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Die Berliner Werkstätten für Menschen mit Behinderung GmbH (BWB) in Berlin-Moabit. (Archivbild von 2012)

© Kitty Kleist-Heinrich

Mit Petition für Mindestlohn: Youtuber will Ausbeutung in Behindertenwerkstätten stoppen

Menschen mit Behinderung arbeiten in den Werkstätten für durchschnittlich 1,35 Euro pro Stunde. Youtuber Lukas Krämer will das mit einer Petition ändern.

Rollstuhl, Blindenstock oder Hörgerät – oft sehen wir unseren Mitmenschen ihre jeweiligen Einschränkungen an. Doch es gibt auch eine Vielzahl von Menschen, deren Behinderung unsichtbar ist. Und somit oft auch ihr Platz in der Gesellschaft. 

Wie das Statistische Bundesamt erst kürzlich mitteilte, lebten 2019 insgesamt 10,4 Millionen Menschen mit einer Behinderung in privaten Haushalten in Deutschland. Davon galten rund 7,6 Millionen mit einem Behinderungsgrad von mindestens 50 als schwerbehindert. 

Unter den rund 10,4 Millionen Menschen mit Behinderung waren laut Statistischem Bundesamt knapp 4,9 Millionen Personen im erwerbsfähigen Alter zwischen 15 und 64 Jahren. Doch auf dem Arbeitsmarkt haben sie es nach wie vor schwer. Viele arbeiten stattdessen in einer sogenannten Behindertenwerkstatt. Für nicht einmal zwei Euro pro Stunde.

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Lukas Krämer ist Youtuber. Er kann nicht lesen, kann nicht schreiben, besuchte eine Förderschule. Fünf Jahre arbeitete er in einer Behindertenwerkstatt. Nun lebt er seine Leidenschaft: Videos produzieren. 

Forderung von Mindestlohn und Arbeitnehmerstatus 

In einem seiner Videos schildert er seine Behinderung. Im Alter von vier Jahren erkrankte er an einer Meningitis, einer Hirnhautentzündung. Davon sei eine Sprachbehinderung und Lernschwäche ausgelöst worden – laut Krämer aber keine schwere geistige Behinderung. Aber schwer genug, um ein normales Leben unmöglich zu machen.

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In diesem Jahr startete der 27-Jährige eine Petition: #StelltUnsEin. Darin fordert er den Mindestlohn für Menschen in Behindertenwerkstätten und berichtet auf change.org von seinen eigenen Erfahrungen. Er habe 6,5 Stunden täglich in einer Werkstatt gearbeitet, jedoch nur 1,35 Euro pro Stunde verdient. 

Arbeitende Menschen mit Behinderung sollten dieselben Rechte haben, wie alle anderen Arbeiter:innen Deutschlands. Somit gehe es in der Petition neben einem geforderten Mindestlohn vor allem auch um einen zwingend notwendigen Arbeitnehmerstatus. Denn für Werkstattbeschäftigte besteht lediglich ein sogenanntes Beschäftigungsverhältnis, sie gelten nicht als Arbeitnehmer:innen.

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Strukturelle Veränderung von Behindertenwerkstätten nötig 

Bei einem Live-Talk auf Instagram, moderiert von der Inklusionsaktivistin Luisa L’Audace, sprach Lukas Krämer am Mittwoch mit politischen Vertreter:innen über seine Forderungen. „Die Werkstätten machen mit Menschen mit Behinderung sehr sehr viel Gewinn. Die Produkte werden teilweise sehr teuer verkauft“, sagte Krämer. Das stehe in keinem Verhältnis zu dem Geld, was den dort Arbeitenden geboten wird. Nur 1,35 Euro pro Stunde zu verdienen, sei „moderne Sklaverei“. 

Katrin Langensiepen (Die Grünen), Mitglied des Europäischen Parlaments und dort die einzige Frau mit Behinderung, kritisierte bei der Gesprächsrunde ebenfalls die Behindertenwerkstätten. „Ich stelle bewusst das System der Werkstätten in Frage, nicht die eigentliche Arbeit, die die Menschen dort leisten“, so Langensiepen. Es gehe in den Werkstätten in Deutschland um Machtstrukturen und finanzielle Vorteile.

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Ricarda Lang, stellvertretende Bundesvorsitzende Bündnis 90/Die Grünen, sagte, es fehle oft am politischen Druck. „Die Situation ist zu oft noch unsichtbar, weil der Umgang mit Menschen mit Behinderung insbesondere in Deutschland sehr stark davon geprägt ist, spezielle Orte zu schaffen, wie Förderschulen und Werkstätten“, so Lang. 

„Der Mindestlohn ist nicht der richtige Weg!“ 

Im gesellschaftlichen Leben würden Menschen mit Behinderung viel zu wenig vorkommen und ihre Belange würden somit unsichtbar werden. Die Situation innerhalb der Werkstätten sei vielen deshalb gar nicht bewusst. „Wir wollen, dass die Werkstätten in Inklusionsunternehmen umgebaut werden“, sagte Ricarda Lang. Dafür brauche es eine strukturelle Veränderung. 

Jens Beeck, behindertenpolitischer Sprecher der FDP, stieß zum Ende des Gesprächs hinzu und betonte, dass er nicht für eine grundsätzliche Abschaffung der Behindertenwerkstätten sei, sondern für den Erhalt. „Solang es die Nachfrage noch gibt, wird man auch das System erhalten müssen“, so Beeck. 

Kritik gegenüber der Petition von Lukas Krämer kam von Werkstatträte Deutschland e.V. Der Verein kritisiert ebenso die Bezahlung der Werkstattbeschäftigten, schlägt jedoch ein Basisgeld anstelle des Mindestlohns vor. Damit würden Schutzrechte gehalten, die Arbeitsbelastung in der Werkstatt nicht noch erhöht, aber die finanzielle Situation für Werkstattbeschäftigte verbessert werden. 

Die Idee sei ausschließlich von Werkstattbeschäftigten entwickelt worden und würde laut Werkstatträte Deutschland e.V. eine wirkliche gesellschaftliche Teilhabe und Selbstbestimmung für Menschen mit Behinderung ermöglichen. Doch egal, ob Basisgeld oder Mindestlohn – für Lukas Krämer zählt vor allem die gerechte Behandlung: „Wer arbeiten geht, muss auch gerecht bezahlt werden.“

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