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Nahost-Konflikt: Neue Ausrichtung der Politik in Kairo bringt Bewegung

Ägypten fährt einen neuen Kurs. Kaum aber hatte das Land begonnen, seine alte außenpolitische Route zu verlassen, schlagen in der Region die Wellen hoch. Dabei wirken die Drehungen am diplomatischen Steuerrad zunächst nicht besonders spektakulär.

Zum einen kündigte Kairo an, es wolle seine seit 1979 eingefrorenen Beziehungen zum Iran normalisieren. Zum anderen will die neue Führung den ägyptischen Grenzübergang in Rafah wieder komplett öffnen und so die Blockade des Gazastreifens nach vier Jahren beenden. Gleichzeitig nutzten Ägyptens Diplomaten die Öffnung des Schlagbaums geschickt als diplomatisches Lockmittel, um Hamas und Fatah zur Unterschrift unter den neuen Versöhnungspakt zu bewegen, der am Mittwoch in Kairo feierlich besiegelt wird.

Trotzdem werden beide Entscheidungen das über Jahre zementierte, nahöstliche Nationengefüge kräftig in Bewegung bringen – nicht nur zwischen den ungleichen Nachbarn Ägypten und Israel, sondern auch zwischen Ägypten und den arabischen Golfstaaten. Denn mit dem Iran reicht die neue Führung in Kairo ausgerechnet dem Regime die Hand, welches von den kleinen arabischen Ölstaaten, von Mubaraks langjährigen Hauptverbündeten Saudi-Arabien sowie von dem sensiblen Nachbarn Israel als Hauptbedrohung, Sponsor radikaler Terrorgruppen und mögliche Atomwaffenmacht gefürchtet wird. Sie alle werden die neue Achse zwischen den beiden Staaten mit Argwohn beobachten, während es am Nil lapidar heißt, man wolle mit allen wichtigen Mächten der Region diplomatische Beziehungen unterhalten.

Bei der Verteidigung der neuen Gazapolitik dagegen wurde Ägyptens neuer Außenminister Nabil al Arabi sehr viel deutlicher. „Eine Schande“ nannte er die jahrelang von Kairo mitgetragene Blockade des Küstenstreifens. Der gestürzte Präsident Hosni Mubarak hatte das Tor immer nur einige Tage lang und dann einen Spaltweit geöffnet. 2010 konnten im Durchschnitt rund 3000 Palästinenser pro Monat das Nadelöhr passieren, meistens Menschen, die medizinische Hilfe brauchten. Vor der Blockade waren es im Schnitt 40 000 pro Monat. Gleichzeitig wird durch Kairos Entscheidung der Warenverkehr, der bislang illegal durch die rund 800 Tunnel lief, wieder an die Erdoberfläche geholt. Israel reagierte alarmiert. In Tel Aviv fürchtet man vor allem, dass die Hamas jetzt „ihre terroristische Militärmaschine“ weiter ausbauen und ihre internationale Isolierung aufweichen kann.

Doch anders als Israels Langzeitpartner Hosni Mubarak muss die neue Führung in Kairo in ganz anderer Weise auf die öffentliche Meinung daheim Rücksicht nehmen. Im September sind die ersten freien Parlamentswahlen. Und nach einer Revolution für mehr Demokratie, Pluralität und Mitbestimmung lassen sich unpopuläre Entscheidungen nicht mehr so einfach aufrechterhalten, die Mubarak noch ganz selbstverständlich per Polizeiknüppel durchgesetzt hat. Wer seinerzeit in Kairo gegen die Strangulierung des Gazastreifens protestierte, landete schnell hinter Gittern. Inzwischen aber befürworten nach einer repräsentativen Umfrage des renommierten Pew Research Centers aus Washington 54 Prozent der Ägypter die Annullierung des Friedensvertrags von Camp David. Auf die Gasleitung nach Israel im Sinai wurden bereits zwei Anschläge verübt.

Zudem herrscht auch im Umgang mit der Hamas in Kairo ein neuer Ton. Das Verhalten der ägyptischen Vermittler sei nicht mehr so einseitig wie unter Mubarak, lobte die Gaza-Delegation. Wurde sie früher in der Geheimdienstzentrale empfangen, fanden die Gespräche nun im Außenministerium statt. Und so fühlten sich die Emissäre am Nil erstmals nicht mehr primär als Sicherheitsrisiko eingestuft, sondern als diplomatischer Partner.

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