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Update

Stationierung von Raketenabwehr in der Türkei: Bundestag soll bis Weihnachten über Nato-Einsatz entscheiden

Die Türkei hat jetzt offiziell die Nato um Hilfe gebeten: Sie hat die Stationierung von Patriot-Abwehrraketen an der Grenze zu Syrien beantragt, um die Region vor Angriffen zu schützen. Die Bundeswehr soll sich an dem Einsatz beteiligen. Welche Risiken birgt der Einsatz?

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Die Gespräche im Hintergrund liefen schon seit ein paar Wochen, am Mittwoch hat die Türkei offiziell die Stationierung von Abwehrraketen an der Grenze zu Syrien beantragt. Deutschland ist zur Entsendung von Patriot-Raketen bereit. “Ich habe den deutschen Botschafter angewiesen, einen solchen Antrag - natürlich, wenn die Bedingungen erfüllt sind und unter den üblichen Vorbehalten - auch positiv anzunehmen“, sagte Bundesaußenminister Guido Westerwelle. Seit der Bürgerkrieg im Nachbarland der Türkei tobt und zehntausende syrische Flüchtlinge dort Schutz suchen, ist diese Grenze zum Unruhegebiet geworden. Bundesverteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) strebt ein Bundestagsmandat für den Türkei-Einsatz bis Mitte Dezember an. De Maizière kündigte am Mittwochabend im Bundestag an, die Bundesregierung werde „so schnell wie möglich ein Mandat erarbeiten und dem
Bundestag vorlegen“.Am Montag waren aus dem syrischen Ras al Ain, das unmittelbar gegenüber der türkischen Grenzstadt Ceylanpinar liegt, schon wieder Explosionen und Salven von Maschinengewehren zu hören. Vorige Woche hatte die syrische Luftwaffe mehrmals Angriffe auf Stellungen der Rebellen nur wenige Meter von der Grenze in Ceylanpinar entfernt geflogen. Die Führung in Ankara verspricht sich von der Stationierung von Abwehrraketen einen Schutz vor Attacken, die auf ihr Gebiet übergreifen.

Deutschland, die USA und die Niederlande sind die einzigen Nato-Staaten, die über „Patriots“ verfügen. Wieviele deutsche Staffeln mit jeweils mindestens 85 Soldaten eingesetzt werden, ist noch unklar. Im Gespräch sind ein bis zwei. Die Entsendung von zusätzlichen Awacs-Aufklärungsflugzeugen in die Türkei schloss de Maizière ebenfalls aus. „Eine zusätzliche Verlegung von Awacs in dieses Gebiet ist nicht beabsichtigt.“ Allerdings machte der Minister auch klar, dass Awacs-Maschinen, die ohnehin in der Region seien, selbstverständlich genutzt werden könnten.

Wie steht die deutsche Politik dazu?

Die Bundesregierung ist bereit, den Türken zu helfen. Kurz nach Bekanntgabe des türkischen Antrags, wies Außenminister Guido Westerwelle den deutschen Nato-Botschafter an, den Antrag anzunehmen. Dahinter stehen vor allem politische Motive. Die Türkei hat sich nach Berliner Einschätzung in dem Konflikt bisher trotz mancher Drohgebärden besonnen verhalten. Dieses Verhalten hofft man mit der militärischen Hilfsgeste zu unterstützen. Bündnissolidarität wirke schließlich in zwei Richtungen und schaffe umgekehrt die Verpflichtung, keine Abenteuer auf Kosten von Nato-Partnern einzugehen. Wer auf das Risiko verweist, in den Syrien-Konflikt verwickelt zu werden, dem hält die Regierung den geplanten Auftrag entgegen – es gehe um eine „vorsorgliche und defensive Maßnahme auf Nato-Gebiet und ausschließlich nur auf Nato-Gebiet“, versichert de Maizière.

Die Koalitionsvertreter im Verteidigungssausschuss stellten sich klar hinter die Regierungspläne. „Wir sind hier auf der Seite des Bündnisses, wir sind auf der Seite der Bundesregierung“, sagte FDP-Verteidigungsexpertin Elke Hoff. Ihr Unions-Kollege Ernst-Reinhardt Beck sagte, er rechne mit einer breiten Zustimmung.

Wie verhält sich die Opposition?

