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Nordseekrabben-Kartell: Im Netz der Händler

Nordseekrabben sind kleine Tiere. Doch der Preiskampf auf dem Krabbenmarkt ist alles andere als niedlich. Ein Kartellbruder packt aus – und die Fischer fangen an, sich zu wehren.

Die „Columbus“ liegt im Hafen der Nordseeinsel Pellworm. Viel Wasser hat sie an diesem Samstagmittag nicht unter dem Kiel, es ist Ebbe und der Hafen leergelaufen. Jan Ohrt stapelt im Führerhaus Proviant: Cornflakes, Nutella, Bananen – zwei bis drei Tage und Nächte wird der Krabbenfischer mit seinem Bruder auf See sein. „Ich bin Fischer, ich will fischen und sonst nichts“, sagt er und grinst. Seine Lippen sind vom Salzwasser aufgesprungen. Er freut sich aufs Meer. Manchmal arbeitet er 80 Stunden pro Woche, hört die Maschinen und den Wind heulen, hat seine Ruhe vor der Welt. Seit kurzem will der 35-Jährige allerdings noch etwas anderes: Aufsichtsrat werden.

Schon der Uropa von Jan Ohrt fischte Nordseekrabben vor Pellworm. Die kleinen Kutter im Inselhafen sind bis heute ein Postkartenmotiv. Doch für die Fischer hat sich seit damals viel verändert, der Wettbewerb ist hart geworden. In diesem Herbst hat Ohrt eine Erzeugerorganisation mitgegründet, mit 120 Mitgliedern soll sie der größte Krabbenfischerzusammenschluss Deutschlands werden. Die Fischer wollen mehr Macht. Denn auf dem wenig reglementierten Krabbenmarkt herrscht zwar ein offener Wettbewerb zwischen Fischern, doch auf Händlerseite kontrollieren zwei niederländische Unternehmen 80 Prozent des Marktes in Deutschland, Holland, Belgien und Frankreich. Gegen vier Händler ermittelt die EU wegen Kartellverdachts.

Wenn die Ohrt-Brüder auf See sind, sitzt jeder Handgriff. Die Krabben werden etwa einmal pro Stunde in Netzen an Bord geholt. Was zu groß, zu klein oder ein Fisch ist, wird ausgesiebt. Dann kochen sie die Krabben noch an Bord und packen sie in den Kühlraum. Frühmorgens am Hafen haben sie ihrer Mutter eine Kiste für den Pellwormer Wochenmarkt gegeben und den Rest der gefischten 700 Kilo zum Festland gebracht. Dort wartete schon der Laster der Händler. Am nächsten Freitag wird Ohrt dann per Fax erfahren, wie viel der Händler für die Fänge der Woche pro Kilo zahlt.

In den meisten Fischereisparten gibt es Mengenbegrenzungen, um Überfischung zu verhindern. Krabben aber gibt es immer genug. Das ist Fluch und Segen zugleich. Denn insgesamt braucht der Markt nur ungefähr 33000 Tonnen Krabben pro Jahr. Wenn mehr gefischt wird, fallen die Preise – so erklären die Händler den harten Wettbewerb. Die Fischer sagen: Die Händler drücken uns, wenn es ihnen gerade passt. Es sei so unmöglich, das Einkommen eines Jahres zu kalkulieren.

2012 war zum Beispiel ein Rekordjahr, gute Fänge und trotzdem hohe Preise. „Wir haben im Vergleich zum letzten Jahr das Doppelte verdient“, sagt Ohrt. Denn 2011 wiederum sei ein Horrorjahr für deutsche Krabbenfischer gewesen. Die Preise lagen lange bei nur 1,30 Euro pro Kilo, laut EU-Studien ist das Fischen ab einem Durchschnittspreis von drei Euro pro Kilo wirtschaftlich. Über die Ursachen des starken Preisverfalls wird in der Branche nur spekuliert. Viele vermuten explizite Absprachen unter den Händlern.

Ein Kartellant zeigt sich an

Dass es ein Händlerkartell gibt oder zumindest gab, behauptet auch einer, der es wissen muss. Vor sechs Jahren erstattete einer der beiden großen holländischen Krabbenhändler, das Unternehmen mit dem schönen Namen Klaas Puul, Selbstanzeige bei der EU-Kartellbehörde. „Wir wollten bei den Absprachen nicht mehr mitmachen“, begründet Cees Machielsen, Einkaufsleiter bei Klaas Puul, diesen Schritt. Die EU-Kommission durchsuchte daraufhin 2009 einige Händler. Im Juli 2012 wurde das Verfahren offiziell eröffnet, vier verdächtige Unternehmen angeschrieben. Klaas Puul muss aufgrund der Strafverschonung für Kronzeugen keine Bußgelder mehr fürchten.

Wie das Kartell genau arbeitete, will Machielsen nicht verraten. „Alle Unterlagen hat jetzt die EU-Kommission“, sagt er. Und auch der zweite holländische Branchenriese Heiploeg äußert sich bisher nicht zu den Vorwürfen seines Konkurrenten gegen die Branche. Von anderen Händlern heißt es, die EU-Kommission ermittle vor allem aufgrund hoher Verbraucherpreise und nicht primär wegen Preisdrückerei gegenüber Fischern. Das werde aus dem EU-Schreiben ersichtlich. Unter den Fischern aber wundern sich nicht wenige, warum dann die Faxe verschiedener Händler, die freitags bei den Fischern eingehen, seit Jahren schon nahezu identisch seien.

