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Politik: „Morde an Kurden von oben befohlen“ Aussagen eines Admirals entlarven türkische Politik

Istanbul - Als Nazim Babaoglu einen heißen Tipp bekam, zögerte er nicht lange. Am 12.

Istanbul - Als Nazim Babaoglu einen heißen Tipp bekam, zögerte er nicht lange. Am 12. März 1994 erhielt der Journalist der pro-kurdischen Zeitung „Özgür Gündem“ im südostanatolischen Urfa einen Anruf von einem Kollegen. Im nahen Bezirk Siverek gebe es eine gute Geschichte für ihn, sagte er. Babaoglu fuhr los – und wurde nie wieder gesehen. Der Kollege, so stellte sich später heraus, wusste nichts von seinem angeblichen Anruf bei Babaoglu. Der Journalist war in eine tödliche Falle gelockt worden.

Babaoglu ist einer von mehreren tausend Menschen, die in den 1990er Jahren, auf dem Höhepunkt des Krieges zwischen der türkischen Armee und den PKK-Kurdenrebellen, ermordet aufgefunden wurden oder spurlos verschwanden. Es geht um mindestens 3000 Mordfälle, manche Leichen wurden nie gefunden. Lange wagte sich kein Staatsanwalt an das Thema heran. Erst seit kurzem ändert sich das: Im südostanatolischen Diyarbakir muss sich derzeit ein Armeeoffizier wegen der Ermordung von Kurden vor Gericht verantworten.

Der Beginn des Prozesses hat das sonst so verschwiegene Offizierskorps aufgeschreckt. Empört von der Aussicht, dass Soldaten ausbaden sollen, was Politiker und Vorgesetzte ihnen eingebrockt haben, meldete sich jetzt ein pensionierter Admiral namens Atilla Kiyat im Fernsehen zu Wort. Die Morde an den Kurden seien „Staatspolitik“ gewesen, sagte er. Damit könnte Kiyat die Aufarbeitung der ungeklärten Morde entscheidend vorangebracht haben. Der schmutzige Krieg des türkischen Staates gegen die Kurden kommt ans Tageslicht.

Kein kleiner Offizier in einer kurdischen Provinzstadt habe von sich aus entscheiden können, kurzerhand diesen oder jenen Journalisten oder Menschenrechtler aus dem Weg zu räumen, sagte Kiyat im Privatsender Habertürk. „Nein, dafür kam immer ein Befehl von oben. Nun sitzen diese Kameraden hinter Gittern, während diejenigen, die für diese Staatspolitik verantwortlich waren, ruhig in ihren Betten schlafen.“ Die Führung des Landes habe damals außergerichtliche Tötungen als Mittel der Terrorbekämpfung betrachtet.

Menschenrechtler werten die Aussage als offizielle Bestätigung des seit Jahren gehegten Verdachts, dass es Mitglieder der Sicherheitskräfte waren, die in den 90er Jahren reihenweise angebliche Unterstützer der PKK-Kurdenrebellen verschwinden ließen. „Seit fast 20 Jahren treibt uns die Frage nach den Verschwundenen und nach den ungeklärten Morden um“, sagte Menschenrechtler Cemal Babaoglu kürzlich auf einer Kundgebung in Urfa. Cemal ist der Bruder des vor 16 Jahren spurlos verschwundenen Journalisten Babaoglu. „Aber allein für unsere Fragen sind viele von uns schon ermordet worden.“

Deshalb schlugen Kiyats offene Worte ein wie eine Bombe. Ein Menschenrechtsverein hat bereits Strafanzeige erstattet gegen die verantwortlichen Politiker jener Jahre, allen voran die damalige Ministerpräsidentin Tansu Ciller. Kiyat soll im Prozess in Diyarbakir als Zeuge vernommen werden. Susanne Güsten

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