zum Hauptinhalt

Politik: Neue Sachlichkeit

Von Werner van Bebber

So schnell kann das gehen – nach so viel Streit. Ganz ohne ideologische Scharmützel haben sich die Innenminister auf ein Verfahren zur Einbürgerung geeinigt.Wer deutscher Staatsangehöriger werden will, soll sich mit der Rechts- und Werteordnung seines neuen Heimatlandes befassen, mit der Sprache überdies – und er soll beweisen, dass er sich um beides bemüht hat. Das ist nicht zu viel verlangt.

Erstaunlich, dass den Innenministern derart still und rasch ein Kompromiss gelungen ist. Während des jahrelangen Streits über das Zuwanderungsgesetz standen Vorurteile einer vernünftigen Einwanderungsregelung im Weg. Politiker von SPD und Grünen taten so, als müssten alle begreifen, dass Offenherzigkeit entscheidend sei; dann komme alles andere von alleine. Auf Seiten der Union kamen manche mit der Leitkultur, andere mit nationalkonservativen Befürchtungen. Heraus kam ein Gesetz, das offene Fragen über das Einwanderungsland Deutschland bloß technisch beantwortet hat, aber nicht politisch.

Deshalb gab es bei allen möglichen Streitereien der letzten Jahre immer eine Ausländerkomponente, und meistens war es eine Muslim-Komponente. Doch war es richtig und wichtig, darüber zu rechten, ob eine beamtete Lehrerin mit Kopftuch Kinder unterrichten darf. Man redet heute offen darüber, warum vor allem junge Männer aus Migrantenfamilien schnell mit Rohheitsdelikten bei der Hand sind. Der so genannte Ehrenmord an der jungen Berlinerin Hatun Sürücü ist zu einem Politikum geworden. Und es gehört zu den Debatten über die Qualität deutscher Schulen inzwischen der Hinweis auf die Bedeutung von Sprachkenntnissen – und darauf, dass viele Kinder aus Migrantenfamilien zu wenig gefördert werden. Noch vor ein paar Monaten zuckten die Linken wie die Konservativen in den gewohnten Reflexen, als der baden-württembergische Innenminister seinen arg gesinnungsprüferischen Muslim-Fragebogen vorlegte. Die Linken fürchteten um die Einwanderungschancen anatolischer Patriarchen. Die Konservativen erweckten den Eindruck, als müsse man jeden, der den deutschen Pass haben will, auf seine liberale Einstellung zur Homosexualität festlegen.

Entscheidend an all diesen Debatten ist, dass sie einigermaßen ehrlich geführt werden. Die Streitereien über die Größe der Gegensätze und die kulturellen Unterschiede waren nötig, um endlich zur Sache zu kommen. Denn alle, die an der langsamen Entstehung der deutschen Einwanderungsgesellschaft beteiligt waren und sind, haben Fehler gemacht und Versäumnisse zu verantworten.

Die Innenminister haben auf dem Weg nach Garmisch-Partenkirchen die Barrikaden weggeräumt. Das dürfte dem Pragmatismus geschuldet sein, der das deutlichste Markenzeichen der großen Koalition zu sein scheint. In der Einwanderungspolitik ist dieser Pragmatismus wünschenswert. Die Integration von jährlich 127 000 Ausländern kann nur nach einem Motto funktionieren, das auch vielen Deutschen nicht mehr ohne weiteres einleuchtet – fördern und fordern. Anders gesagt: Wer die Rechte eines deutschen Staatsbürgers will – einschließlich des Rechts, notfalls die Solidargemeinschaft in Anspruch nehmen zu können –, der soll erst mal zeigen, dass er es ernst meint mit diesem Land.

Mag sein, dass der Einbürgerungskurs und der Sprachnachweis manchem Inländer noch immer zu viel an Zumutung sind. In Amerika, so argumentieren jetzt viele, sei alles viel leichter für Einwanderer, gerade für solche aus muslimischen Ländern. Dazu gehört die simple Wahrheit, dass Amerika von seinen Einwanderern die Fähigkeit erwartet, sich um sich selbst zu kümmern, vielleicht eher mit drei als mit zwei Jobs pro Person.

Zur simplen Wahrheit von Garmisch-Partenkirchen gehört, dass mit dem Einwanderungsbeschluss nur das eine – kleinere – gesellschaftliche Problem gelöst ist. Das größere liegt in der Integration derer, die hier sind und sich mit der Mehrheitsgesellschaft schwer tun; so schwer, wie diese sich mit ihnen tut. Da haben die Innenminister immerhin eine Stilvorgabe gemacht: Nur pragmatisch kommt man weiter.

-

Zur Startseite