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Angela Merkel.

© dpa

Parteitag: Merkel weist der CDU die Richtung

Beim CDU-Parteitag hat Angela Merkel vorgesorgt, zu Flügelkämpfen kommt es nicht. Er ist zwar zu erleben, der Unterschied zwischen der Angela von 2003 und der Merkel von 2011. Aber vielleicht ist er gar nicht so groß.

Von Robert Birnbaum

Der Mann, der den Kompromiss mit ausgehandelt hat, schüttelt missbilligend den Kopf. Vor ihm liegt eine Zeitung, sie berichtet unten rechts über den Kompromiss, den die Parteiführung am Sonntagabend vorgab und den der CDU-Parteitag am Montagabend beschlossen hat. „Merkel setzt sich im Mindestlohn-Streit durch“ lautet die Überschrift. „Das stimmt ja schon mal nicht“, sagt der Mann. Möglicherweise hat er damit sogar recht. Nur ist das nicht leicht zu entscheiden, weil der Kompromiss einer von der Sorte ist, dass hinterher jeder sagt, er hat gewonnen. So was ist normalerweise ein Zeichen für eine gute Lösung, nur liest eben leider jeder der Sieger die neun Zeilen, die der CDU-Vorstand am Vorabend des Parteitags ausbaldowert hat, völlig anders, als die anderen Gewinner sie lesen würden.

Aber die Zeitungsüberschrift stimmt in jedem Fall und trotzdem. Angela Merkel hat einen Kompromiss gewollt. Sie hat einen bekommen. Er mag weich sein, eine allgemeine Lohnuntergrenze einerseits, die Möglichkeit zu „Differenzierungen“ andererseits, was immer das heißen mag. Aber er reicht aus, damit es keinen Streit der Flügel geben wird, keine offene Feldschlacht, keine streitige Abstimmung, die eine Seite als Verlierer zurücklässt.

„Die Diskussion wird jetzt relativ simpel werden“, frohlockte Michael Fuchs, der den Mittelstand vertritt und Mindestlöhne prinzipiell für des Teufels hält, vor der Debatte. „Das ist ein guter Text“, sagte Peter Weiß, der den Sozialflügel vertritt und den Mindestlohn für dringend nötig hält. „Ich weiß gar nicht, was manche da rein lesen!“

In Leipzig hat sich die CDU für diesen Parteitag getroffen. Leipzig, das ist ja nun ein Name, der einen ganz bestimmten Klang hat in der jüngeren Parteigeschichte. Im Jahr 2003 war Angela Merkel eine ziemlich frische CDU-Vorsitzende und voller revolutionärer Ideen. Leipzig 2003 war der Parteitag der Kopfpauschale und der Bierdeckel-Steuerreform. Das ist lange her, von beiden Projekten redet heute keiner mehr. Aber manche von denen, die damals dabei waren, kriegen heute noch glänzende Augen. „Da haben wir einmal etwas durchentschieden“, schwärmt einer. „Das war ein in sich geschlossenes Konzept, genau so wie wir das wollten!“ Keine Rücksicht auf diesen Flügel und jene Arbeitsgemeinschaft, nur an der Sache orientiert, eine klare, scharfe Vision. „Das war doch mal was!“

Man kann es auch kürzer sagen: Keine Kompromisse. Das hat die CDU damals hingekriegt.

Ist das also der Unterschied zwischen der Angela von 2003 und der Merkel von 2011?

Die Kanzlerin trägt diesmal schwarz. Das ist insofern bedeutsam, als Merkel sich seit längerem einen Spaß daraus macht, morgens beim Griff in den Kleiderschrank in Farbsymbolik zu denken. Rot steht für Attacke, Grün für Hoffnung, Samtblau für Madame Europe und Schwarz für seriös. Ihre Reminiszenz an 2003 fällt knapp und, sagen wir, ein bisschen selektiv aus. „Deutschland kann mehr“, sei damals das Motto gewesen. „Wir haben dieses Ziel erreicht. Wir haben Deutschland wieder an die Spitze geführt.“ Ende des Rückblicks.

Es fällt aber auch sonst vieles von dem flach, was normalerweise zur Rede einer CDU-Vorsitzenden gehört. Der politische Gegner zum Beispiel bleibt so gut wie unbeschimpft. Die SPD, die Grünen, die Linke – sie kommen namentlich überhaupt nicht vor. „Manche“ könnten es sich ja leisten, gegen alles zu sein, den bequemen Weg zu gehen, sagt Merkel – man muss schon genau hinhören, um hinter den „manchen“ die Grünen zu erahnen. Die FDP wird auch nicht erwähnt. Die CSU genau so wenig. Wer ohne nähere Kenntnis der bundesdeutschen Verhältnisse dieser Rede zuhören würde, müsste den Schluss ziehen, dass die CDU alleine regiert. Wer die Lage in der schwarz-gelben Koalition kennt, kann allerdings bekanntlich zu dem gleichen Schluss kommen.

Eine FDP, deren Chef, kaum im Amt, schon ums Überleben kämpft; eine CSU, deren Chef Horst Seehofer seine Rede an die Schwesterpartei später beim Parteiabend abliefern wird, als Auftakt zum unernsten Teil des Tages – darauf muss man erst mal kommen.

Aber das ist hier kein Thema, schon gar nicht für Merkel. Ihr Thema steht in großen Buchstaben auf der blaugrauen Wand hinter dem Rednerpult: „Für Europa. Für Deutschland.“ Europa, wohlgemerkt, zuerst. Doch es dauert noch ein bisschen, bis Merkel darauf zu sprechen kommt, weil sie erst mal noch ein paar andere Dinge zu klären hat.

