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Über die Hashtags "#München" und "#offenetür" gewähren Bewohner der Stadt nach dem Terroranschlag anderen Menschen Unterschlupf.

© dpa

München und Social Media: Informierst du dich noch, oder hetzt du schon?

Soziale Netzwerke verändern die Wahrnehmung von Terror, Amokläufen und Gewalt. In München hat sich gezeigt, dass sie beides können: die Lage beruhigen – und Panik schüren.

Die erste Ahnung, dass in München etwas Furchtbares vonstatten geht, erreicht die Öffentlichkeit über Twitter, die Nachricht hat nur 112 Zeichen: „Im Moment haben wir einen großen Polizeieinsatz am OEZ. Bitte meiden Sie den Bereich um das Einkaufszentrum.“ Es ist eine einfache Information der Polizeipressestelle, der nüchterne Auftakt zu einer Nacht, in der klar wurde, wie Soziale Netzwerke die Wahrnehmung von Terror, Amokläufen und Gewalt verändert haben. Und dass sie beides können: die Lage beruhigen – und Panik schüren.

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Wer am Freitagabend die Entwicklungen seriös verfolgen wollte, informierte sich beim Twitteraccount der Polizei München. Immer wieder wenden sich die Beamten direkt an die Bevölkerung. „Wir wissen derzeit nicht, wo sich die Täter befinden. Passt auf Euch auf und meidet nach wie vor die Öffentlichkeit“, heißt es beispielsweise, als der Einsatz bereits läuft. Die Warnungen werden auch auf Englisch, Französisch und Türkisch verbreitet, tausende Nutzer teilten sie. Immer wieder schreibt die Polizei gegen Gerüchte und Panik an: „Bitte keine Spekulationen verbreiten, das würde uns helfen“, schreiben sie später am Abend – vergeblich.

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Der Blick durch Social Media auf die Gewalttat, die zu diesem Zeitpunkt, nach den Anschlägen in Nizza und Würzburg, von vielen noch für einen Terrorakt gehalten wurde, ist unmittelbar und schnell. Zu schnell. Im Minutentakt berichten Menschen im Netz von ihren Eindrücken.

Nichts davon stimmte, doch die Folgen waren real

Einige wollen in der Innenstadt am Stachus Schüsse gehört haben, andere schreiben, der Täter habe „Allahu Akbar“ gerufen, wieder andere meinen, in der Stadt seien mindestens drei Schützen unterwegs. Schnell wird auch ein Bild verbreitet, das blutüberströmte Leichen in einem Einkaufszentrum zeigt. Doch es zeigt nicht das Einkaufszentrum im Münchener Nordwesten, sondern eines in Südafrika. Das Foto ist alt. Ein anderes soll Menschen zeigen, die in München auf dem Boden kauern, die Hände über dem Kopf – es wurde in Wirklichkeit bei einer Anti-Terror-Übung in Manchester aufgenommen. Sogar Bilder des Täters kursieren im Netz. Doch sie zeigen einen Mann, der vermutlich noch nie in München war. Er musste im Netz auch schon für Amokläufe in den USA herhalten.

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Die Folgen dieser Behauptungen sind real: In der Innenstadt fliehen plötzlich die Menschen. Die Polizei steht mit einem Großaufgebot auf dem Stachus, wo nie eine Gefahr bestand. Inzwischen ist auch klar, dass der Täter kein Islamist war. Die gefühlte Bedrohung ist wesentlich größer, als die echte. Wie ein Brandbeschleuniger haben die sozialen Netzwerke aus einem Funken eine Feuersbrunst gemacht.

Die Polizei kann und darf den Informationsfluss nicht kontrollieren

Das liegt auch daran, dass auf Twitter und Facebook sofort Fotos und Videos des Amoklaufes kursieren. Kein Wunder in Zeiten, in denen fast jeder ein Handy bei sich trägt, in dem eine hochauflösende Kamera integriert ist, in der mobile Internetverbindungen so gut ausgebaut sind, dass auch Videos problemlos ins Netz gestellt oder gleich live gesendet werden können. So werden Menschen auf der ganzen Welt fast in Echtzeit Zeuge, wie Amokläufer David S. aus dem McDonald’s in der Hanauer Straße spaziert und das Feuer auf Passanten eröffnet. Hunderttausende können mit ansehen, wie Polizisten die Tiefgarage des Einkaufszentrums stürmen – theoretisch auch der Täter. Die Polizei reagiert wieder prompt: „NOCHEINMAL: KEINE Videos oder Bilder von Polizeikräften im Einsatz online stellen, helft nicht den Tätern!!!“, schreibt sie auf Twitter. Es ist eine Bitte. Die Polizei kann und darf den Informationsfluss nicht kontrollieren oder gar zensieren.

