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Demokratie-Aktivisten der Organisation Campact demonstrieren für den Ex-US-Geheimdienstler Edward Snowden.

© picture alliance /dpa/Kay Nietfeld

Neue Richtlinie der EU: Europa droht den Helden des Gemeinwohls

Für "Whistleblower" wie Edward Snowden oder andere, die etwa Greenpeace TTIP-Dokumente zuspielen, sollte es Schutzregeln geben. Aber die EU-Kommission in Brüssel hat das Gegenteil vor. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Harald Schumann

Der Skandal findet in aller Öffentlichkeit statt. Schauplatz ist ein Gerichtssaal in Luxemburg. Dort müssen sich seit Dienstag vergangener Woche drei Männer gegen eine Anklage verteidigen, die es gar nicht geben dürfte. Antoine Deltour und Raphael Halet, vordem Angestellte des Berater-Konzerns Pricewaterhouse Coopers (PWC), sowie der Journalist Edouard Perin werden des Dokumentendiebstahls und des Verrats von Geschäftsgeheimnissen beschuldigt.

Gemeinsam hatten die drei Franzosen ans Licht gebracht, was 2014 als „LuxLeaks“-Affäre europaweit für Empörung sorgte. PWC hatte im Namen von mehr als 300 internationalen Konzernen geheime Deals mit der luxemburgischen Steuerbehörde vereinbart, die es den Unternehmen erlaubten, Milliardengewinne steuerfrei zu kassieren.

Antoine Deltour erhielt den Europäischen Bürgerpreis

Die mutige Tat machte Deltour und seine Helfer zu Helden des europäischen Gemeinwohls. Erst seitdem geht die EU-Kommission gegen Luxemburg und Irland wegen verbotener Staatsbeihilfen vor. Es ist Deltours Verdienst, dass die EU-Staaten künftig derlei Steuerabsprachen den Finanzbehörden der anderen EU-Länder mitteilen müssen. Nur weil er Alarm schlug, richtete das EU-Parlament einen bis heute laufenden Untersuchungsausschuss ein, der Licht ins Dunkel des europäischen Steuerwettbewerbs bringt. Die Straßburger Parlamentarier verliehen Deltour darum sogar den Europäischen Bürgerpreis.

Das sollte eigentlich Anlass genug sein, solchen Aufrechten, die aus Gewissengründen Missstände publik machen, rechtlichen Schutz vor Verfolgung zu sichern, anstatt sie wie nun in Luxemburg mit Haftstrafen und ruinösen Schadenersatzforderungen zu bedrohen. Völlig unverständlich ist daher die jüngst erfolgte Zustimmung des Europäischen Parlaments zu einem Gesetz, das genau das Gegenteil bewirken wird – die „Richtlinie zum Schutz von Geschäftsgeheimnissen vor rechtswidriger Offenlegung“. Dabei geht es eigentlich um die Abwehr von Industriespionage. Wer „vertrauliches Know-how und Geschäftsinformationen“ verkauft oder weitergibt, dem sollen strenge Strafen und extrem hohe Zahlungen für Schadensersatz drohen. Vertraulich sind aber selbstverständlich auch Informationen über das Fehlverhalten von Unternehmen und ihren Managern.

Darum forderten Journalistenverbände und Gewerkschaften, „Whistleblower“ wie Deltour, also Mitarbeiter, die ohne eigenes wirtschaftliches Interesse Missetaten ihrer Unternehmen aufdecken, von der Strafandrohung auszunehmen. Formal kamen die europäischen Gesetzgeber dem auch nach. Doch bei der Formulierung des entsprechenden Artikels leistete die Industrielobby ganze Arbeit, und mit Ausnahme der Grünen und Linken gingen ihr vier Fünftel der EU-Parlamentarier auf den Leim.

Und was ist, wenn ein Vorgang zwar legal, aber keineswegs legitim ist?

Da heißt es nun zwar, eine Weitergabe von Geheimnissen solle nicht verfolgt werden, wenn sie „zur Aufdeckung eines Fehlverhaltens oder einer illegalen Tätigkeit“ diente, und „in der Absicht“ erfolgte, „das öffentliche Interesse zu schützen“. Aber diese Wortwahl ist eine Falle und soll potenzielle Hinweisgeber abschrecken. Denn damit liegt die Beweislast bei denen, die Missstände offenlegen. Nicht das Unternehmen muss belegen, dass ihm das Recht zur Geheimhaltung zustand, sondern, „der Beklagte“ muss beweisen, dass er „im öffentlichen Interesse“ handelte.

Aber wer legt das fest? Und was ist, wenn ein Vorgang zwar legal, aber keineswegs legitim ist?

Die jetzt von Greenpeace veröffentlichten Papiere zum Verhandlungsstand über das transatlantische De-Regulierungsabkommen TTIP demonstrieren einen solchen Fall par excellence. Deren Geheimhaltung ist gewiss legal, aber ganz sicher nicht berechtigt. Denn das diente nur dazu, Kritiker auszusperren und den demokratischen Diskurs zu behindern. Gut möglich, dass der Urheber dieses „leaks“ Mitarbeiter einer der vielen Lobbyagenturen war, die für die interessierte Industrie an den Verhandlungen beteiligt sind. Wie sollte dieser Whistleblower vor Gericht belegen, dass er besser als die verantwortlichen Regierungen weiß, was das öffentliche Interesse ist? 

Auch Deltour stand vor genau diesem Dilemma. Zum Zeitpunkt der Veröffentlichung, sagte er, musste er annehmen, die schädlichen Steuerdeals seien legal. Hätte die neue Richtlinie schon gegolten, hätten die LuxLeaks also vermutlich gar nicht stattgefunden. Nach dem gleichen Prinzip wäre es sogar strafbar, wenn Angestellte von Handelskonzernen wie KiK oder Primark interne Informationen über die Ausbeuterpraktiken von deren asiatischen Herstellern veröffentlichen. Nicht besser erginge es Volkswagen- und Mercedes-Mitarbeitern, die offenlegen, wie die Behörden es duldeten, dass die Abgaswerte manipuliert wurden.

Trotzdem ist der gesetzgeberische Unfug aus Brüssel wohl nicht mehr aufzuhalten. Umso dringender wäre, dass die nationalen Parlamente und auch der Bundestag bei der Umsetzung ins nationale Recht beschließen, was längst überfällig ist: Klare Schutzregeln für Whistleblower. Helden wie Deltour nützen der Gesellschaft mehr als so mancher Bundesverdienstkreuzträger. Sie gehören belohnt, nicht bestraft.

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