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Nordrhein-Westfalen: Mit welcher Bilanz geht Hannelore Kraft in die Neuwahlen?

Der Düsseldorfer Landtag ist aufgelöst. Mit der Rückschau gibt man sich kaum noch ab. Dabei ist doch gerade Bilanz der rot-grünen Minderheitsregierung wesentlich dafür, wem die Bürger ihre Stimme geben werden.

Am Tag zwei nach der überraschenden Neuwahlentscheidung blicken in Nordrhein-Westfalen alle schon nach vorn – ein kurzer, intensiver Wahlkampf ist zu organisieren.

Was hat Hannelore Kraft in den vergangenen zwei Jahren für das Land erreicht?

Sie hat etliche Projekte ihres Vorgängers Jürgen Rüttgers (CDU) rückabgewickelt: Sie hat die Studiengebühren gestrichen, das dritte Kindergartenjahr kostenfrei gestellt und die Mitbestimmung im öffentlichen Dienst wieder so verbessert, dass die Gewerkschaften die Wahlauseinandersetzung mindestens freundlich begleiten werden. „Das ist gut angelegtes Geld für den Wirtschaftsstandort Nordrhein-Westfalen“, heißt das in ihren Worten, wo ihr Herausforderer Norbert Röttgen (CDU) mit abstrakten Schuldenzahlen argumentiert. Treibt man die Ministerpräsidentin ganz in diese Ecke, zitiert sie am Ende die Freidemokraten, mit denen sie in aussichtsreichen Gesprächen über eine Zustimmung war: „Lesen Sie doch mal die Interviews des freidemokratischen Fraktionschefs Papke nach, der hat uns das doch bestätigt.“

Neben dem Haushaltsthema bleiben der Opposition nur noch wenige Angriffsflächen. Der historische Schulkompromiss hat das über Jahrzehnte schwelende Streitthema zwischen SPD und CDU aus den Schlagzeilen gedrängt, die Union wird damit kaum mehr punkten können. Auf der anderen Seite kann Hannelore Kraft auch nur begrenzt harte Erfolge präsentieren, und sie weiß es. „Es gibt noch viel zu tun“, dreht sie dieses Argument allerdings um und macht das auf genau die Art, die ihr in den zurückliegenden zwei Jahren Respekt und Anerkennung eingebracht hat.

Welches Ansehen hat sie?

Anfangs wurde sie sowohl in Berlin, aber auch in mancher Führungsetage der großen Unternehmen eher belächelt. Diesen Fehler macht heute niemand mehr. Sie hat sich in dieser Männerwelt mit jener Härte durchgesetzt, die engere Mitarbeiter längst kennen und wissen, was die „Chefin“ will. Dass sie nach außen herzlich und offen auf normale Menschen zugehen kann und die das nicht als Anbiederung verstehen, hat ihr öffentliches Bild maßgeblich geprägt. „Ich steh für klare Kante“, heißt das in ihren Worten, nicht selten fällt sie dabei in den typischen Tonfall des Ruhrgebiets.

Können die Schulden Nordrhein-Westfalens die SPD-Spitzenkandidatin noch in Bedrängnis bringen?

Norbert Röttgen hatte am Tag der Entscheidung in Düsseldorf einen netten Coup gelandet, der für einige Stunden unter den zahlreichen Verschwörungstheoretikern für Gesprächsstoff sorgte. Noch bevor im Landtag die Auflösung formal beschlossen war, hatte der christdemokratische Parteivorsitzende ein großflächiges Wahlplakat vor das Parlament geschoben und sich werbewirksam in Szene gesetzt. „Sie haben die Wahl – Schuldenstaat oder Zukunft für unsere Kinder“, prangte dort in großen Lettern und sollte als Hauptbotschaft für die kommenden Wochen gesetzt werden. Weil der Jurist im Landtag, der mit seinem Vermerk den Sturz der Minderheitsregierung verursacht hat, der CDU angehört, munkelten nicht wenige, die Partei Röttgens habe vorzeitig davon gewusst und sich entsprechend mit dem Plakat vorbereitet. Oliver Wittke, Röttgens Generalsekretär mit der schönen Selbstbeschreibung „ich bin schnell“, nahm entsprechenden Gerüchten aber schnell den Wind aus den Segeln. Die Düsseldorfer Christdemokraten haben das entsprechende Plakat schlicht aus dem Keller der Parteizentrale geholt, wo es noch immer lag, weil sie es im vergangenen Jahr schon einmal benutzt haben.

