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Die neue Oberbürgermeisterin: Henriette Reker wird die erste Frau an der Spitze Kölns.

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Update

Nach Messer-Attentat: Köln wählt Henriette Reker

"Demokratie lässt sich nicht abstechen". Die bei einer Messerattacke schwer verletzte Henriette Reker triumphiert im ersten Wahlgang in Köln.

Eine halbe Stunde nachdem die Wahllokale geschlossen sind, brandet zum ersten Mal so etwas wie Jubel im CDU-Fraktionssaal auf: Plötzlich liegt Henriette Reker knapp über der magischen 50 Prozent Marke, sie würde damit neue Oberbürgermeisterin von Köln und müsste nicht in drei Wochen erneut antreten. Bis zu diesem Zeitpunkt war die Stimmung eher gedämpft, was natürlich auch mit dem schrecklichen Attentat auf die Spitzenkandidatin von CDU, Grünen und FDP zu tun hat, die von den Ärzten in ein künstliches Koma versetzt worden ist, damit sie schneller gesund wird. Die gute Laune schwindet anschließend nicht mehr. Die jetzt im Sekundentakt eintrudelnden Ergebnisse aus den Bezirken der ganzen Stadt bestätigen den erwarteten Trend, am Ende wird die parteilose Henriette Reker mit rund 52 Prozent der Stimmen zur neuen Oberbürgermeisterin der Domstadt am Rhein gewählt.

Eigentlich hatte die Spitzenkandidatin am Vortag noch tapfer verbreiten lassen, dass sie auch wählen wollte, trotz ihrer schweren Verletzung. Fritz Schramm, der frühere Oberbürgermeister hatte von Rekers Ehemann erfahren, dass sie sich einen der fliegenden Wahlhelfer am Krankenbett gewünscht hat; was sofort als Ausdruck ihres Willens interpretiert wurde, sich trotz des Attentats nicht entmutigen zu lassen. Die Ärzte entschieden allerdings, wie erst am späten Abend bekannt wurde, anders und Frau Reker konnte demnach nicht wählen.


Den ganzen Tag über hatte in den Wahllokalen nur dieses eine Thema gegeben, niemanden ließ der feige Messerangriff auf die Kandidatin kalt. "Demokratie lässt sich nicht abstechen", postete etwa der Kölner Felix Schnorre nachdem er abgestimmt hatte und direkt hinter ihm fand sich ein angesichts des schwierigen Verhältnisses zwischen Köln und Düsseldorf amüsanter Eintrag. "Selbst als Düsseldorfer würde ich heute in Köln wählen gehen", schrieb Dennis Knoche und traf damit eine weite verbreitete Stimmungslage am Wahltag. Im Laufe des Tages hatten viele in Köln die Hoffnung, dass sich mehr Menschen als erwartet für eine Teilnahme an der Wahl entscheiden würden, doch das war am Ende nicht so. Nur knapp 40 Prozent der Kölner machten ihr Kreuz; vor sechs Jahren hatte noch jeder Zweite abgestimmt.

Gemeinsame Anstrengung für die Demokratie

Noch am Vorabend der Wahl waren die Spitzen aller Parteien rings um das ehrwürdige Rathaus zusammen gekommen und hatten sich die Hand gereicht. So standen Jochen Ott, der Gegenkandidat von Henriette Reker, neben Christian Linder, dem FDP-Vorsitzenden, der hatte sich bei Hannelore Kraft, der Ministerpräsidentin, eingehakt, die wiederum Armin Laschet, den CDU-Chef des Landes, neben sich umarmte. "Das ist ein Zeichen, dass wir als Demokraten zusammenstehen", gab sie sichtlich bewegt als Parole aus und ausnahmsweise mochte in diesem Moment niemand widersprechen. Als die Kameras abgeschaltet waren, versprachen sich die Spitzen der nordrhein-westfälischen Politik demnächst etwas sorgsamer miteinander umzugehen und auf manche möglicherweise überflüssige Schärfe in der Auseinandersetzung zu verzichten.

Zu diesem Zeitpunkt hatte Henriette Reker zwei Notoperationen hinter sich und in ihrem Team machte sich nach dem Schock wieder so etwas wie Hoffnung breit. "Henriette Reker wird vollständig genesen", riefen sie am späten Abend aus und machten damit klar, dass sie selbst offensichtlich glaubt, dem Amt gewachsen zu sein, wenn  die Kölner ihr das Mandat übertragen. Auch wenn es zynisch klingt, waren längst Interpretationen in der Welt, die darauf hindeuten, dass der Vorgang am Ende politische Auswirkungen hat. "Natürlich kann es Mitleidseffekte geben", analysierte der Bonner Politikwissenschaftler Tilman Mayer öffentlich und auch in den sozialen Medien fand sich mehr als ein Hinweis, dass die Wahl damit durchaus zu Gunsten von Frau Reker beeinflusst werden könnte und sie jetzt erst Recht im ersten Wahlgang mit einer Mehrheit rechnen durfte.

Die Spurensicherung am Braunsfelder Wochenmarkt.
Die Spurensicherung am Braunsfelder Wochenmarkt.

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Der Täter wurde noch am Abend des Anschlages in eine Haftanstalt gebracht, die psychiatrische Untersuchung hatte keine Anhaltspunkte für eine gravierende Störung gezeigt. Der 44-Jährige aus dem Stadtteil Nippes, einem Arbeitervorort von Köln, war seit langem ohne Beschäftigung und lebte weitgehend unauffällig. In den 90er Jahren hatte er Sympathien für die inzwischen verbotene rechte FAP, die "Freiheitliche Deutsche Arbeiterpartei", erkennen lassen und war in diesem Zusammenhang nach Gewaltdelikten sogar für längere Zeit in Haft. Seither ist er nicht mehr in Erscheinung getreten, was einmal mehr zeigt, wie gefährlich Einzeltäter dann plötzlich in einer besonderen politischen Großwetterlage werden können. Der Düsseldorfer Innenminister wies als Erster auf diese Phänomen hin: "Es zeigt, welch furchtbare Auswirkungen es hat, wenn die Saat hasserfüllter und fremdenfeindlicher Parolen im Netz und auf der Straße aufgeht".

In Köln selbst hat dies nicht wenige schockiert. Bei allen Unzulänglichkeiten in der Verwaltung hat sich diese Stadt bisher immer zu Gute gehalten, dass die Rechten - zum Beispiel von Pro Köln - nie das Bild prägen konnten und stets ein breites Bündnis von Demokraten die politische Szenerie beherrschte. Auch darüber wird die Stadtgesellschaft nach der Tat neu nachdenken müssen und die neue Oberbürgermeisterin wird eine weitere Herausforderung meistern müssen.

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