Die einen versuchen den islamischen Terror herbeizureden, die anderen bemühen sich, Zusammenhänge zwischen München, Breivik und der AfD herzustellen, anstatt still der unschuldigen Opfer zu gedenken. Es ist einfach peinlich!

schreibt NutzerIn halfscot

Unter dem Hashtag #München fluteten Nutzer selbst das Netzwerk mit Fotos und Videos von süßen Katzen und Faultieren, um falsche und hysterische Posts in den Hintergrund zu drängen. Das ist inzwischen eine beliebte Taktik der Regulierung, auch um der Propaganda des selbsternannten „Islamischen Staates“ entgegen zu wirken. Wie mit Terror und Gewalt in Sozialen Netzwerken umgegangen wird, könnte eine der entscheidenden Herausforderungen der kommenden Jahre werden. Denn freilich lassen sich die Gräueltaten nicht per Tweet verhindern. Doch anders als gegenüber der konkreten körperlichen Gewalt ist der Einzelne gegenüber Propaganda und Panikmache keineswegs machtlos. Der Journalist Friedemann Karig hat deswegen schon 2015 eine „Ethik des Teilens“ gefordert: „Auf dem medialen Feld können wir den Terror bremsen, ob per Hashtag oder Meme, Profilbild oder Kommentar“, schrieb er für „Krautreporter“. Er bezieht sich auf den Terrorforscher Stephan G. Humer, der bemerkte: „In Zeiten von sozialen Medien steigt die soziale gegenüber der institutionellen Kontrolle.“ Mit jedem Like und Retweet, jedem sorgenvollen Kommentar bestimmen Nutzer mit, wie erfolgreich psychologische Kriegsführung ist.

Twitter war auch Zeugnis des Zusammenhalts

Der Amoklauf hat auch gezeigt, was Facebook, Twitter und Co. Positives zu leisten im Stande sind. Erstmals bot Facebook in Deutschland den „Safety Check“ an: Mit einem Klick können Menschen so ihren Kontakten im Netzwerk signalisieren, dass sie sich in Sicherheit befinden – und auch so ein Stück Gewissheit ins Chaos bringen. Auf Twitter organisierten die Münchner schnelle Hilfe für alle, die aufgrund des Anti-Terror-Einsatzes in der Stadt gestrandet waren. Viele Bürger boten über den Hashtag #offenetuer Fremden einen Übernachtungsplatz an. Auch Moscheen, die Staatskanzlei und der Landtag öffneten ihre Türen damit für alle, die nicht wussten, wohin. Die Deutsche Bahn stellte Übernachtungszahlen bereit.


Und so war am Ende Twitter nicht nur ein Spiegel von Gewalt und Panik, sondern auch Zeugnis des Zusammenhalts in der Bevölkerung. „Hat noch jemand ein Plätzchen auf der Couch für mich Nähe Herzog-/Ackermannstrasse?“, schrieb zum Beispiel Twitternutzer Christian Grem gegen 23 Uhr. Und keine Stunde später: „Bin versorgt, vielen herzlichen Dank für die spontane Hilfsbereitschaft.“ Eine Nutzerin, die sich Iris Marii nennt schreibt: „Ich möchte mich bei der Familie bedanken, die meinen besten Freund Jan und seine Freundin aufgenommen haben.“ Die Liste ist schier endlos lang geworden.

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Das letzte Wort behielt dann in der Nacht gegen vier Uhr morgens wieder die Polizei: „Wir sind gerührt von der Hilfsbereitschaft der Münchner Bevölkerung. #offenetüren. Vielen Dank!“ Ihre schnelle Reaktion auf Twitter hat sich jetzt schon bezahlt gemacht: 111 000 neue Follower kamen über Nacht dazu – ein Plus von 133 Prozent. Im nächsten Krisenfall erreichen in München gesicherte Informationen also deutlich mehr Personen. Damit aus einem Amoklauf nicht wieder ein Terroranschlag gemacht wird.

Korrektur: In einer früheren Version dieses Textes hieß es, Soldaten hätten die Tiefgarage des Einkaufszentrums gestürmt. Es handelte sich um Polizisten, die Bundeswehr war nicht an dem Einsatz beteiligt. Wir bitten für den Fehler um Entschuldigung und bedanken uns für die Hinweise aus der Community

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