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Telekommunikationsanbieter wollen kostenpflichtige "Überholspuren" im Internet möglich machen.

© imago

Netzneutralität: Wirtschaftsministerium will Nutzerinteressen wahren

Das EU-Parlament will im April in erster Lesung über schnelles Internet abstimmen – das Wirtschaftsministerium will aber Nutzerinteressen wahren.

Soll es eine Überholspur im Internet geben? Das ist eine Frage, die derzeit das Europaparlament beschäftigt. Die Brüsseler Abgeordneten müssen über den Entwurf einer Verordnung der EU-Kommissarin Neelie Kroes abstimmen, den die Niederländerin im vergangenen September vorgelegt hat. Die Verordnung, die nach der Europawahl EU-weit gelten könnte, sieht unter anderem die Möglichkeit vor, dass Internetnutzer gegen Aufpreis schneller Zugang zu bestimmten Angeboten – beispielsweise Videos von Youtube – bekommen können als „normale“ User. Kritiker werfen Kroes vor, damit einem Zwei-Klassen-Internet Tür und Tor zu öffnen. Pikant sind die Brüsseler Pläne deshalb, weil auch im Bundeswirtschaftsministerium demnächst die Arbeiten zu einer deutschen Gesetzgebung beginnen, welche die sogenannte Netzneutralität möglicherweise stärker in den Vordergrund rückt als der Vorschlag der EU-Kommissarin Kroes.

Bei der Netzneutralität geht es darum, dass im Internet beim Transport von Daten kein Unterschied gemacht wird – egal welchen Inhalt die Daten haben. Telekommunikationsanbieter dringen hingegen auf Geschäftsmodelle, die eine kostenpflichtige Überholspur möglich machen würden.

Mit der Frage, wer wie schnell im Internet surfen kann, wird sich demnächst auch das Ministerium für Wirtschaft und Energie befassen. Dort müssen die Experten die Vorgabe aus dem Koalitionsvertrag umsetzen, wonach die „Gewährleistung von Netzneutralität“ als „eines der Regulierungsziele im Telekommunikationsgesetz verbindlich verankert“ werden soll. Mit dieser Aufgabe ist im Bonner Dienstsitz des Ministeriums in erster Linie das von Winfried Ulmen geleitete Referat für Telekommunikations- und Postrecht betraut. In der alten schwarz-gelben Koalition hatte der damalige Wirtschaftsminister Philipp Rösler (FDP) versucht, Telekommunikationsfirmen auf dem Verordnungsweg zur Netzneutralität zu verpflichten. Zwar öffnete auch Röslers Verordnungsvorschlag ähnlich wie das Brüsseler Vorhaben Telekommunikationsanbietern die Möglichkeit, Überholspuren im Internet einzurichten. Nach der Einschätzung von Experten wie Bert Van Roosebeke vom Freiburger Centrum für Europäische Politik (CEP) stand bei Röslers Vorstoß die Gleichbehandlung von Internetnutzern aber stärker im Vordergrund als bei dem jetzt in Brüssel diskutierten Entwurf der EU-Kommission.

Auch wenn Rösler nach der Bundestagswahl den Hut nehmen musste, seien seine grundsätzlichen Überlegungen zur Netzneutralität bei der bald anstehenden Vorbereitung des Berliner Gesetzentwurfs keineswegs vom Tisch, heißt es im Wirtschaftsministerium. Bislang ungeklärt sei indes, ob die Vorgabe des Koalitionsvertrages zur Nutzerfreundlichkeit des Internet in einem Kapitel des Telekommunikationsgesetzes oder in einem Spezialgesetz verarbeitet wird. Sehr genau dürfte man im Wirtschaftsministerium verfolgen, was von Kroes’ Entwurf in der EU-Verordnung am Ende übrig bleibt. Das Centrum für Europäische Politik (CEP) hat den Entwurf bereits genauer unter die Lupe genommen. Im Fall des Kroes-Vorschlages zeigt die Ampel des CEP auf „Gelb“: verbesserungsbedürftig.

Jetzt müssen die EU-Abgeordneten sagen, was sie vom Vorschlag der Kommission halten – das Europaparlament muss nämlich zustimmen. Als der Binnenmarkt-Ausschuss des EU-Parlaments bei den Beratungen über den Entwurf Anfang des Jahres ein diskriminierungsfreies Netz forderte, zeigten sich Konzerne wie die Telekom und der spanische Anbieter Telefonica nach den Worten des Abgeordneten Andreas Schwab enttäuscht. Der CDU-Mann wertet dies als Indiz, dass der Kroes-Vorschlag mitsamt den Änderungen aus den Reihen der Parlamentarier einen sinnvollen Mittelweg zwischen den Wünschen der „Normalnutzer“ und der Anbieter beschreibt: „Am Ende wird man sich entscheiden müssen, ob man die privaten Anbieter so stark reguliert, dass sie nur noch eine Einheitsleistung anbieten können oder ob sie Angebote machen können, zwischen denen die Verbraucher ja auch wählen.“

Im Mai endet die Legislaturperiode des Europaparlaments, bis dahin ist ein endgültiger Brüsseler Beschluss in Abstimmung zwischen EU-Ländern und Europaparlament nicht mehr zu schaffen. Aber das Europaparlament will zumindest noch vor der Europawahl in erster Lesung seine Position festzurren. Der Grund: Kroes’ Entwurf für die Regulierung Telekommunikationsmarktes befasst sich nicht nur mit der Netzneutralität, sondern stellt auch die Abschaffung der Roaming-Gebühren in der EU in Aussicht – vor der Europawahl ein wählerwirksames Thema.

*Das Centrum für Europäische Politik (CEP) gibt regelmäßig Analysen zu Brüsseler Gesetzesvorhaben ab; dabei werden die Bewertungen in einem schematischen Ampelsystem veranschaulicht: „Rot“ steht für Gesetzgebungsvorhaben, die aus der Sicht des CEP schlecht sind, „Grün“ für sinnvolle Vorhaben. „Gelb“: verbesserungsbedürftig.

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