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Euro-Krise: Mit Dummheit Geld machen

Unser Autor beschreibt, wie er aus Zorn über die Politik in der europäischen Schuldenkrise zum Spekulanten wurde. Wem nutzt die Euro-Rettung wirklich?

1. UNBEDACHTE WORTE

Zuweilen verraten ein paar unbedacht gesprochene Worte mehr als alle klugen Reden. Ein solches Kunststück gelang Bundesfinanzminister Wolfgang Schäuble vorvergangene Woche in der Debatte über die Kontrollrechte des Bundestages bei der Bekämpfung der Euro-Krise. Natürlich dürfe das Haushaltsrecht des Parlaments nicht beschnitten werden, versicherte Schäuble. Aber „bei der Ausgestaltung der parlamentarischen Entscheidungen“, so mahnte er, sei darauf zu achten, „dass wir spekulative Prozesse nicht anheizen“.

Diese Warnung war ebenso berechtigt wie unverschämt. Gewiss, Anleger könnten gut daran verdienen, wenn sie über eine angesetzte parlamentarische Beratung vorab von Interventionen des Stabilisierungsfonds (EFSF) erfahren würden, etwa wenn der Kauf von Anleihen eines Krisenlandes geplant ist. Sie müssten nur schnell selbst die jeweiligen Wertpapiere kaufen und anschließend darauf warten, dass die Euro-Retter mit ihren Käufen die Kurse nach oben treiben. Gleichwohl war Schäubles Einlassung tolldreist und verriet, dass er sein Publikum für dumm hält. Denn er und seine Kollegen aus den übrigen Euro-Staaten veranstalten fortwährend genau das, wovor er die Verteidiger der Rechte des Bundestages warnt: Ihre kurzsichtige und von den Interessen der Finanzindustrie gesteuerte Politik hat den Markt für Staatsanleihen der Euro-Länder in eine wahre Bonanza für Spekulanten verwandelt. Seit nun schon anderthalb Jahren können da kapitalkräftige Anleger und Fondsmanager nach wiederkehrendem Muster mit ein paar Mausklicks auf Kosten von Sparern und Steuerzahlern gigantische Gewinne kassieren – und das ohne jedes Risiko.

Tagebucheintrag: Montag, 3. Mai 2010

Sie wollen es wieder tun. Am Wochenende hat das Bundeskabinett die deutsche Beteiligung am geplanten Kreditpaket für Griechenland beschlossen. Damit ist klar: Ein Jahr, nachdem schon die Gläubiger der deutschen Krisenbanken mit an die 100 Milliarden Euro aus Steuergeld freigekauft wurden, müssen nun auch die Anleger in griechische Staatsanleihen für ihre Fehlinvestitionen nicht haften. Das ist nichts anderes als Sozialismus für Reiche, und es macht mich wütend. Seit Jahren predigen Konzernfürsten und ihre Wasserträger in Regierungsämtern dem Volk die Regeln der Marktwirtschaft, um Lohnsenkungen für Arbeitnehmer und Steuersenkungen für Kapitalbesitzer zu rechtfertigen. Doch jetzt, da es um Banken und ihre vermögenden Kunden geht, zählen die Regeln des Marktes nicht mehr. Für die zweite Bankenrettung binnen eines Jahres will ich aber nicht mehr bezahlen. Und siehe da, nichts ist einfacher als das. Das auf Druck der Banken und Versicherungen konzipierte Gläubigerschutzprogramm stellt sicher, dass die griechische Regierung alle bis 2011 fälligen Schulden bedienen kann. Darum sind nun Griechenland-Anleihen, die schon bald zur Rückzahlung anstehen, genauso sicher wie Bundesanleihen. Aber das schlägt sich in den Kursen zunächst nicht nieder. Noch immer werden die entsprechenden Papiere für weniger als 90 Prozent ihres Nennwerts gehandelt. Vermutlich müssen viele Vermögensverwalter trotz der von Merkel und ihren Euro-Kollegen ausgesprochenen Garantien verkaufen, weil die Ratingagenturen die Griechen-Anleihen auf Ramschniveau herabgestuft haben und ihre internen Regeln ihnen das Halten solcher Papiere verbieten. Meine Wahl fällt daher auf die fünfjährige griechische Anleihe mit der Wertpapierkennnummer A0GSUC, die 2006 zum Zinssatz von 3,9 Prozent aufgelegt wurde. Jetzt ist sie für 88,25 Prozent ihres Nennwerts zu haben, obwohl sie schon am 20. August 2011 – von den Euro-Ländern garantiert – zu 100 Prozent zurückgezahlt wird. Da kann der Kurs nur steigen. Es bietet sich eine „one-way-bet“, wie es die professionellen Händler nennen. Darum kaufe ich über ein kostenloses Depot bei meiner Online-Bank zum Preis von 8825 Euro griechische Schulden, die in gut einem Jahr garantiert 10 000 Euro bringen werden, plus 3,9 Prozent Zins. Jetzt bin ich auch ein Gläubiger des griechischen Staates und damit endlich auf die Gewinnerseite gewechselt. Die Bundesregierung bürgt für meinen Gewinn.