Die SPD sandte bereits positive Signale aus. Ihr Verteidigungsexperte Rainer Arnold betonte am Mittwoch die Bedeutung der Bündnissolidarität. Die Grünen monierten, dass viele Fragen wie die Anzahl der Soldaten und die Stationierungsorte noch nicht geklärt seien. „Ich bleibe hoch skeptisch, wir werden uns das sehr genau anschauen“, sagte ihr verteidigungspolitischer Sprecher Omid Nouripour. Die Linke lehnt den Einsatz ab. „Die Verlegung von «Patriot«-Systemen an die türkisch-syrische Grenze ist zunächst einmal eine gefährliche Symbolhandlung, mit der auf eine gefühlte Bedrohungslage reagiert werden soll“, sagte Verteidigungsexperte Paul Schäfer. Damit werde die Türkei ermutigt, an der Grenze zu Syrien noch offensiver vorzugehen, und Deutschland verliere seine Rolle bei der Suche nach einer politischen Verhandlungslösung.

Gibt es ein Mandat des Bundestags?

Der Bundestag soll bei der Entscheidung über einen Bundeswehreinsatz an der türkisch-syrischen Grenze das letzte Wort haben. Verteidigungsminister de Maizière sprach sich am Mittwoch nach einer rechtlichen Prüfung dafür aus, das Parlament über die Entsendung von „Patriot“-Raketenabwehrstaffeln abstimmen zu lassen - damit soll der Nato-Partner Türkei vor syrischen Luftangriffen geschützt werden. Er will, dass der Bundestag noch vor der Weihnachtspause entscheidet. Auch Bundeskanzlerin Merkel (CDU) versicherte, dass das Parlament in die Entscheidung eingebunden werde. „Das ist das Wesen unserer Parlamentsarmee“, sagte sie in der Generaldebatte im Bundestag.

Eine breite Mehrheit dürfte sicher sein. Neben den Koalitionsfraktionen hat auch die SPD grundsätzliche Unterstützung signalisiert. In der Bevölkerung sind die Befürworter des Einsatzes dagegen klar in der Minderheit. In einer Umfrage des Meinungsforschungsinstituts YouGov sprachen sich 58 Prozent gegen die Entsendung der „Patriots“ aus, nur 31 Prozent der gut 1000 Befragten halten eine solche Mission dagegen für richtig.

Was verspricht sich die Türkei von der Nato-Hilfe?

Die Spannungen an der Grenze gefährden nach Ansicht Ankaras die Sicherheit der Türkei. Die „Patriots“ könnten helfen, Syrien an Übergriffen mit Flugzeugen, Hubschraubern oder gar Raketen auf den Nachbarn zu hindern. Der türkische Präsident Abdullah Gül hat schon das Schreckensszenario eines Raketenangriffs mit chemischen oder biologischen Waffen an die Wand gemalt, ein Mittel, zu dem eine syrische Führung greifen könnte, wenn sie der Rebellion im Inneren nicht mehr Herr wird.

Als die ersten Berichte über die vertraulichen Gespräche mit der Nato durchsickerten, fiel allerdings noch ein anderes Stichwort: Die Türkei, hieß es mit etwas unklarer Quellenlage aus Ankara, könnte den Raketenschirm auch dann gut gebrauchen, wenn sie eine „Sicherheitszone“ für Flüchtlinge und Rebellen im Norden Syriens militärisch durchsetzen wollte. Nato-Politiker versichern aber, in den Gespräche mit den Verbündeten habe ein solches Szenario keine Rolle gespielt.

Was ist zum Schutz der Grenze technisch möglich?

Drei Nato-Staaten haben „Patriots“ in ihrem Arsenal – die USA, die Niederlande und Deutschland. Das System besteht aus mobilen Radarstationen, Leitständen und Raketenabschussgeräten, die im Zusammenwirken gegnerische Flugzeuge oder Raketen abwehren können. Dabei schwankt die Reichweite je nach Ziel: Kampfjets und Hubschrauber kann „Patriot“ noch auf 160 Kilometer Entfernung bekämpfen, die PAC-3-Rakete, die ballistische Raketen abfängt, fliegt nur etwa 15 Kilometer weit. Zu jeder Batterie gehören etwa 85 Mann Besatzung; im Gespräch ist die Entsendung von bis zu zwei deutschen Batterien, die gemeinsam mit weiteren „Patriots“ aus den Niederlanden und eventuell auch den USA zum Einsatz kommen sollen. Und anders als im Golf-Krieg, als Deutschland an das von irakischen Raketen bedrohte Israel lediglich ihr Gerät auslieh, soll diesmal die Bundeswehr auch die Bedienmannschaft stellen.

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