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Entzweit. Beate Zschäpe (rechts) will ihrer Verteidigerin Anja Sturm nicht einmal mehr die Hand geben. Am Dienstag geht der NSU-Prozess weiter.

© picture alliance / dpa

NSU-Prozess: Beate Zschäpe und Anja Sturm - ein kompliziertes Verhältnis

Beate Zschäpe möchte ihre Verteidigerin Anja Sturm loswerden. Nun soll sogar ein neuer Anwalt im Prozess mitmischen. Der Streit könnte den Prozess gefährden.

Von Frank Jansen

Es gibt diesen Auftritt von Anja Sturm, der sich im NSU-Prozess oft wiederholt hat. Fast auf die Minute genau, als gäbe es eine Choreografie. Die Anwältin, die Robe schon angezogen, steht im Saal A 101 des Oberlandesgerichts München gegen 9 Uhr 40 mit dem Rücken zu ihrem Tisch. Sturm schaut auf die Tür links hinten. Die geht auf, Beate Zschäpe kommt eiligen Schrittes heraus. Sturm hebt ihre Arme, die Robe weitet sich zu schwarzen Flügeln. Zschäpe taucht fast hinein, dreht sich abrupt um und bleibt stocksteif stehen. Mit dem Rücken zu den Fotografen und Fernsehleuten, im Windschatten von Anja Sturm. Bis die letzte Kamera den Saal verlassen hat.

Die Fürsorge, die Sturm oft demonstriert hat, könnte bald nicht mehr nötig sein. Die Hauptangeklagte will ihre Verteidigerin loswerden, bereits zum zweiten Mal. Im Juli 2014 hatte sie schon dem 6. Strafsenat unter Vorsitz von Richter Manfred Götzl mitteilen lassen, sie habe das Vertrauen zu Sturm, Wolfgang Heer und dem dritten Verteidiger, Wolfgang Stahl, verloren. Ein Eklat im Jahrhundertprozess um die zehn Morde und die weiteren schweren Verbrechen der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“. Richter Götzl, ein energischer Bayer mit randloser Brille, die seine strenge Mimik noch schärft, ließ jedoch Zschäpes Begründung, die sie schriftlich nachreichte, nicht gelten. In dem Papier hatte sie nur vage Unbehagen geäußert. Nun hat Zschäpe noch mal ausgeholt. Als wollte sie ihrer Verteidigerin jene Flügel stutzen, die doch die Angeklagte geschützt haben vor den Blicken der Presseleute, die Zschäpe so verachtet.

War alles umsonst?

Nun mischt offenbar ein externer Anwalt im Konflikt zwischen Beate Zschäpe und ihrer Verteidigerin mit. Nach Informationen des Tagesspiegels hat Zschäpe jetzt in einem Schreiben an das Oberlandesgericht München die „Rücksprache mit einem Anwalt“ angekündigt. Einen Namen nannte die Hauptangeklagte nicht. Vermutlich handelt es sich um einen Juristen aus Mannheim, mit dem Zschäpe bereits seit vergangenem Jahr in Kontakt steht und der sie bereits mehrmals in der JVA München besucht hat. Eine Anfrage des Tagesspiegels hat der Anwalt am Montag zunächst nicht beantwortet.

Am vergangenen Mittwoch hatte Richter Götzl, nach längeren Pausen, in einem kühlen, technischen Ton verkündet, Zschäpe habe einen „Entbindungsantrag“ gegen Verteidigerin Sturm gestellt. Leises Stöhnen im Saal. Am 209. Verhandlungstag gerät der Prozess wieder ins Stocken, womöglich sogar in Gefahr. Fast alle, die sich dieses Verfahren antun, hatten gehofft, ein Aufstand Zschäpes gegen ihre Verteidiger werde sich nicht wiederholen. Erst recht nicht jetzt, da nach mehr als zwei Jahren Prozess die großen Beweisthemen fast alle verhandelt sind – die tödlichen Anschläge der NSU-Terroristen Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt auf neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft und eine Polizistin in Heilbronn, die beiden Sprengstoffanschläge in Köln mit mehr als 20 Verletzten, der mutmaßlich von Zschäpe verursachte Brand des Wohnhauses in Zwickau. Und von den 15 Raubüberfällen, bei denen Mundlos und Böhnhardt mehr als 600 000 Euro erbeuteten, war die Hälfte der Fälle auch schon Thema. Mehr als 400 Zeugen wurden bislang gehört, manche Befragungen dauerten tagelang. Alles umsonst?

Dass Angeklagte in Terrorprozessen ihre vom Staat bezahlten Pflichtverteidiger ablehnen, ja hassen, kennt man aus den Verfahren gegen Mitglieder der Roten Armee Fraktion. Zschäpe hat allerdings ihre Anwälte lange akzeptiert. Warum die Frau auf Krawall geschaltet hat, ist kaum zu begreifen. Die knappe Begründung im Antrag gegen Sturm klingt wirr. Die Vorwürfe sind heftig, haben aber kaum Substanz. Zschäpe behauptet, Sturm habe vertrauliche „Fakten“ während der Hauptverhandlung „öffentlich erörtert“ und „wichtige Informationen“ nicht an die Co-Verteidiger weitergeleitet. Sturm komme unvorbereitet in die Hauptverhandlung und setzte sie, Zschäpe, bei Besprechungen „massiv psychisch unter Druck“. Belege? Keine. Dennoch schreibt Zschäpe, sie wolle Sturm im Gerichtssaal nicht einmal mehr die Hand geben. Zschäpe wörtlich: „Dahingehend geht gar nichts mehr“.