Die falschen werden gerettet. Lesen Sie weiter auf der nächsten Seite.

2. DIE FALSCHEN WERDEN GERETTET

Grundlage für das Bombengeschäft mit der Krise ist die hartnäckige Weigerung der deutschen Kanzlerin und ihres Finanzministers anzuerkennen, dass sich die Überschuldung eines Staates, wenn sie erst mal eingetreten ist, nicht einfach durch Sparen kurieren lässt. Das war im Fall Griechenland schon seit Dezember 2009 klar, als die Wahrheit über den tatsächlichen Schuldenstand in Athen ans Licht kam. Schon damals betrug die Schuldenlast gut 120 Prozent der jährlichen Wirtschaftsleistung des Landes, während es gleichzeitig doppelt so viele importierte Waren und Dienstleistungen verbrauchte, wie griechische Unternehmen umgekehrt ins Ausland verkaufen konnten. Alle Erfahrung mit Schuldenkrisen in vergleichbaren Ländern lehrt, dass eine solche Lage nur zwei Auswege zulässt: Entweder das Land wertet seine Währung ab, blockiert damit teure Importe und erwirtschaftet mit den verbilligten Exporten einen Überschuss, der genügend Steuereinnahmen bringt, um die Schuldenlast abzutragen. Oder die Schulden werden so weit erlassen, dass die Wirtschaftskraft und die Steuereinnahmen wieder ausreichen, die Zinslast zu finanzieren und die nötigen Investitionen zu tätigen, ohne die es kein Wachstum geben kann.

Weil der Euro-Verbund eine Abwertung unmöglich macht, blieb für Griechenland nur der zweite Weg. Alle Fachleute, die nicht der Finanzwirtschaft verbunden sind, plädierten daher unabhängig von ihrem politischen Standpunkt schon im Frühjahr 2010 für einen schnellen Schuldenerlass. Darum auch war es völlig rational, dass griechische Anleihen seitdem nur noch mit drastischen Abschlägen gehandelt wurden. Und hätten die Lenker der Euro-Zone getan, was am Markt längst „eingepreist“ war und ein geordnetes Insolvenzverfahren für Griechenland eröffnet, dann hätten die Investoren für ihre Fehler zahlen müssen und den Griechen so einen Neustart ermöglicht. Zwar hätten einige Banken, vor allem die in Griechenland selbst, hohe Verluste gemacht und Kapitalhilfe benötigt, um das Zahlungssystem stabil zu halten. Aber sie wären auf diesem Wege zulasten der Altaktionäre in Staatsbesitz übergegangen und das Geld hätte sich durch späteren Verkauf großteils wieder erwirtschaften lassen.

Doch dagegen stand die Macht der Finanzbranche. Deren ideeller Gesamtlobbyist Josef Ackermann, in Personalunion Chef der Deutschen Bank und Chef des Weltverbandes der Finanzindustrie IIF, warnte, es sei „unvorstellbar, das Land fallen zu lassen“ und es gelte „kleinere Brände zu löschen, bevor größere entstehen“. Dahinter stand nur, dass die Kunden der Deutschen Bank, in den Vorjahren einer der Partner des griechischen Finanzministeriums beim Verkauf von Anleihen, keine Verluste erleiden sollten. Aber Angela Merkel, Wolfgang Schäuble und ihre Partner in den anderen Euro-Staaten glaubten Ackermanns Untergangswarnung und verweigerten sich dem Schuldenschnitt, obwohl dieser ohnehin irgendwann unvermeidlich ist.