Lesen Sie auf Seite 2, was Merkel zu Europa sagte - und wer den Konservativen eine Gardinenpredigt hielt.

Es hat ja im Vorfeld dieses Parteitags wieder allerlei Klagen darüber gegeben, dass der CDU unter der Vorsitzenden Merkel ein Herzstück nach dem anderen aus dem Herzen gerissen werde. Wehrpflicht weg, Atomkraft weg, Hauptschule ade, jetzt auch noch Mindestlohn – da hat sich viel aufgestaut. Dazu kommt ein Gefühl, das weit über den Kreis der sozusagen chronisch Enttäuschten hinaus reicht. „Wir bräuchten endlich einmal wieder etwas, womit wir uns von allen anderen absetzen können“, sagt einer der Jungen, der nicht im Verdacht der Profilierungssucht steht. Vielen fehlt etwas. Irgendwas, was das Streiten lohnt und das Diskutieren und den Mitgliedsbeitrag. Parteimitglieder sind nämlich in ihrem Wesen nicht so sehr unterschiedlich zu Fußballfans; sie wollen über die auf dem Platz jubeln und die von der anderen Truppe ein bisschen verhöhnen. Merkel kennt die Vorwürfe und die, die sie erheben. Nachgeben wird sie ihnen nicht. Darauf eingehen muss sie.

Und so erhält der Kompass eine prominente Rolle in der Leipziger Messehalle. Er macht dabei einiges mit. „Wir haben einen festen Kompass“, sagt Merkel, „der Kompass ist unverändert.“ Das Bild ist schief. Die Botschaft ist trotzdem gut verständlich: Die Zeiten ändern sich und mit ihnen die Fragen, da kann man nicht bei den gleichen Antworten bleiben wie die Vorfahren. Was vor 60 Jahren richtig war, was vor 30 Jahren zählte, taugt heute oft als Antwort nicht mehr.

Merkel sagt das deutlich, aber höflich. Die Gardinenpredigt an die Adresse der jammernden Konservativen wird später Thomas de Maizière halten. Konservativ sei keine Frage bestimmter Inhalte, sondern einer Haltung, doziert der Verteidigungsminister. Konservativ sei zum Beispiel eine gewisse Zurückhaltung. „Ein Konservativer trompetet nicht so durch die Gegend wie mancher, der sich jetzt dafür hält“, rügt de Maizière. „Hör’n wir auf damit, nur aus der Sehnsucht nach der Vergangenheit zu leben.“

Der Parteitag hört sich den Rüffel ohne erkennbare Reaktion an, was aber auch damit zusammenhängen mag, dass während der Debatte über die Rede der Vorsitzenden sich die große Mehrzahl der Delegierten um das Mittagessen kümmert. Dem einfachen Delegierten Eugen Adler aus Hessen geht es deshalb nicht besser als dem Minister. Adler hat gewarnt: „Wer den Zeitgeist heiratet, kann schnell Witwe werden.“ Auch das verklingt fast ungehört im beinahe leeren Saal. Nur hinten klatschen drei oder vier, die auch so denken.

Beifall ist am Montag in Leipzig kein durchweg taugliches Kriterium. Warmen Beifall hat Vladimir Klitschko bekommen, der Boxweltmeister, der als Ehrengast in den vorderen Reihen sitzt und als Musterbeispiel für Dynamik und Durchschlagskraft vorgestellt wird. Warmen, langen Applaus bekommt Wolfgang Schäuble für ein kämpferisches Plädoyer für Europa, für den Euro und gegen die allgegenwärtigen Besserwisser, „ob sie nun Professoren sind oder nicht, das nützt mir auch nichts!“

Merkel wird am Ende einen ganz sonderbaren Applaus ernten, fünf Minuten stehend, davon vier Minuten rhythmisch, ein fast mechanisches Klatschen, das mehr ist als pflichtgemäß und weniger als herzlich. Mehr hat Merkel aber auch nicht herausgefordert, als sie endlich bei ihrem Thema ist. „Europa ist heute vielleicht in der schwersten Stunde“, sagt die Frau, die sonst jeden Superlativ scheut. Von der „historischen Bewährung für unsere Generation“ spricht sie: „Es ist Zeit für einen Durchbruch zu einem neuen Europa!“

Wer bei diesen Passagen ein bisschen durch die Reihen schaut, sieht in konzentrierte Gesichter. Europa ist für die CDU immer ein ernstes Thema gewesen. Lange ist nicht richtig klar gewesen, ob Merkel es genau so ernst meint. Die Sache ist inzwischen geklärt, daran zweifeln nicht mal solche, die Merkel ansonsten für nahezu prinzipienlos und ihren Weg in der Euro-Krise falsch finden. Und deshalb klatschen sogar die, als Merkel fast abrupt zum Schluss ihrer Rede kommt. Sie endet mit einer Bitte, die eine Forderung ist. „Wir verzagen nicht, wir jammern nicht, wir nörgeln nicht, sondern wir wissen, dass wir eine gemeinsame Aufgabe haben“, sagt Merkel. „Dann wird die Christlich-Demokratische Union die große Volkspartei der Mitte bleiben.“

Es klingt da etwas nach von ihren Schlusssätzen in Leipzig 2003. „Bereit, willens und in der Lage, das Erforderliche zu tun“, hieß einer davon. Damals hat Angela Merkel ihrer Partei eine Richtung vorgezeigt, von der die alles andere als überzeugt war. Diesmal zeigt Angela Merkel ihrer Partei eine Richtung vor, von der wieder alle nur hoffen können, dass sie stimmt. Vielleicht ist der Unterschied gar nicht so groß, wie er scheint.

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