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Sebastian Edathy - die Parteispitze will ihn aus der SPD werfen.

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Update

NSU-Ermittlungsfehler: Edathy attackiert Hessens Ministerpräsidenten Bouffier

Die Debatte um die Zukunft der Geheimdienste spitzt sich zu. Nun erhebt Sebastian Edathy, der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, einen schweren Vorwurf gegen Volker Bouffier - den dessen Sprecher als "Unverschämtheit" zurückweist.

Der Vorsitzende des NSU-Untersuchungsausschusses, Sebastian Edathy (SPD), fordert nun, dass der MAD seine Akten zur umstrittenen Operation "Rennsteig" offen legt. Er hatte bereits am Dienstagmorgen schwere Vorwürfe gegen den Militärischen Abschirmdienst erhoben (MAD). Der Bundestagsabgeordnete beklagte sich im ARD-„Morgenmagazin“, dass der MAD „sich weigert, dem Untersuchungsausschuss die Akten zukommen zu lassen. Das wird noch viele Diskussionen geben - so geht's jedenfalls nicht.“ Weiterhin warf er dem MAD vor, er erschwere absichtlich die Arbeit des Untersuchungsausschusses: “Ich habe schon den Eindruck, wir werden da ein bisschen behindert bei der Aufklärung“, so Edathy. Er kündigte weiterhin an, dass der Verfassungsschutz-Referatsleiter, der die umstrittenen Akten schreddern ließ, noch an diesem Donnerstag vor dem Ausschuss aussagen solle. Am Donnerstag wird auch der scheidende Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, von dem Gremium vernommen.

Doch seine Vorwürfe reichen noch weiter. Dem hessischen Ministerpräsidenten Volker Bouffier (CDU) wirft er „Verhinderung von Strafverfolgung im Amt vor“. Bouffier habe 2006 als hessischer Innenminister, so Edathy weiter, die polizeilichen Ermittlungen im Fall des in Kassel von Neonazis getöteten Halit Yozgat behindert.

Die Ermittler seien nach dem Mord am 6. April 2006 auf einen hauptamtlichen Verfassungsschutzmitarbeiter aufmerksam geworden, sagte der Ausschussvorsitzende. Eine Kooperation mit der Polizei habe der Verfassungsschutz verweigert, da es aus Sicht der Behörde „nur“ um einen Mord gegangen sei. Am Ende habe Innenminister Bouffier darüber entschieden und „es so gesehen wie die Verfassungsschützer“, betonte Edathy. Dies sei ein „drastisches Beispiel“ politischer Versäumnisse während der Mordserie der Terrorgruppe NSU. Der hessische Regierungssprecher Michael Bußer bezeichnete die Unterstellungen als Unverschämtheit.

Die Obfrau der Linken, Petra Pau, verlangte, dass auch die Frage nach der politischen Verantwortung gestellt werde. So müsse etwa geklärt werden, warum der ehemalige Bundesinnenminister Otto Schily (SPD) unmittelbar nach dem Nagelbombenanschlag in Köln im Juni 2004 erklärt habe, dass ein fremdenfeindlicher Hintergrund ausgeschlossen werden könne und wie diese Erklärung die Ermittlungen beeinflusst habe. Sie nannte es weiter einen Skandal, dass der Militärischen Abschirmdienst (MAD) seine Akten nicht herausgebe. Friedrich müsse dies bei Verteidigungsminister Thomas de Maizière (CDU) erwirken. Auch FDP-Obmann Hartfrid Wolff forderte, dem nachzugehen, ob es „eine politische Einflussnahme in Richtung der Ermittlungsergebnisse“ gegeben habe.

Unionsobmann Clemens Binninger (CDU) verlangte Aufklärung, ob die V-Leute des Verfassungsschutzes Mitläufer oder Schlüsselfiguren der NSU waren. Hans-Christian Ströbele (Grüne) forderte, der Ausschuss müsse die V-Leute oder ihre Führungsleute direkt vernehmen können. Mehrere Ausschussmitglieder schlossen weitere Rücktritte nicht aus.

Bundesinnenminister Friedrich fordert Konsequenzen

Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat indes eine grundsätzliche Überprüfung der Arbeitsweise des Verfassungsschutzes angekündigt. Man müsse prüfen, ob Aufbau und Arbeitsweise noch zeitgemäß seien, sagte der CSU-Politiker am Dienstag im Deutschlandfunk. Die Versäumnisse der Behörde bei den Ermittlungen der Neonazi-Mordserie müssten aufgeklärt werden. Vor allem die Vernichtung von Akten hätten das Vertrauen der Abgeordneten und der Öffentlichkeit erschüttert. “Es darf natürlich das, was passiert ist, nicht passieren. Deswegen muss es da auch Konsequenzen geben“, sagte Friedrich.

Im Verfassungsschutz waren unmittelbar nach Bekanntwerden der Mordserie der Zwickauer Neonazi-Zelle Akten über V-Leute unter Rechtsextremisten vernichtet worden. Als Konsequenz daraus hatte der Präsident des Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, am Montag um seine Entlassung gebeten. Friedrich sagte, das Vertrauen in den Verfassungsschutz sei erschüttert. Die Behörde sei ja nicht für sich selbst da, sondern für die Information der Abgeordneten als Vertreter der Bevölkerung. Man müsse die Vorgänge im Verfassungsschutz “ sehr kritisch anschauen“. Da gebe es Änderungsbedarf.

Video: Rücktritt von Verfassungsschutzpräsident Heinz Fromm:

Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, schlug sogar vor, „über die Abschaffung des Verfassungsschutzes nachzudenken“. Ähnlich hatte sich der Grünen-Vorsitzende Cem Özdemir geäußert. „Der Verfassungsschutz auf Bundes- und Landesebene gehört komplett auf den Prüfstand“, sagte Özdemir dem „Hamburger Abendblatt“ am Dienstagmorgen.

Vergangene Woche war bekannt geworden, dass der Verfassungsschutz unmittelbar nach Aufdeckung der Neonazi-Mordserie im November Akten zum Einsatz von V-Leuten in der rechtsextremen Szene vernichtet hatte. Zudem soll der Inlandsgeheimdienst vom italienischen Staatsschutz bereits 2003 Hinweise auf die mögliche Existenz von Terrorzellen erhalten haben. Der rechtsextremistische Hintergrund der Morde war erst nach zehn Jahren und durch Zufall bekannt geworden, als nach dem Selbstmord von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos Anfang November in der Wohnung des Zwickauer Trios die Tatwaffen und ein Bekenner-Video gefunden wurden. Beate Zschäpe, die ebenfalls dem Trio angehörte, stellte sich der Polizei. (dapd/dpa/Reuters)

Vor vier Monaten: Gedenken an die Opfer der Terrorzelle:

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