Stattdessen verlegten sie sich auf den bedingungslosen Freikauf der Gläubiger – und erzeugen damit voraussehbare Kurssprünge, auf die sich perfekt spekulieren lässt. In bewusster Irreführung der Öffentlichkeit wird dies bis heute als „Rettung“ der Griechen (und Iren und Portugiesen) bezeichnet, obwohl doch in Wahrheit einzig jene vor Schaden bewahrt werden, die einfach nur schlecht investiert haben. Die Bürger der betroffenen Euro-Staaten selbst dagegen werden keineswegs gerettet. Vielmehr setzten die von Merkel und ihren Kollegen eingesetzten Gläubigerschützer aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) die Demokratie in den Krisenstaaten außer Kraft und verordneten ihnen wirtschaftliche Selbstmordprogramme. In der Folge sinken die Steuereinnahmen noch schneller, als die Regierungen ihre Ausgaben kürzen können. Derweil steigt die Staatsverschuldung noch an und große Teile der Bevölkerung werden in die Verarmung gezwungen.

Tagebucheintrag: Mittwoch, 12. Mai 2010

Wie erwartet ist der Kurs für meine Anleihe schnell gestiegen und steht jetzt schon bei 95 Prozent. Binnen neun Tagen habe ich also fast acht Prozent Rendite gemacht, das reicht mir. Ich verkaufe für 9500 Euro. Vom Gewinn in Höhe von 675 Euro gehen noch 25 Prozent Abgeltungssteuer und 5,5 Prozent Soli-Zuschlag ab. Außerdem kassiert die Börse 45 Euro Gebühren. Unterm Strich bleiben mir also rund 424 Euro, dafür hatte ich einen Zeitaufwand von einer halben Stunde. Mein Anteil an den voraussichtlichen Kosten des Griechenlandprogramms für die deutschen Steuerzahler in Höhe von rund 20 Milliarden Euro ist damit gedeckt.
Aber die erhoffte Genugtuung will sich nicht einstellen. Denn klar wird: Wenn ein Amateur aus der Dummheit der Regierungen so einfach Gewinn schlagen kann, dann können die Profis bei Hedgefonds und Banken damit Milliarden machen. Statt nur eigenes Geld einzusetzen, können sie sich das Zehnfache ihres eigenen Einsatzes dazuleihen und so die Rendite vervielfachen, während die Zinsen für die paar Tage kaum ins Gewicht fallen. Nicht acht, sondern 80 Prozent Rendite können sie so binnen Wochenfrist einstreichen. Wenn sie es zudem nicht so primitiv wie ich über den bloßen Anleihekauf machen, sondern mit
Derivaten, die ihrerseits einen noch höheren Hebel enthalten, sind sogar auch Gewinne von 100 Prozent und mehr drin.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum der Fall Irland besonders grotesk war.

