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Die Ausschussvorsitzende Dorothea Marx (links) übergibt der Landtagspräsidentin Birgit Diezel den Abschlussbericht des Thüringer NSU-Untersuchungsausschuses.

© dpa

NSU: Ausschuss in Erfurt sieht Indizien gegen "Suizidthese"

Der NSU-Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags legt seinen Abschlussbericht vor - darin werden auch Zweifel an der These vom Suizid der beiden mutmaßlichen NSU-Mörder Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos geäußert.

Dorothea Marx hat zweieinhalb Jahre den Untersuchungsausschuss des Thüringer Landtags geleitet, der die Vorgänge um die mutmaßlichen NSU-Rechtsterroristen klären sollte. 1998 wurden bei den Jenaer Neonazis Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe 1,4 Kilogramm Sprengstoff gefunden. Das Trio konnte jedoch abtauchen. Nach den Ermittlungen der Bundesanwaltschaft gründete es im Untergrund die terroristische Vereinigung „Nationalsozialistischer Untergrund“. Der NSU soll von seinem Versteck in Sachsen aus zehn Morde, zwei Bombenanschläge und zahlreiche Banküberfälle verübt haben.

Ausschussvorsitzende Marx: Auf Thüringen lastet "schwere Schuld"

Dass die rechtsextreme Bande ihren Terrorweg in Thüringen begann, lastet nach Ansicht von Dorothea Marx als „schwere Schuld“ auf dem Land. Wenn die Sicherheitsbehörden die vielen Hinweise auf das untergetauchte Trio beachtet hätten, „wäre der Lauf der Geschichte in der Tat ein anderer gewesen“, sagt die SPD-Politikerin. Die Verbrechen hätten demnach verhindert werden können.

Der Abschlussbericht des Ausschusses, der 1896 Seiten umfasst, stellt eine Art Totalversagen der Thüringer Sicherheitsbehörden bei der Suche nach den flüchtigen Neonazis fest. Landeskriminalamt, Staatsanwaltschaft und Verfassungsschutz fahndeten jahrelang erfolglos nach ihnen. Gesucht wurden sie wegen Sprengstoffverbrechen. Die ihnen heute zugeschriebenen Morde an neun Menschen mit ausländischem Hintergrund und einer Polizistin brachten damals bundesweit die Ermittler nicht mit Rechtsterroristen in Verbindung.

"Verdacht gezielter Sabotage"

Für das Versagen in Thüringen findet der von den fünf Landtagsfraktionen einstimmig verabschiedete Abschlussbericht drastische Worte. Demnach war die Fahndung in einem „erschreckenden Ausmaß von Desinformation, fehlerhafter Organisation, Abweichungen von üblichem Vorgehen und Versäumnissen bei der Verfolgung erfolgversprechender Hinweise und Spuren durchsetzt“. Im günstigsten Fall stehe dahinter „schlichtes Desinteresse am Auffinden der drei Gesuchten“. Allerdings könne man auch „den Verdacht gezielter Sabotage und des bewussten Hintertreibens“ haben. „Ein einziges Desaster“ – so lautet das Fazit. Für die Ausschussvorsitzende Marx ist das Versagen bei der Fahndung „so etwas wie das Herzstück der Fehlleistungen“ der Behörden. Das freilich bedeutet nicht, dass der Ausschuss nach 68 Sitzungen und der Befragung von 123 Zeugen sowie Sachverständigen schon alle Vorgänge ausgeleuchtet hätte. Zwei Komplexe treiben Marx und ihre Kollegen weiter um. So gehen sie auf Distanz zur Ansicht der Bundesanwaltschaft, wonach sich Böhnhardt und Mundlos am 4. November 2011 nach einem Banküberfall in Eisenach selbst umgebracht hätten. Erst dadurch wurde der NSU überhaupt bekannt. Nach Ansicht des Ausschusses gibt es Indizien gegen die „Suizidthese“. So seien keine Rußpartikel in den Lungen von Böhnhardt und Mundlos gefunden worden, obwohl einer der beiden vor dem Selbstmord das Wohnmobil angezündet haben soll.

Warum leisteten Böhnhardt und Mundlos keine Gegenwehr?

Unverständlich erscheint dem Ausschuss auch, dass keine Gegenwehr der mutmaßlichen Terroristen erfolgte. Im Wohnmobil sei schließlich „ein ganzes Waffenarsenal sichergestellt“ worden, darunter sogar eine Handgranate. Zudem hätten sie, da sie vermutlich den Polizeifunk abhörten, vom Ende der Ringfahndung wissen und flüchten können. „Stattdessen müssten nach der Suizidthese die beiden abgewartet haben, bis man sie findet, um sich dann beim Herannahen von zwei Streifenpolizisten kampflos umzubringen“, heißt es im Abschlussbericht. Es blieben „Fragen und Widersprüche“. Das gelte im weiteren für den Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 in Heilbronn, der ebenfalls dem NSU zugerechnet wird. Wegen der offenen Fragen besteht in Thüringen weitgehend Einigkeit, nach der Landtagswahl am 14. September erneut einen NSU-Ausschuss einzusetzen. Eine schonungslose Aufklärung sei man den Opfern schuldig, heißt es.

So fordert ein Betroffener des Nagelbombenanschlags 2004 in Köln bereits Schmerzensgeld von Thüringen. Die Klage ging diese Woche beim Landgericht Erfurt ein. Der Anwalt des Opfers sieht eine "klare Schuld der Behörden, die die frühe Festnahme des Mord-Trios verhinderten".

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