Mit dem Slogan haben sie freilich den inhaltlichen Takt vorgegeben, nach dem sie Hannelore Kraft in Schwierigkeiten bringen wollen. „Sie ist und bleibt die Schuldenkönigin Deutschlands, die als Einzige aus Griechenland nichts gelernt hat“, ruft Norbert Röttgen in jedes Mikrofon, das ihm in den Weg gehalten wird. Er gibt sich überzeugt, dass dieses Thema beim Publikum verfängt und seine eher bescheidene Ausgangsposition verbessern hilft, denn auch die jüngsten demoskopischen Ergebnisse sehen erstens die Sozialdemokraten vor der CDU und zweitens eine stabile Mehrheit für rot-grün.

Ob das Schuldenthema am Ende wirklich so ziehen wird, wie sich das christdemokratische Strategen fix ausgedacht haben, bezweifeln viele in Düsseldorf. Hannelore Kraft reagierte betont gelassen auf die entsprechenden Anwürfe. „Schauen Sie sich doch die Neuverschuldung im Bund und in NRW an: Hier sinkt sie, in Berlin legen CDU und FDP noch zu“, rechnet sie vor und hat gleich weitere Zahlen parat, die belegen sollen, dass im größten Bundesland pro Kopf so wenig wie nirgendwo sonst ausgegeben wird. Wem das noch nicht reicht, den erinnert sie daran, dass Schwarz-Gelb trotz sprudelnder Steuereinnahmen zwischen 2005 und 2010 deutlich mehr als 20 Milliarden an neuen Schulden angehäuft und sie eine Last von 130 Milliarden an Verbindlichkeiten übernommen hat.

Weil sie inzwischen weiß, dass man das Publikum nicht mit zu vielen Zahlen langweilen darf, schaltet sie bei dem Thema ohnehin schnell um und versucht die offensive Variante. „Wir brauchen den Dreiklang aus Sparen, Investieren und sozialer Gerechtigkeit“, um anschließend lange darüber zu reden, dass sie „kein Kind mehr verloren geben will“.

Wird Kraft die erste SPD-Kanzlerin?

Dass ihr der eine oder andere in der eigenen Partei selbst die Kanzlerkandidatur zutraut, hat Kraft mit einer Mischung aus Eitelkeit und Kopfschütteln beobachtet. Natürlich hat es ihr, der früher innerparteilich eher belächelten „Halbtagskraft“ gutgetan, für dieses Amt gehandelt zu werden; die fast hundertprozentige Zustimmung als Stellvertreterin von Sigmar Gabriel hat sie auch erfreut. Aber jenseits der Koketterie hat sie das nicht wirklich ernst genommen. „Mein Platz ist hier in Nordrhein-Westfalen, da gibt es keine Hintertür“, sagt sie eindeutig und fügt dann noch hinzu: „Wir haben einige Projekte auf den Weg gebracht, da hänge ich mit Herzblut dran, die möchte ich fertig machen.“

Dass sie freilich im Falle eines fulminanten Abschneidens in NRW ein gewichtiges Wort mitreden wird bei der Kandidatensuche in ihrer Partei, ist klar. Wie sehr sie inzwischen politischer Profi ist, erkennt man daran, wie sich sich über die bohrenden Fragen an ihren Herausforderer amüsiert. Röttgen hat alle Mühe, die Frage zu beantworten, warum er bei einer Wahlniederlage in Berlin bleiben wird.

Wie geht es jetzt in NRW weiter?

Im Moment telefonieren alle Parteimanager viel, sie müssen jeweils die geeignete Halle für die Parteikonvente organisieren und dann auch noch den Gliederungen dabei helfen, die Kandidaten für die Wahl formal korrekt aufzustellen, ohne gegen Fristen zu verstoßen. „Das ist ein enger Zeitplan“, sagt Hannelore Kraft, und darin stimmt Herausforderer Norbert Röttgen der Ministerpräsidentin ausnahmsweise sogar zu.

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