3. DAS IRISCHE BEISPIEL

Besonders grotesk ist das im Fall Irland. Dort geriet die Regierung keineswegs wegen übermäßiger Ausgaben für Subventionen oder Personal in Finanznot. Das Land war bis 2007 stets ein Musterschüler in der Euro-Zone. Allerdings erfuhr Irland eine wilde Immobilien-Blase, ähnlich wie die USA und Spanien. Und die wurde überwiegend von ausländischen Anlegern finanziert, vor allem aus Deutschland. Als dann Tausende von Gebäuden nicht mehr verkäuflich oder vermietbar waren, gerieten die aufgeblähten vier irischen Großbanken in Schieflage. Daraufhin folgte die irische Regierung im Herbst 2008 den Vorgaben der großen EU-Partner und sprach kurzerhand eine Regierungsgarantie für alle Bankschulden aus – eine Dummheit von historischem Ausmaß. Denn diese umfassten mehr als 100 Prozent der jährlichen Wirtschaftleistung. Ein knappes Drittel davon, 45 Milliarden Euro, musste die irische Staatskasse auch bereits bezahlen. Nur darum ist der irische Staat überschuldet. Seitdem nun auch Irland „gerettet“ wird, bedeutet das im Kern: Die irische Regierung leiht sich bei den deutschen Steuerzahlern Geld, das dann gleich an die deutschen Gläubiger irischer Banken ausgezahlt wird. Um wen es dabei geht, illustrierte eine durchgesickerte Liste der Kreditgeber der Anglo Irish Bank. Darin stehen vom Allianz-Konzern über die Deutsche-Bank-Fondsgesellschaft DWS und die Landesbank Baden-Württemberg bis zur Union Investmentgesellschaft der Raiffeisenbanken all die üblichen Verdächtigen, die auch schon von der Bankenrettung profitierten. Sie alle haben mit ihren Investitionen bei Irlands Banken zum Aufbau der irischen Immobilienblase beigetragen. Doch für die Verluste, so wollen es ihre beamteten Lobbyisten in den Finanzministerien von Paris und Berlin, sollen allein Irlands Steuerzahler bluten. Und wenn die nicht mehr zahlen können, müssen eben die aus der ganzen Euro-Zone ran.

De facto werden also nur die Zahlungsansprüche privater Gläubiger der insolventen Staatskassen auf die Steuerzahler der anderen Euro-Staaten übertragen. Bis Juli diesen Jahres sind auf diesem Weg allein von der griechischen Staatsschuld bereits mehr als 100 Milliarden Euro in die Hand der übrigen Euro-Staaten und der EZB verschoben worden, während Banken und Fonds ihren Bestand drastisch reduzieren konnten. Und nichts ist sicherer, als dass die Euro-Finanzminister mindestens die Hälfte dieser Summe irgendwann abschreiben müssen, wenn Wirtschaft und Staat in Griechenland gänzlich am Boden liegen.

Tagebucheintrag: Mittwoch, 17. November 2010

Heute hat Merkel im Bundestag endlich zugegeben, dass ihre bisherige Methode der Euro-Rettung den falschen Leuten nutzt. In ihrer unnachahmlichen Art erklärte sie, es dürfe nicht sein, „dass man im Umgang mit Staaten beliebige Risiken immer vergemeinschaften kann und die Risiken nicht selber als Akteur auch ein Stück weit mittragen muss“. Die eigentlichen Profiteure der Rettungsprogramme geraten also endlich ins Zentrum der Debatte. Ich schöpfe Hoffnung und gebe den Plan auf, auch mit der anstehenden Abwehraktion gegen die drohende Staatspleite in Irland Gewinn zu machen. Die Drohung mit der Beteiligung an den Sanierungskosten wirkt abschreckend.

4. DER ERNSTFALL

Da die unmäßige Begünstigung der Fehl-Investoren vor allem in Deutschland auf wachsenden Widerstand stieß, mussten die Kanzlerin und ihr Finanzminister im Gefolge des Hilfsprogramms für Irlands Gläubiger schließlich doch umschalten. „Die Finanzwirtschaft muss lernen, dass der Steuerzahler nicht immer allein die Zeche zahlt. Wer das zulässt, zerstört die Demokratie“, kündete Schäuble Ende 2010 an und richtete diese Forderung fortan auch an seine EU-Partner. „Zwingend beteiligt werden sollen die privaten Gläubiger nur, wenn der betreffende Staat insolvent ist“, versicherte er aber sogleich. Und das sei ja bisher nicht der Fall gewesen, behauptete er kurzerhand, um zu rechtfertigen, dass er in der Praxis das Gegenteil betrieb.

