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Hans-Ulrich Wehler

© pa/dpa

Islam: "Mit Zähnen und Klauen verteidigen"

Der Historiker Hans-Ulrich Wehler spricht im Interview mit dem Tagesspiegel über die westliche Kultur, den Islam und den Bundespräsidenten.

Herr Professor Wehler, hat der Bundespräsident recht, wenn er sagt, der Islam gehört auch zu Deutschland?

Was der Bundespräsident sagt, ist historisch falsch. Der Islam ist nicht Teil Deutschlands. Wir haben Teil an der westlich-abendländischen, christlich-jüdischen Kultur. Das hat der Präsident auch erwähnt, aber sein nächster Satz führt in die Irre. Der Islam ist über die Jahrhunderte hinweg immer ein Gegner dieses Europas gewesen. Der Islam ist kein Teil der Kultur oder des gesellschaftlichen Lebens in Deutschland geworden, egal ob sie das Recht, die Politik oder das Verfassungsdenken ansehen.

Kann man die These des Präsidenten nicht als Einladung zur Integration verstehen?

Wenn der Bundespräsident das gemeint haben sollte, hat er keinen guten Redenschreiber. Natürlich kann man für Toleranz gegenüber Migranten aus anderen Kulturkreisen plädieren. Das muss man dann aber mit der Forderung verbinden, dass sich vor allem Migranten aus der Türkei nach 30, 40 Jahren in Deutschland endlich stärker um Integration bemühen sollten. Das habe ich in der Rede des Bundespräsidenten vermisst.

Gibt es, wenn man weiter in die Geschichte zurückgeht, keine kulturellen Leistungen, die Europa dem islamisch-arabischen Raum verdankt?

Nein, das sehe ich nicht. Es gibt im frühen Mittelalter einen Transfer von Wissen zum Beispiel aus arabischen Gesellschaften, die Erkenntnisse der griechischen Medizin aufbewahrt haben. Aber unsere politischen Grundwerte und unsere Kultur ist in keiner Weise vom Islam geprägt worden.

Was ist der wesentliche Unterschied in der Geschichte islamischer Länder und des Westens?

Die große Leistung des Hochmittelalters war die Trennung von geistlicher und weltlicher Gewalt. Die Kirche und die weltliche Gewalt behaupten in diesem Konflikt beide ihre Positionen, und das wird in Recht gegossen und findet Eingang auch in unsere modernen Verfassungen. Die Trennung von Staat und Kirche ist im Westen ein Fundamentalfaktum. Das ist das Gegenteil dessen, was in den islamischen Ländern gilt. Diesen Gewinn in der politischen Kultur müssen wir mit Zähnen und Klauen verteidigen.

Halten Sie den Islam heute für vereinbar mit den Werten des Grundgesetzes?

Die Wirklichkeit spricht dagegen. Ein Gutteil der Muslime auch in Deutschland ist überzeugt, dass die Scharia, das religiöse Recht, über dem weltlichen Recht steht. In der von der Bundesregierung einberufenen Islamkonferenz wehren sich die Vertreter vor allem der türkischen Verbände gegen die Gleichberechtigung von Mann und Frau. Ich bin auch äußerst skeptisch, ob in der Türkei unter der Reislamisierungspolitik Erdogans ein Modell für einen modernen islamischen Staat entstehen kann. Sechs Millionen Muslime in der Bundesrepublik werfen schon genug Assimilations- und Integrationsprobleme auf. Deshalb warne ich davor, den Beitritt der Türkei in die EU ernsthaft zu verfolgen.

Was unterscheidet den Islam von anderen Weltreligionen?

Er ist die einzige der großen Weltreligionen, die eine fundamentalistische und massenwirksame Form seines Glaubens entwickelt. Auch in anderen Religionen gibt es Fundamentalismus, aber nicht in dieser Ausprägung. Beim Islam handelt es sich um einen militanten Monotheismus, der seine Herkunft aus der Welt kriegerisch-arabischer Nomaden nicht verleugnen kann.

Könnte der Islam sich entwickeln, kann es keine islamische Aufklärung geben?

Das ist die große Testfrage. Ich würde das nicht dogmatisch verneinen. Aber ich sehe nicht, wo diese Debatte in Gang kommt. Wo Aufklärung eingefordert wird von so imponierenden Persönlichkeiten wie Necla Kelek oder Seyran Ates, reagieren viele Muslime mit Ablehnung, Hass oder gar Drohungen. Das ist ein außerordentlich mühsamer Prozess. Deshalb teile ich nicht die Sehnsucht nach einem Euro-Islam, der alle Konflikte entschärfen soll.

Hans-Ulrich Wehler (79) ist der Doyen der historischen Sozialwissenschaft und Autor des Standardwerks „Deutsche Gesellschaftsgeschichte“. Das Gespräch führte Hans Monath.

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