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Fund. Waffen der Neonazis.

© dpa

Neben der Spur: Protokoll eines widersprüchlichen Endes

Vor vier Wochen starben in Eisenach die beiden Rechtsterroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt. Wie genau, ist noch immer unklar. Protokoll eines widersprüchlichen Endes.

Was geschah genau an jenem 4. November, an dem Uwe Mundlos (38) und Uwe Böhnhardt (34) nach einem Bankraub im thüringischen Eisenach ihrem Leben ein Ende gesetzt haben sollen? Die beiden Neonazis haben nach bisherigen Ermittlungen zehn Menschen erschossen und 14 Banküberfälle mit einer Beute von mehr als 600 000 Euro begangen. Angesichts dieser Brutalität ist kaum zu verstehen, dass die schwer bewaffneten Gangster keinen Fluchtversuch unternahmen oder sich zur Wehr zu setzten, bevor sie sich selbst töteten. Zumal die mutmaßlichen Killer vier Pistolen und drei Gewehre dabei hatten. „Das Ganze, was dort passiert ist, passt nicht zu dem sonstigen planvollen Vorgehen“, sagte am Donnerstag Jörg Ziercke, Chef des Bundeskriminalamtes, bei der gemeinsamen Pressekonferenz mit der Bundesanwaltschaft.

Die Spurensuche zum letzten Bankraub beginnt an der Sparkassen-Filiale in einem Geschäftskomplex in Eisenach- Nord. An jenem Freitagmorgen bekommt die Eisenacher Polizei um 9.20 Uhr die Meldung, dass die Sparkasse überfallen worden ist. Nach dem Raub, bei dem sie einige tausend Euro erbeuten, flüchten die Täter auf Fahrrädern. Ihr Fluchtweg, zu dem die Behörden noch keine Einzelheiten bekannt geben wollen, führt wohl durch das Wohngebiet mit den zumeist sanierten Plattenbauten, vorbei am Seniorenzentrum Georgenhof und weiter nach rechts auf einen Fahrradweg, auf dem sie die alte Autobahn A 4 zum Eisenacher Stadtteil Stregda unterqueren.

Noch einen Hang hinauf und sie sehen ihr gemietetes Wohnmobil, das sie auf dem heruntergekommenen Gelände der Diskothek MAD abgestellt haben. Von der Sparkasse bis hierher sind es nur ein paar hundert Meter. Sie haben alles gut geplant. Schon in den Tagen zuvor sind sie beim Einkaufen dort gesehen worden.

Sie packen die Fahrräder ins Wohnmobil und fahren schnell los. Einem Zeugen fällt das auf, er ruft die Polizei an. Er hat sich den ersten Buchstaben des Nummernschildes gemerkt – V für Vogtlandkreis. Das Vorgehen gleicht auffällig einem Sparkassen-Überfall im September im thüringischen Arnstadt. Die auf so einen Fall vorbereitete Polizei rückt mit allem aus, was fahren kann, berichtet später der Chef der zuständigen Polizeidirektion Gotha, Michael Menzel. Mehr als zehn Streifenwagen sind in Eisenach unterwegs, ein Fahndungsring wird gezogen.

Obwohl sie die alte Autobahn vor der Nase haben, fahren die Täter nach dem Kreisel am Baumarkt nicht rechts zur Schnellstraße, sondern links nach Stregda. Wieder sind es nur ein paar hundert Meter, dann erreichen sie den Schafrain, wo sie das weiße Wohnmobil gegen 9.45 Uhr parken. Eine ruhige Gegend mit Neubauten und idyllischem Ausblick auf Wartburg und Inselsberg. Fremde müssten hier eigentlich sofort auffallen. Spekulieren die Täter, dass die Polizei sie gerade hier nicht suchen wird?