Dumm nur, dass der Ernstfall schon bald darauf eintrat. Als Griechenland im Juni wie erwartet erneut die Zahlungsunfähigkeit drohte, stellte sich jedoch heraus, dass der von Merkel und Schäuble geforderte Kurswechsel nicht mehr durchsetzbar war. Denn nun, ein Jahr nach der ersten Fehlentscheidung, hatte die Finanzbranche einen mächtigen Bündnispartner gefunden: Die EZB war über den – von den Regierungen gewünschten – Kauf von Anleihen der Krisenstaaten inzwischen selbst zu deren größtem Gläubiger geworden. Allein in Griechenland hat sie mehr als 50 Milliarden Euro im Feuer. Jeder „substanzielle Beitrag“ der Kreditgeber hätte daher auch in die Bilanz der EZB ein großes Loch gerissen. Mit seiner ganzen Autorität wehrte sich EZB-Präsident Jean-Claude Trichet daher gegen einen Schuldenerlass. Wieder und wieder warnten er und seine Kollegen für diesen Fall vor einem finanziellen Armageddon, nicht zuletzt, um ihre Ehre als Notenbanker zu retten. Die französischen Banken, die in den Schuldenstaaten noch mehr zu verlieren haben als die deutschen, schickten zudem ihren Präsidenten ins Rennen, um die Deutschen weich zu klopfen.

Tagebucheintrag: Dienstag, 19. Juli 2011

Nach wochenlangem Gezerre zwischen Paris, Brüssel und Berlin steht fest: Griechenlands Gläubiger haben nichts zu befürchten. Merkel ist gegenüber Sarkozy und Trichet eingebrochen. Beim nächsten Hilfsprogramm für Griechenlands Kreditgeber, das übermorgen zur Verabschiedung ansteht, sollten diese sich nur auf „freiwilliger“ Basis beteiligen, verabredeten sie. Die als „Rettung“ getarnte Umverteilung zugunsten der Vermögenden geht also weiter und ich beschließe, dabei ein paar Euro für gute Zwecke abzuzweigen. Ein Blick auf die Kurse der Griechenanleihen zeigt, dass Schäuble es immerhin geschafft hat, viele Anleger zu verunsichern. Selbst jene Anleihe, die schon in einem Monat zur Rückzahlung ansteht und mir schon letztes Jahr Gewinn brachte, ist nun wieder für nur 94 Prozent ihres Nennwerts zu haben – eine ideale Gelegenheit.

Ich plündere meine Reserven und kaufe für 18 790 Euro griechische Staatsschulden. Das gesamte Euro-Establishment verspricht, dass es keinen Zahlungsausfall geben wird, und ich glaube ihnen. Sechs Prozent Rendite sind mir sicher.

Auf der letzten Seite geht es um den Einfluss der Bankenlobby auf die Politik.

5. DER PLAN DER FRÖSCHE

So endete der von Schäuble und Merkel versprochene „substanzielle Beitrag“ der privaten Kreditgeber zur Sanierung der griechischen Staatsfinanzen in einer Farce. Als die Regenten der Euro-Zone am 21. Juli in Brüssel zusammenkamen, um weitere 100 Milliarden Euro Kreditnachschub für Athen zu verabschieden, saß Bankenlobbyist Ackermann wie selbstverständlich mit am Tisch des zentralen Gesetzgebungsorgans der EU. Das sprach zwar allen demokratischen Prinzipien Hohn, aber es hatte seine innere Logik. Schließlich sollte die Finanzbranche einen „freiwilligen“ Beitrag leisten. Darum war konsequenterweise der globale Lobbyverband IIF beauftragt worden, ein Konzept vorzulegen, um die Teilnahme für die Betroffenen attraktiv zumachen. Einen solchen Plan der Frösche zur Trockenlegung des Sumpfes konnte aber niemand besser verklären als deren Chef selbst. Folglich wurde der IIF-Plan Teil des offiziellen Griechenland-Freikaufprogramms, und Ackermann durfte mit dem Segen der Regierungschefs verbreiten, die Banken würden auf 21 Prozent ihrer Forderungen verzichten und Griechenland 37 Milliarden Euro erlassen. Tatsächlich wird kein Inhaber griechischer Staatschuldpapiere auch nur einen Cent verlieren. Denn im Angebot ist lediglich der Umtausch der bis 2020 fällig werdenden Griechenland-Anleihen mit einer durchschnittlichen Verzinsung von als vier Prozent gegen neue Schuldverschreibungen mit Laufzeiten von 30 oder 15 Jahren, die zwar auch von Griechenland bezahlt werden sollen, aber von allen Euro-Staaten gemeinsam garantiert werden. Dabei sollen die Nennwerte um 20 Prozent gekürzt werden. Doch dieser scheinbare Verlust wird durch eine umso höhere Verzinsung von 6,42 Prozent wieder ausgeglichen. Das bedeutet: Die alten Anleihen, die nur Zinsen von drei bis vier Prozent bringen und wegen der erwarteten Pleite längst für weniger als 60 Prozent ihres ursprünglichen Wertes gehandelt werden, können mit einem Kursgewinn von 25 Prozent umgetauscht werden. Und zwar gegen Papiere mit höchster Bonität („Triple-A“), die so sicher sind wie Bundesanleihen, aber drei mal so viel Ertrag bringen – ein erstklassiger Deal. Für seine Klientel ist

