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Matteo Renzi.

© AFP

Update

Nach dem Referendum in Italien: Renzi soll bis Verabschiedung des Haushalts im Amt bleiben

Die Italiener haben die Verfassungsreform ihres Ministerpräsidenten abgelehnt. Dessen Rücktritt verzögert sich nur etwas. Was kommt jetzt auf Italien und Europa zu?

Dass es Matteo Renzi mit seiner Verfassungsänderung schwer haben würde, war absehbar gewesen. Doch das Ausmaß der Abfuhr, die der 41-jährige Regierungschef am Sonntagabend erlebt hat, war dann doch eine Überraschung. Unerwartet war nicht nur das deutliche Stimmenverhältnis von 60 zu 40 Prozent, sondern auch die weit überdurchschnittliche Stimmbeteiligung: 70 Prozent der Italiener waren in die Stimmlokale geströmt, um eine Reform bachab zu schicken, mit welcher der Premier unvorsichtigerweise sein politisches Schicksal verknüpft hatte.

Noch am Montagabend wollte der italienische Regierungschef eigentlich offiziell seinen Rücktritt einreichen. Doch etwas Aufschub gibt es nun doch noch: Staatspräsident Sergio Mattarella habe Renzi gebeten, noch im Amt zu bleiben, bis das Haushaltsgesetz für das kommende Jahr vom Parlament verabschiedet werde, teilte der Präsidentenpalast am Montagabend auf Twitter mit.

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Warum haben die Italiener so abgestimmt?

Vieles deutet auf eine Protestwahl der Italiener hin. Die massenhafte Einwanderung durch Flüchtlinge, die Perspektivlosigkeit von Millionen Jugendlichen, das Sich-abgehängt-Fühlen von vielen Italienern vor allem im Süden des Landes haben zweifellos auch die Abstimmung über die Verfassungsreform beeinflusst. Dennoch wäre es verfehlt, Renzis Niederlage auf das Phänomen des in den meisten europäischen Ländern zu beobachtenden Erstarkens der Rechtspopulisten und Europagegner zu reduzieren.

Das lässt sich schon an der unterschiedlichen Herkunft der Reformgegner ablesen. Zwar haben die fremdenfeindliche Lega Nord und die mal links- und mal rechtspopulistische Fünf-Sterne-Protestbewegung von Beppe Grillo an vorderster Front Stimmung gegen die Reform gemacht. Im Lager der Gegner fanden sich aber unter anderem auch die größte Gewerkschaft des Landes, der Verband der Weltkriegspartisanen, Dutzende von Verfassungsrechtlern sowie der linke Flügel des sozialdemokratischen Partito Democratico von Premier Renzi.

Die Wut der italienischen Protestwähler richtete sich wohl vor allem gegen Renzi. Der Premier hat bei seinem Amtsantritt viel versprochen. Drei Jahre später liegt die Jugendarbeitslosigkeit in Italien aber immer noch bei fast 40 Prozent und die Wirtschaft schwächelt weiter. Renzi hat – sein vielleicht größter Fehler – viel zu viel politische Energie auf die Wahlrechts- und auf die Verfassungsreform verwendet, ohne überzeugend darlegen zu können, dass diese entscheidend dazu hätten beitragen können, die Probleme des Landes zu lösen.

Wie wird das Ergebnis in Brüssel bewertet?

Der Euro ist nicht in Gefahr – diese Botschaft kam nach der Volksabstimmung in Italien am Montag unisono gleich von mehreren europäischen Finanzministern in Brüssel. Nur nichts herbeireden. Das ist die Devise, als sich Montagfrüh bei eisigen Temperaturen die Finanzminister der Euro-Gruppe zu ihrer planmäßigen Sitzung in Brüssel einfinden. EU-Währungskommissar Pierre Moscovici beschwört das „große und solide Land“ Italien. Er habe großes Vertrauen in die italienischen Behörden, sie seien „gut ausgestattet“, um diese Krise zu bewältigen. Im Hinblick auf Renzi gibt sich der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble (CDU) unaufgeregt: „Mit gewisser Gelassenheit muss man zur Kenntnis nehmen, dass die Prozesse so sind.“

Trotzdem sind in Brüssel die Sorgen vor den politischen Folgen groß. Wer kommt nach Renzi? Sollte es zu Neuwahlen kommen, droht Italien zu einem weiteren politischen Krisenherd zu werden. Die Fünf-Sterne-Bewegung, die derzeit in den Umfragen bei 30 Prozent liegt, profiliert sich mit Anti-EU-Thesen. Italien ist ein Gründungsstaat der EU. Mit den Regierungen von Polen und Ungarn ist der EU eine konstruktive Zusammenarbeit schon jetzt kaum mehr möglich. Die Befürchtung ist groß, dass Italien sich hier anschließt. Der EU droht in ohnehin schwieriger Phase die Lähmung.

