm als Kotau gedeutet werden kann. Eben nicht auch nur den Hauch des Eindrucks zu hinterlassen, für die Lösung in der Flüchtlingsfrage werde die Meinungsfreiheit verraten und verkauft. Nein, nein, so ist es nicht, wird jetzt der Unionsteil der Regierung aufschreien – Pech nur, dass es in diesem Zusammenhang so wirkt. Genau so.

Was die Bundeskanzlerin stattdessen hätte tun sollen? Sie hätte dem Ansinnen dieses einen Mannes nicht nachgeben dürfen, der in seinem Land die Presse- und Meinungsfreiheit mit seiner Macht unterdrückt. Denn das wird Merkel doch auch wissen, aus Berichten von „Reporter ohne Grenzen“, von Amnesty, anderen. Ganz klar, das Verhalten Erdogans wird ausstrahlen auf das deutsch-türkische Verhältnis. Es wird sich nicht zum Guten wenden.

Der Verteidigung der Pressefreiheit in der Türkei hilft das nicht

Der Schaden für das Ansehen der Türkei ist absehbar. Und auch in die Türkei hinein, an die Adresse derjenigen, die für demokratische Grundrechte ins Gefängnis gehen, sendet Merkel ein grundfalsches Signal. Anders als die EU. Die hat klar gemacht, was sie von Erdogans Begehren hält – nichts. In den USA wird die Kanzlerin sowieso niemand verstehen. Da darf jeder alles mögliche ungestraft sagen.

Ach, eines noch: Gewaltenteilung in Deutschland wäre auch ohne Merkels Kotau gewährleistet. Der Rechtsstaat wird seiner Aufgabe gerecht, die Justiz kann Recht sprechen, so viele Strafanzeigen, wie bei der Staatsanwaltschaft Mainz eingegangen sind, darunter die von Erdogan – rechtlich nimmt das Verfahren seinen Lauf. Darauf kann man vertrauen. Auf die Haltung der Kanzlerin nicht.

Zur Startseite