Ackermann jeden Cent seines Neun-Millionen-Euro-Gehaltes wert.

Tagebucheintrag: Montag, 22. August 2011

Der griechische Staatsbankrott ist vertagt, und ich verdiene daran. Heute hat mir die Staatskasse in Athen 20 000 Euro überwiesen, weil meine Anleihe fällig war. Das hat mir 1210 Euro Gewinn beschert, einfach so. Abzüglich Steuern und Börsenspesen bleiben mir 784 Euro, aber meinen Ärger beseitigt das nicht. Ich spende das Geld an die Organisation „Lobbycontrol“, die bei der Offenlegung und Abwehr des Einflusses wirtschaftlicher Macht auf die Politik gute Arbeit leistet. Offenkundig brauchen wir mehr davon.

6. ES GEHT WEITER

Doch für die Sicherung der europäischen Gemeinschaftswährung brachte auch dieser Gipfel keine Gewissheit. Statt eine langfristige Lösung für die Stabilität der Euro-Zone zu entwickeln, haben die Regierungen de facto beschlossen, die Krise weiter eskalieren zu lassen, bevor sie etwas tun wollen. Es gibt keinen Plan, der es Griechenland, Irland und Portugal erlauben würde, ihre Schuldenlast wirklich zu mindern und ihre Wirtschaft auf Wachstumskurs zu bringen. Erst recht unklar ist, was geschieht, wenn auch Spanien, Belgien und Italien keine Kredite mehr zu bezahlbaren Konditionen bekommen und der bestehende Rettungsschirm nicht ausreicht. Nur eines ist klar: Ein Schuldenerlass wird kommen, und sei es durch chaotische Staatspleiten. Besser wäre, wenn Merkel, Schäuble und ihre Partner einen Plan für ein geordnetes Insolvenzverfahren von Euro-Staaten entwickeln. Neben einer internationalen Gläubigerkonferenz bedarf es eines Konzepts, wie das Zahlungssystem in den Krisenstaaten intakt gehalten wird, wenn die Banken infolge des Wertverlusts der Staatsanleihen insolvent werden. Für Schäuble kann dies so abwegig nicht sein. „Die Möglichkeit einer staatlichen Insolvenz muss grundsätzlich bestehen bleiben“, hatte er im März 2010 geschrieben, als die Euro-Krise noch überschaubar war.

Tagebucheintrag: Mittwoch, 7. September 2011

Ich habe es wieder getan. Bei einem Kurs von 64 Prozent habe ich wieder für 6400 Euro griechische Staatsschulden im Nennwert von 10 000 Euro gekauft, die im nächsten Jahr am 20. März zur Rückzahlung anstehen. Ich gebe zu, dieses Mal habe ich ein Risiko. Es kann sein, dass Griechenland seine Sparauflagen nicht erfüllt, und die Euro-Staaten den Kredithahn zudrehen. Aber bisher hatte unsere Kanzlerin vor den reichen Gläubigern insolventer Banken und Staaten immer noch mehr Angst als vor dem Zorn ihrer Wähler. Darum bin ich mir sicher: Angela Merkel wird mir das Geld schon irgendwie beschaffen. Dafür zahle ich schließlich Steuern.

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