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Politik: Neonazis in NRW: Polizei gegen Verfassungsschutz

Durch einen Prozess in Dortmund könnten viele V-Leute in der rechten Szene enttarnt werden

Der Mann fürchtet um sein Leben. „Sebastian Seemann ist ein Verräter und muss entsprechend behandelt werden“, findet man im Internet, wenn man den Namen des 27-Jährigen eingibt. Es folgen wenig schmeichelhafte Bemerkungen über den Charakter des jungen Mannes. Wer weiter liest, erfährt auch, warum Seemann so wenig freundlich behandelt wird: „Nur wenn Verräter bedingungslos bekämpft werden, können wir unsere eigenen Leute schützen.“ Obwohl Seemann seit dem 14. August in Untersuchungshaft sitzt, lassen ihn diese Drohungen genauso wenig kalt, wie die nordrhein-westfälische Justiz: er wurde jetzt verlegt, damit ihm nichts zustößt.

Sebastian Seemann ist als V-Mann aus der rechten Szene aufgeflogen und seit das so ist, hat er ein Problem. Der nordrhein-westfälische Innenminister Ingo Wolf schläft allerdings auch nicht mehr besonders gut. Zwischen der ihm unterstellten Polizei und dem ebenfalls für ihn arbeitenden Verfassungsschutz gibt es ein so heftiges Gerangel, dass die Opposition die innere Sicherheit gefährdet sieht. „Ist der Verfassungsschutz jetzt blind“, fragte etwa der Innenexperte der SPD, Karsten Rudolph. Er war aufgeschreckt von Informationen, die darauf hindeuteten, dass sämtliche V-Leute aus der als besonders gewaltbereiten Szene in Ostwestfalen durch eine peinliche Panne aufgeflogen sein könnten.

Der nordrhein-westfälische Verfassungsschutz hat Sebastian Seemann seit Jahren als Informanten aus der rechten Szene hofiert und ihn bezahlt. Der Mann führte eine Kneipe in Lünen, den „Störtebeker“. Dort treffen sich vorzugsweise junge Männer mit rechter Gesinnung, hier werden Festivals der einschlägigen Bands wie „Oidoxie“ organisiert; gelegentlich treten die dann auf Gedenkveranstaltungen des Nazi-Skinhead-Netzes „Blood and Honour“ im Ausland auf.

All das findet sich zum Leidwesen der Schlapphüte in den Akten eines Gerichtsverfahrens, das jetzt in Dortmund für einen 23-jährigen Angeklagten mit einem Schuldspruch über acht Jahre Haft beendet wurde. Der ebenfalls der rechten Szene zugehörige Mann war ein guter Bekannter von Seemann und soll von ihm die Waffe für einen Raubüberfall bekommen haben. Den Überfall selbst, so schilderte er vor Gericht, habe er nur gemacht, um bei Seemann 17000 Euro aus einem fehlgeschlagenen Drogendeal zurückzuzahlen zu können. All das findet sich in den Ordnern, die im Dortmunder Prozess vorlagen. Dort stehen auch Hinweise auf Seemann und dessen Tätigkeit für den Verfassungsschutz – was die Schlapphüte für eine handfeste Justizpanne halten. Die Polizei und die Staatsanwaltschaft Bielefeld schießen indessen zurück: sie haben in einer Telefonüberwachung nicht nur festgestellt, dass Seemann mit Waffen und Drogen handelt, sie glauben auch Beweise dafür zu haben, dass der V-Mann-Führer Seemann vor der Polizei gewarnt hat. Er möge nicht mehr über das Handy, sondern aus einer Telefonzellen anrufen, hat er dem 27-Jährigen zugerufen. Das wiederum hat die Polizisten so erbost, dass sie Strafanzeige stellten – nun wird gegen den Verfassungsschützer wegen Strafvereitelung im Amt ermittelt.

Unterdessen kursiert in Düsseldorf das Gerücht, in den Dortmunder Prozessakten fänden sich weitere Telefonnummern von anderen Spitzeln. Die aufgeschreckten Düsseldorfer Ministerien bestreiten das: „Da steht nichts“, versichert Justizministerin Roswita Müller Piepenkötter (CDU).

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