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Wegbereiter. Michail Chodorkowski will Russland umgestalten.

© dpa

Michail Chodorkowski in Berlin: Der Dompteur des nationalchauvinistischen Tieres

Michail Chodorkowski hat in Berlin seine neu ins Leben gerufene Stiftung "Offenes Russland" vorgestellt - und dabei auch seine Pläne für eine mögliche Zukunft des Landes mit einem neuen System erläutert.

Wohin er auch geht, kommen die Leute, um ihn zu sehen: Michail Chodorkowski, der Ex-Oligarch, der ehemals reichste Mann und später prominenteste Häftling Russlands. Vor fast einem Jahr wurde er überraschend begnadigt. Chodorkowski reiste damals sofort aus – nach Berlin. Am Dienstagabend war der mittlerweile in der Schweiz lebende 51-Jährige wieder da, um seine schon 2001 gegründete und nun neu ins Leben gerufene Stiftung „Offenes Russland“ vorzustellen. Er hatte in den kleinen Sendesaal im Haus des Rundfunks geladen, der dem Andrang kaum gerecht wurde. Kleiner Saal und der große Chodorkowski, irgendwie passt das nicht zusammen. Wobei auch „Offenes Russland“ für viele heute nach einem Oxymoron klingt.

Chodorkowski kommt in grauem Anzug, blauem Hemd und seiner typischen randlosen Brille. Er spricht ruhig, bedacht, fast scheint ihm der Trubel um seine Person unheimlich. „Ich verdanke Deutschland zu großen Teilen meine Freilassung“, sagt Chodorkowski und lächelt zum ersten Mal nach vielen Minuten freier Rede. Es gibt Applaus.

Der frühere Außenminister Hans-Dietrich Gentscher hatte seine Freilassung mitverhandelt. Auch der Politologe Alexander Rahr war beteiligt. Er sitzt an diesem Abend als Moderator auf dem Podium. Dabei wird Rahr regelmäßig in den Medien als „Putin-Versteher“ und „Kreml-Marionette“ beschrieben. Wohin Chodorkowski auch geht und wer ihm auch folgt, bleiben Widersprüche und offene Fragen. So nebulös war sein Aufstieg in der 90er Jahren, so wirr die Anklage 2003 gegen ihn und so unklar sind seine Ambitionen, dass sich in die Begeisterung für den „Regimekritiker“ oft Misstrauen mischt.

Mehr Rechtstaatlichkeit und faire Wahlen

Zumindest die Ziele von „Open Russia“ definiert Chodorkowski klar. Er will für Rechtsstaatlichkeit kämpfen und für durch faire Wahlen legitimierte Machtwechsel in Russland. „Es geht nicht darum, Wladimir Putin zu ersetzen, sondern das System, welches zu meinem tiefen Bedauern in meiner Heimat entstanden ist“, sagt Chodorkowski. Er sagt ohnehin häufig „zu meinem tiefen Bedauern“. Die Sanktionen des Westens würden die Russen nicht beeindrucken, von denen höchstens 15 Prozent europäisch eingestellt seien und die meisten von seiner Stiftung wegen fehlender Pressefreiheit ohnehin nicht erreicht werden können – „zu meinem tiefen Bedauern“. Chodorkowski selbst will jedoch nicht als Präsident kandidieren und keine Partei gründen. „Ich will europäische Werte nach Russland vermitteln.“

Chodorkowskis Analyse der momentanen Lage der von ihm so betitelten „parlamentarischen Diktatur“ in Russland ist so interessant wie schlüssig. Putin sei zu Beginn liberaler als das Gros der von ihm regierten Bevölkerung gewesen. Er habe jedoch die wirtschaftliche Neuordnung Russlands verpasst und deshalb an Ansehen verloren. Seine sinkende Popularität wollte der Kreml-Chef ausgleichen, indem er die Nationalisten bedient, wodurch diese immer stärker wurden. „Putin hat das nationalchauvinistische Tier freigelassen“, sagt Chodorkowski, macht dann eine kleine Pause. „Und dieses Tier hat nun Blut geleckt.“

"Dieses autoritäre Regime wird irgendwann fallen"

Irgendwann meldet sich aus dem Publikum ein Mann und sagt: „Nachdem sie in Russland gescheitert sind, wollen sie vom Ausland und mit ausländischem Geld ihren Landesverrat fortsetzen.“ Chodorkowski bleibt ruhig. „Dieses autoritäre Regime wird irgendwann fallen“, sagt er, „die Frage ist nur: wann?“

Von Europa erhofft er sich vor allem ideelle Unterstützung. „Es muss einen Weg zurück geben für jene, die bereuen“, sagt Chodorkowski. Er meint die Menschen, denen ihre Fehler aus vergangenen und gegenwärtigen Tagen in Russland leidtun, die umdenken und den europäischen Weg einschlagen möchten. Chodorkowski nennt keine Namen, er lächelt nur. Er könnte vor allem sich selbst gemeint haben.

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