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Ägyptische Sicherheitskräfte sind auf dem Sinai von militanten Kämpfern angegriffen worden.

© Reuters

Update

Mindestens 70 Tote auf dem Sinai: In Ägypten eskaliert die Gewalt

Ägypten droht eine beispiellose Eskalation der Gewalt. Bei Kämpfen zwischen IS-nahen Militanten und der ägyptischen Armee sind mehr als 200 Menschen getötet worden.

Ägypten droht eine beispiellose Eskalation der Gewalt zwischen Extremisten und der Staatsmacht. 48 Stunden vor dem zweiten Jahrestag des Sturzes von Mohammed Mursi überfielen am Mittwoch im Nordsinai Terrorkommandos in simultanen Angriffen 15 Militärposten und töteten nach ersten Angaben mindestens 40 Soldaten. Andere Quellen sprechen sogar von über 70. Insgesamt sollen mehr als 100 Menschen den rund 300 Attentätern zum Opfer gefallen sein, darunter auch Zivilisten. Auch mindestens 100 Angreifer wurden der ägyptischen Armee zufolge getötet. Die Attentäter, die im letzten Herbst dem „Islamischen Staat“ Gefolgschaft geschworen hatten, entführten mehrere Wehrpflichtige und erbeuteten gepanzerte Fahrzeuge. Bis in den Abend hinein dauerten die schweren Gefechte, bei denen die Armee auch Kampfhubschrauber einsetzte. „Wir befinden uns mitten in einem richtigen Krieg", erklärte Premierminister Ibrahim Mehleb.

Zwei Tage zuvor war im Kairoer Mittelklasseviertel Heliopolis der Generalstaatsanwalt Ägyptens, Hisham Barakat, durch eine Autobombe getötet worden, der erste Terrormord an einem führenden Repräsentanten des Staates seit einem Vierteljahrhundert. Auch hier deutet die Handschrift auf in Kairo operierende IS-Zellen hin. Die Explosion wurde so präzise gezündet, das sie in dem Fahrzeugkonvoi allein Barakat das Leben kostete.

Präsident Al Sissi kündigte an, Todesurteile künftig rascher vollstrecken zu lassen

Auf der Beerdigung des Chefanklägers schwor Präsident Abdel Fattah al-Sissi sichtbar wütend, er werde die „Hand der Justiz“ in den nächsten Tagen „von den Fesseln des Rechts“ befreien, damit sie so schnell wie möglich für Gerechtigkeit sorgen könne. Der Ex-Feldmarschall kündigte an, Todesurteile künftig rascher vollstrecken zu lassen. „Wenn es ein Todesurteil gibt, wird das Todesurteil auch vollzogen“, rief Sissi aus. Mitte Juni hatte ein Gericht auch gegen seinen Vorgänger Mursi die Todesstrafe verhängt. „Wir werden keine fünf oder zehn Jahre mehr damit verbringen, Menschen den Prozess zu machen, die uns umbringen“, setzte der Staatschef hinzu. Bei Twitter gehörte der Hashtag „Exekutiert die Muslimbrüder“ danach zu den populärsten am Nil.

Das Kabinett berät über ein schärferes Anti-Terrorgesetz

Das Kabinett beriet bereits am Mittwoch über ein erheblich schärferes Anti-Terrorgesetz, was Sissi in den nächsten Tagen per Dekret in Kraft setzen will. Nach Informationen aus Justizkreisen soll bei Todesurteilen durch den Obersten Staatsgerichtshof künftig keine Revision mehr möglich sein. Auch sollen Richter ermächtigt werden, Zeugen der Verteidigung nach eigenem Gutdünken zu übergehen.

Die Definition von Terrororganisationen, zu denen jüngst auch organisierte Anhänger von Fußballclubs erklärt wurden, wird noch einmal erweitert. Justizminister Ahmed al-Zind, der mit dem Satz „Wir Richter sind die Herren, alle anderen sind die Sklaven“ aktenkundig ist, wies die Richterschaft an, mithilfe der Gesetze Rache zu nehmen. Dazu annullierte er für den gesamten Justizapparat die üblichen dreimonatigen Justizferien von Juli bis September.

Die scharfen Drohungen Sissis können nicht überdecken, dass die Nervosität in Kreisen des Regimes wächst. Der Präsident hatte Stabilität versprochen und einen Krieg gegen den Terror ausgerufen. Doch die pauschale Verteufelung der Muslimbruderschaft sowie das drakonische Vorgehen gegen Demokratieaktivisten haben die Bevölkerung tief polarisiert. Und so warf die Menschenrechtsorganisation „Amnesty International“ dem Regime in Kairo in einer Dokumentation vor, es sei in eine „totale Repression“ zurückgefallen und breche die Moral der besten und klügsten Köpfe des Landes, nur um jegliche Bedrohung der eigenen Herrschaft im Keim zu ersticken.

„Zwei Jahre nach dem Sturz von Präsident Mohammed Mursi wurden Massenproteste durch Massenverhaftungen ersetzt“, kritisierte Hassiba Hadj Sahraoui, Vizedirektorin für das Nahost- und Nordafrika-Programm. Wie bizarr die innenpolitische Diskussion in Ägypten inzwischen ist, zeigte die Reaktion des Außenministeriums. Es warf Amnesty vor, mit seinem Bericht den Terrororganisationen in die Hände zu arbeiten und „üble Ziele zu verfolgen“. Das werfe die Frage auf über die Verbindungen zwischen Amnesty und solchen Gruppen, hieß es in der Presseerklärung. (mit Reuters)

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