Auch beim Preissturz 2011 blieb die Standardantwort der Händler gegenüber den Fischern: Ihr fischt zu viel. Man werde die vielen Krabben nicht los. In ihrer Not beschlossen die Fischer zu streiken. Sie blieben im Hafen, vier Wochen lang. Für Ohrt und seine Kollegen eine furchtbare Zeit. Als einige Schiffe dennoch ausliefen, kam es zu Prügeleien, wurden Krabben ins Hafenbecken gekippt. „Da hatten alle Existenzangst“, sagt Ohrt. Irgendwann stiegen die Preise dann wieder, der Streik wurde beendet. Der Wunsch blieb: Sich gegen die Ohnmacht zu solidarisieren. Ohrt sagt: „Wir können doch nur gewinnen.“

Solidarität ist harte Arbeit

Momentan endet das Geschäft der Fischer im Hafen. „Sie haben eigentlich nicht mehr Einfluss als Kaffeebauern in Afrika“, sagt Philipp Oberdörffer von der Landwirtschaftskammer Niedersachsen, die die Gründung der neuen „Erzeugerorganisation deutscher Krabbenfischer“ fördert. Schon heute sind zwar rund 75 Prozent der Fischer in solchen Zusammenschlüssen organisiert. Es ist die Aufgabe der Organisationen, intern Mengenbeschränkungen durchzusetzen und so die Preise stabil zu halten. Doch die einzelnen Organisationen sind klein und seit Jahrzehnten zerstritten. „Fischer sind eben ein bisschen schwierig“, sagt auch Dirk Sander, Chef der bisher größten Genossenschaft Weser-Ems und jetzt Pressesprecher der neuen Organisation.

„Theoretisch müsste man sich, um richtig effektiv zu sein, auch mit den Holländern und Dänen zusammenschließen“, sagt Sander. Diese haben ebenfalls große Fangflotten. Aber damit sind die Fischer bereits einmal schwer gescheitert. In den neunziger Jahren gab es einen Fischerzusammenschluss über die Nationengrenzen hinaus. Gemeinsam einigte man sich mit Händlern auf feste Mengen und fixe Preise. Obwohl das Ganze politisch gefördert wurde, rief es die holländische Kartellbehörde auf den Plan. Als die Absprachen so weit führten, dass ein neuer Händler vom Markt gedrängt wurde, hatten die Wettbewerbshüter genug. In einem Kartellverfahren, das sich bis 2011 hinzog, wurden die beteiligten Fischer und Händler zu einem Bußgeld in Millionenhöhe verdonnert. Die Händler zahlten, die beteiligten Erzeugerorganisationen dagegen gingen pleite. Dirk Sanders Organisation Weser-Ems besteht nur noch auf dem Papier, der insolvente Zusammenschluss hat noch mehr als 200 000 Euro Schulden.

Bei der Neugründung soll es anders laufen. Die nationale Vereinigung will an anderer Stelle angreifen: bei der Verarbeitung. Derzeit nehmen die Händler den Fischern an der Hafenkante alle Arbeit ab, damit aber auch alle Kontrolle. Die Unternehmen sieben die Krabben zum Beispiel noch einmal. Jene, die eine bestimmte Mindestgröße nicht erreichen, werden vernichtet. Offiziell. Viele Fischer vermuten, dass einige Unternehmen falsch sieben und den aussortierten Teil der Krabben nicht wegwerfen, sondern verwenden. Das Selbstsieben soll der Anfang sein. Später – so der Traum – wollen sie dann irgendwann bis hin zum Verkauf mitmischen. Doch da gibt es noch einige Hindernisse.

Jan Ohrt sitzt auf der Terrasse seines Elternhauses. Vor sich hat er einen Teller mit Nordseekrabben. Zum Pulen einer Krabbe braucht er knapp drei Sekunden. Am Schwanz anfassen, drehen, auseinanderziehen. Er macht das aber auch schon sein Leben lang. Wer es selbst mal versucht, versteht, wieso 90 Prozent gepult verkauft werden. Aus drei Kilo Krabben werden dabei ein Kilo Fleisch. Die großen Schälzentren sind komplett in Händlerhand und weit weg von den heimatlichen Häfen. Größtenteils sind sie in Marokko. Trotz des Transports rechnet sich das, Handarbeit ist dort einfach viel billiger. 2500 Frauen arbeiten allein im Schälzentrum von Klaas Puul in Tanger, bei Heiploeg in Tetouan sind es 1400. An diesen Zentren führt bisher kein Weg vorbei, das zementiert die Macht der Händler. Selbst in den kleinen Fischrestaurants auf Pellworm, keine zwei Kilometer vom Hafen entfernt, prangt auf der Krabbenspeisekarte ein kleines Sternchen: Achtung Konservierungsmittel. Sieben bis zehn Tage waren sie unterwegs.

Bis Dezember sollen die 120 Fischer der neuen Genossenschaft Gesellschafter werden und die Aufsichtsräte wählen. Einer von ihnen wird Jan Ohrt sein. Am Sonntag aber fahren er und sein Bruder erst mal wieder raus aufs Meer. Sind mindestens bis zum nächsten Tag Fischer – sonst nichts.

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