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Politologe Hilal Khashan: „Niemand will den Sturz des Assad-Regimes“

Der Politologe Hilal Khashan über die Hintergründe der Proteste in Syrien – und das Machtgefüge, das den Staat zusammenhält.

Professor Khashan, was spielt sich derzeit in Syrien ab, eine Bewegung für Demokratie, ein Aufstand oder eine Revolution?

Um es gleich vorwegzunehmen: Ich glaube nicht, dass das syrische Regime kollabieren wird. Niemand will das, weder seine Nachbarn, Israel eingeschlossen, noch die USA. Das Regime hat auf die Forderungen der Demonstranten dumm reagiert. Die Menschen verlangten nicht mehr als Frieden und nationale Einheit, keine grundlegenden politischen Veränderungen, sondern weniger Korruption, mehr Transparenz und die Entlassung von ein paar brutalen Offiziellen. Aber statt einige Konzessionen zu machen, hat Präsident Assad mit scharfer Munition und der Drohung, einen religiösen Bürgerkrieg anzustiften, reagiert.

Das Regime macht ausländische Kräfte für die Gewalt verantwortlich. Wer schießt wirklich?

Syrien wird von einem ausgeklügelten Sicherheitsapparat regiert. Das Regime weiß genau, wer Waffen hat. Alle sprechen von einer bewaffneten Miliz oder Gangstern. Diese Gangster sind Agenten des Regimes. Das Regime benutzt sie, um auf die Demonstranten und die Armee zu schießen und dann zu sagen, die Demonstranten attackieren uns. Das ist keine Demokratiebewegung, sondern eine Konspiration gegen Syrien, die wir niederschlagen müssen. So wird von den wirklichen Themen abgelenkt.

Es begann mit gewalttätigen Auseinandersetzungen in Daraa und Banias, an andern Orten geschah zunächst wenig. Warum diese Unterschiede?

Die tödlichen Demonstrationen waren bisher vorwiegend in peripheren, ländlichen Gegenden. Die großen Städte wie Damaskus und Aleppo, wo die syrische Wirtschaftsklasse zu Hause ist, haben die Proteste noch nicht wirklich erreicht. Seit den frühen Tagen von Assads Vaters Hafis gab es eine Allianz der regierenden Aleviten (Religionsgemeinschaft, die aus dem schiitischen Islam hervorgegangen ist A. d. R.) mit der sunnitischen Wirtschaftsklasse. Der Deal heißt, ihr werdet reich und wir Aleviten machen Politik. Deshalb zögern viele Leute in den Städten mitzumachen. Sie profitieren von diesem Regime und haben Angst vor religiösen Auseinandersetzungen. Außerdem sehen sie an den hunderttausenden irakischen Flüchtlingen in ihren Städten, welche Not die Flucht nach einem Religionskrieg mit sich bringt. Das soll sich in Syrien nicht wiederholen.

Jetzt haben sich auch Studenten den Protesten angeschlossen. Ist das eine gefährliche Eskalation?

Die Proteste in Daraa und Banias waren der Funkte, der sich in der Zwischenzeit entzündet hat. Die Frage ist jetzt, ob das Regime in der Lage ist, dieses Feuer zu löschen oder ob es im Gegenteil Öl ins Feuer gießt. Ich befürchte, das Regime ist nicht intelligent genug, die Krise zu entschärfen.

Mit jedem weiteren Toten steigt doch die Sympathie für die Demonstranten?

Es könnte tatsächlich geschehen, dass der Tod etwas Gewöhnliches, Normales geworden ist. Das Regime lehrt die Menschen, sich vor dem Tod nicht mehr zu fürchten.

Über Syrien wird in den internationalen Medien weniger berichtet als über Libyen oder Ägypten. Ist das nur, weil Damaskus die ausländischen Journalisten fernhält oder auch weil Länder wie Saudi-Arabien und Katar, die wichtige Satellitenkanäle finanzieren, kein Interesse haben?

Tatsächlich konzentriert sich etwa Al Dschasira auf Jemen, Libyen und Ägypten. Über Syrien wird zwar berichtet, man versucht aber nicht, die Leute zu den Demonstrationen zu trommeln. Die arabischen Länder haben kein Interesse daran, dass die Lage in Syrien eskaliert. Sie fürchten, ein schiitisch-sunnitischer Krieg in Syrien könnte das Vorspiel zu einem schiitisch-sunnitischen Krieg am Golf sein.

Welche Rolle spielt der verbündete Iran?

Iran wird alles tun, um Assads Sturz zu verhindern. Syrien ist für das iranische Regime wie die Lunge zum Atmen. Syrien schafft es aber auch allein. Das hat Hafis al Assad schon 1982 mit der Niederschlagung des Aufstandes in Hama bewiesen. Das Regime ist in der Lage, den Deckel auf den Ereignissen zu halten.

Seither hat sich die Welt verändert. Die internationale Gemeinschaft würde doch nicht einfach 20.000 Tote hinnehmen.

So weit wird es nicht kommen. Aber die Zahl der Toten ist jetzt schon höher als in Tunesien und Ägypten zusammen. US-Außenministerin Hillary Clinton hat außerdem klargestellt, dass es einen Einsatz wie in Libyen in Syrien nicht geben wird. Die westliche Intervention in Libyen stärkt deshalb Assads Macht, genauso wie 2003 die britisch-amerikanische Invasion des Iraks Assads Macht gestärkt hat. Die USA lieben Assad nicht. Sie handeln nach dem Sprichwort, der Feind, den man kennt, ist besser als der Feind, den man nicht kennt. Niemand weiß, wer ihm folgen sollte.

Hilal Khashan ist Professor für Politische Wissenschaften an der Amerikanischen Universität in Beirut. Mit ihm sprach Astrid Frefel.

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