Zwei Stunden lang geschieht nichts. Gegen zwölf Uhr entdeckt ein Streifenwagen den Caravan. Nach Angaben der Bundesanwaltschaft fallen nun drei Schüsse. Einer geht angeblich aus dem Wohnmobil nach draußen. Dann erschießt Mundlos erst Böhnhardt und schließlich sich selbst. Es heißt, dass einer der beiden Männer mit einem Loch in der Stirn und weggeschossenem Hinterkopf am Tisch saß, der andere soll im Gang des Wohnmobils gelegen haben. Nach den Schüssen beginnt der Caravan zu brennen.

Allerdings machten die Thüringer Ermittler in wichtigen Details zunächst andere Angaben. Polizeichef Menzel sprach nach dem Banküberfall nur von zwei Knallgeräuschen, die seine am Caravan in Deckung gegangenen Streifenpolizisten gehört haben. Genau so sollen es die beiden Beamten auch über Polizeifunk durchgegeben haben. Der dritte Schuss ist deshalb von Bedeutung, weil er belegen würde, dass sich die Täter zu wehren versuchten. Eine mögliche Einschussstelle in der Umgebung des Wohnmobils, so ein Sprecher der Bundesanwaltschaft, sei bereits festgestellt worden. Das Projektil soll aus einer Maschinenpistole stammen, die im Caravan gefunden wurde. Warum nur ein Schuss? BKA-Chef Ziercke sprach am Donnerstag von einer Ladehemmung, möglicherweise wegen schadhafter Munition.

Die aktuellen Informationen widersprechen auch in einem weiteren Punkt früheren Angaben. So hatte Staatsanwalt Thomas Waßmuth von der zunächst zuständigen Staatsanwaltschaft Meiningen berichtet, die Obduktion habe ergeben, dass jeder sich selbst getötet habe. Der bisher einzige Beleg der Bundesanwaltschaft für ihre Version der Todesumstände sind Rauchpartikel, die nur in der Lunge von Mundlos gefunden worden seien. Er lebte demnach noch, als der Caravan schon brannte. Zu Schmauchspuren, die sich beim Abfeuern einer Waffe an Händen und Armen finden müssten, konnte die Karlsruher Behörde bisher nichts mitteilen. „Sorgfalt geht vor Schnelligkeit angesichts der Gesamtumstände“, sagt ein Sprecher. Folgt man dem, was Anwohner erzählen, werden die Zweifel nur größer. So berichtet ein Bewohner, seine Ehefrau sei kurz vor dem Eintreffen des Streifenwagens nach Hause gekommen. Die Familie wohnt einen Steinwurf entfernt von der Stelle, an der das Wohnmobil parkte. Seine Frau, sagt der Mann, habe nicht einen einzigen Knall oder Schuss gehört.

Im Inneren des Wohnmobils fand die Polizei nicht nur die fast 70 000 Euro schwere Beute aus dem Banküberfall in Arnstadt, sondern auch die Dienstwaffe der in Heilbronn ermordeten Polizistin Michèle Kiesewetter. Warum aber fuhren die mutmaßlichen Rechtsterroristen mit den Beweismitteln herum, die der Polizei schließlich die Aufklärung einer Verbrechensserie ermöglichten? Schlicht Dummheit oder eine Trophäenschau? Oder wollte die Bande einen wirkungsvollen Schlussakkord setzen?

Möglicherweise habe eine „besondere Not- und Drucksituation“ für die Täter bestanden, weil sie sich einem unmittelbaren Zugriff durch die Polizei ausgesetzt sahen, sagte BKA-Chef Ziercke. Ein Zeuge habe erzählt, die Gruppe habe für den Fall ihrer Entdeckung einen Selbstmord verabredet. Die Untersuchungen, so Ziercke, seien „sehr schwierig“, weil der Brand und die „Auffindesituation“ der Toten das Wohnmobil zu einem „komplexen Tatort“ machten. Viele Fragen bleiben vorerst offen. Nur in einem legt sich die Bundesanwaltschaft fest: Es könne ausgeschlossen werden, dass eine dritte Person die beiden Bankräuber getötet hat.

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