Was bedeutet das für Deutschland und Kanzlerin Angela Merkel?

Nach dem Brexit ist das Ende der Regierung Renzi der nächste harte Rückschlag für die Kanzlerin in dem Bemühen, Europa vereint als relevante Größe zu erhalten – und mit ihm Deutschland als globalen Mitspieler in einer globalisierten Welt. Entsprechend bitter sind die Reaktionen am Tag nach Renzis Ende. Er frage sich ja langsam, ob unter Europas Regierungschefs so eine Art Lemminge-Virus umgehe, sagt ein führender CDU-Mann: „Die stürzen sich jetzt reihenweise selber von der Klippe.“ Trotzdem kann die Hiobsbotschaft aus Rom seiner Parteiführung kurzfristig sogar das Leben erleichtern.

Die CDU ist – anders als die kleine Schwester CDU– im Kern eine pro-europäische Partei in der Tradition Helmut Kohls. Beim CDU-Parteitag in Essen, den die CDU-Spitze am Montag abschließend vorbereitete, muss Merkel keine neonationalen Töne befürchten, wie sie unter Konservativen in anderen EU-Staaten zur Mode werden.

Unterschwellig treibt alle die Angst um, dass Nationalpopulisten und der Ersatz von Argumenten durch Bauchgefühl auch hierzulande an Boden gewinnen könnten. Dazu kommt eine spezielle Sorge: Ein womöglich auf Monate instabiles Italien bedroht Europa nicht nur ökonomisch, sondern wirft auch die unangenehme Frage auf, ob nicht mitten im Wahlkampfsommer 2017 wieder eine Flüchtlingskrise akut werden könnte. Die Zahlen dürften zwar selbst in solch einem Fall weit unter der Völkerwanderung vom vorigen Winter bleiben.

Wie haben die Märkte reagiert?

Experten hatten im Vorfeld vor Verwerfungen an den Märkten gewarnt für den Fall, dass Renzi verliert. Doch dann passierte das Gegenteil. Der deutsche Leitindex Dax zum Beispiel hat nach einem minimalen Start im Minus kräftig zugelegt, am Nachmittag stand er 1,4 Prozent im Plus. Auch die Gemeinschaftswährung Euro hat ihre Verluste komplett wettgemacht, nachdem der Kurs am Vormittag noch auf den tiefsten Stand seit Mai 2005 gefallen war. Und Gold, das in Krisenzeiten normalerweise gefragt ist und deshalb teurer wird, verbilligte sich. Der Grund für diese Reaktion ist weniger die Abgebrühtheit der Anleger, sondern vielmehr die Tatsache, dass sie den Ausgang des Referendums richtig vorhergesagt haben. „Ein Nein war bereits eingepreist“, sagte Neil Wilson vom Handelshaus ETX Capital. So ist der Dax in der vergangenen Woche mit Blick auf das Referendum bereits fast um zwei Prozent gefallen. Die Anleger haben die Entscheidung in Italien also vorweggenommen. Dazu kommt, dass parallel gute Nachrichten aus Österreich kamen. Die klare Wahl eines europafreundlichen Bundespräsidenten stimmt die Börsianer hoffnungsvoll (siehe auch Seite 18).

Womit rechnen Ökonomen?

In einem Punkt sind sich die Volkswirte einig: Der Ausgang des Referendums ist ein herber Rückschlag für Italien. Marcel Fratzscher, Präsident des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW), sprach von „weiterer verlorener Zeit“ für das Land. Es bestehe die Gefahr, dass sich der Reformkurs der Italiener nun verlangsame, sagte er. Ähnlich sieht das Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank. Das Land habe die Chance vertan, die Voraussetzungen zur Lösung der wirtschaftlichen Probleme des Landes zu schaffen.

Uneins sind sich die Ökonomen dagegen bei der Antwort auf die Frage, was das nun für die Zukunft der Euro-Zone bedeutet. Während die einen sich ernsthaft Sorgen machen, geben sich andere gelassen. Zu den Warnern gehört Ifo-Präsident Clemens Fuest. „Die Wahrscheinlichkeit, dass Italien dauerhaft Mitglied der Euro-Zone bleibt, ist gesunken“, sagte er. Lüder Gerken, Chef des Freiburger Centrums für Europäische Politik, meinte gar: „Ein reformunfähiges Italien droht die gesamte Euro-Zone in einen Sog zu ziehen.“ ING-Diba-Chefvolkswirt Carsten Brzeski hält solche Befürchtungen hingegen für übertrieben. „Gestürzte Regierungen in Italien sind nun wirklich nichts Neues, und Europa hat schon vieles überlebt“, sagte er.

Was machen die Notenbanker?

Mario Draghi ist nun wieder einmal gefragt. Nach dem Referendum rechnen Börsianer damit, dass der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) am Donnerstag eine Verlängerung seines Anleihekaufprogramms verkünden wird. Seit März 2015 pumpt die Notenbank massiv Geld in den Markt, indem sie Staats- und Unternehmensanleihen aufkauft. Das soll die Wirtschaft stärken und für Vertrauen in die Euro-Zone sorgen. In Finanzkreisen war zuletzt darüber spekuliert worden, ob es nicht richtig sei, das Kaufprogramm vorzeitig zu beenden. Davon ist nun keine Rede mehr. „Die Diskussion um einen vorzeitigen Ausstieg aus dem Wertpapier-Aufkaufprogramm dürfte vom Tisch sein“, schreiben zum Beispiel die Experten der VP-Bank. Schließlich profitiert auch Italien stark von dem Kaufprogramm. Nach den jüngsten Zahlen hat die EZB bislang für 188 Milliarden Euro italienische Staatsanleihen gekauft. An dieser Politik wird die Notenbank wohl vorerst festhalten müssen, um für Stabilität zu sorgen – „obwohl das ein politischer Auftrag und keiner für eine Notenbank ist“, sagte Dirk Gojny von der National-Bank.

Wie geht es in Italien jetzt weiter?

Staatspräsident Sergio Mattarella wird alles daransetzen, die Bildung einer handlungsfähigen Übergangsregierung zu ermöglichen. Ihr Ziel wird vor allem das Staatshaushaltsgesetz für das kommende Jahr sein, das derzeit vom Parlament beraten wird und das von Gesetzes wegen spätestens bis Ende Dezember beschlossen sein muss.

Zwar haben Vertreter von Grillos Protestbewegung und der fremdenfeindlichen Lega Nord am Montag sofortige Neuwahlen gefordert, aber die Ausarbeitung eines neuen Wahlgesetzes erfordert erfahrungsgemäß Zeit. Neuwahlen könnten nach verbreiteter Auffassung frühestens im Frühling 2017 stattfinden, vielleicht auch erst im Herbst. Es ist aber auch möglich, dass Mattarella auf eine Regierung hinarbeitet, welche die laufende Legislatur zu Ende führen wird – zumal diese ohnehin nur noch bis Anfang 2018 dauert.

Derzeit werden in Rom vor allem zwei Favoriten für das Amt des Übergangspremiers genannt: der parteilose bisherige Finanzminister Pier Carlo Padoan und Senatspräsident Pietro Grasso aus dem PD. Für den Ökonomen Padoan sprächen sein Expertenwissen sowie seine Vertrautheit mit den Staatsfinanzen und dem Dossier der kriselnden Banken; Pietro Grassos Vorteile wiederum liegen in seinem hohen Ansehen als ehemaliger Anti-Mafia-Staatsanwalt und in den guten Beziehungen des Senatspräsidenten zur Opposition.

Die wichtigste und zugleich kniffligste Aufgabe der Übergangsregierung wird die Erarbeitung eines neuen Wahlgesetzes sein, das auch Regeln für die Wahl des Senats enthält, der nach dem Nein zur Verfassungsreform nun ja in seiner bisherigen Form weiterexistiert. Das von der Regierung Renzi durchgeboxte „Italicum“, das nur für die Abgeordnetenkammer gilt und nun revidiert werden muss, sah eine hohe Mehrheitsprämie oder eine Stichwahl vor, die der stärksten Partei automatisch 55 Prozent der Parlamentssitze garantiert hätte. Mit diesem System wäre es gut möglich gewesen, dass Grillos Protestbewegung bei den nächsten Wahlen die absolute Mehrheit der Parlamentssitze errungen hätte, auch wenn sie im ersten Wahlgang vielleicht nur auf 25 bis 30 Prozent der Stimmen gekommen wäre.

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