Sturm reagiert kühl. In einer kurzen Stellungnahme für das Gericht weist sie Zschäpes Vorwürfe zurück. Die Co-Verteidiger Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl haben am selben Tag ihre Kollegin mit eigenen, ebenfalls kurzen Erklärungen unterstützt. „Die Behauptungen von Frau Zschäpe sind für mich nicht nachvollziehbar“, bekundete Stahl. Götzl gab nun Zschäpe Gelegenheit, auf die Schreiben zu reagieren. Dafür will die Angeklagte den neuen Anwalt einschalten. Möglicherweise wird der ihr helfen, einen professionellen Schriftsatz zu formulieren. Zschäpe jedenfalls hat Richter Götzl gebeten, ihr eine Frist bis Mittwoch 15 Uhr einzuräumen. Der Richter kam dem Wunsch entgegen. Den Medien sagt Verteidigerin Anja Sturm nur, sie wolle sich zum Konflikt mit der Mandantin nicht äußern. Trotz des beleidigenden Tons, den Zschäpe anschlägt. Trotz der neuen Eskalation. Dass ihr der Handschlag verweigert wird, muss Sturm als herbe Kränkung empfunden haben.

Ein neuer Prozess wäre "der Horror"

Setzt Zschäpe darauf, Sturm psychisch zu zermürben? Und Heer und Stahl, die zu ihrer Kollegin halten, gleich mit? Würden die drei aufgeben, entnervt von dieser Mandantin, müsste die gesamte Beweisaufnahme gegen Zschäpe wiederholt werden. In einem neuen Prozess mit neuen Verteidigern. Das wäre, sagt ein Nebenklage-Anwalt, „der Horror“.

Und ginge nur Sturm, müssten sich Heer und Stahl vermutlich mit einem neuen dritten Pflichtverteidiger arrangieren. Womöglich mit jenem nun angefragten Anwalt aus Mannheim. Er hatte sie auch mehrmals in der JVA München besucht. Wäre er eher ein Mann nach Zschäpes Geschmack? Niemand weiß, welche Verteidigung ihr überhaupt vorschwebt.

Oder dreht Zschäpe durch? Gut möglich, dass sie panisch ist, weil die Bundesanwaltschaft sie der Mittäterschaft bei allen Delikten des NSU bezichtigt und eine harte Strafe droht, bis hin zu lebenslanger Haft mit besonderer Schwere der Schuld plus Sicherungsverwahrung. Da Zschäpe seit ihrer Festnahme am 8. November 2011 hartnäckig schweigt, bleibt dunkel, was sie antreibt. Die Furcht vor einer Ewigkeit im Gefängnis könnte ein Grund für sie sein, wild um sich zu schlagen. Auch wenn nach mehr als 200 Verhandlungstagen nicht sicher ist, dass Zschäpe komplett für die Vorwürfe der Anklage verurteilt wird.

Dass es daran noch Zweifel gibt, ist auch ein Verdienst von Anja Sturm, Wolfgang Heer und Wolfgang Stahl. Sie agieren defensiv, verzichten auf spektakuläre Beweisanträge, sie lassen den 6. Strafsenat mühsam nach Indizien suchen. Was also treibt Zschäpe in den Crash mit ihrer Anwältin? Und gleich zweimal?

Der Gerichtssaal des Münchener Oberlandesgerichts. In der Mitte des Bildes sehen Sie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die den Medienvertretern den Rücken zuwendet.
Der Gerichtssaal des Münchener Oberlandesgerichts. In der Mitte des Bildes sehen Sie die Hauptangeklagte Beate Zschäpe, die den Medienvertretern den Rücken zuwendet.

© dpa

Zschäpe hatte 2012 im  Ermittlungsverfahren darauf gedrängt, auch von einer Frau verteidigt zu werden. Heer und Stahl baten Sturm hinzu, die damals in einer Berliner Kanzlei tätig war und den als akribisch, aber auch cholerisch geltenden Richter Götzl bereits aus einem Islamistenprozess kannte. Zschäpe kam mit Anja Sturm offenbar gut zurecht. Trotz der offenkundigen Unterschiede zwischen beiden Frauen. Aber vielleicht ist die mentale Diskrepanz zwischen Zschäpe und Sturm auf Dauer doch zu groß.

Die Konstellation ist markant. Zschäpe, 40 Jahre alt, aus Jena stammend, gelernte Gärtnerin, in die rechte Szene abgedriftet, ist eine Verliererin Ost. Sturm, 45 Jahre, in den USA geboren, ist eine Akademikerin West. Eine elegante Erscheinung, mit Erfolg als Anwältin tätig, einst in Berlin und München, jetzt in Köln.

Zschäpe hat ihren leiblichen Vater nie kennengelernt, die Mutter wechselte oft die Männer und scheint dem Leben nicht gewachsen zu sein, erst recht nicht seit den gewaltigen Unsicherheiten nach dem Ende der DDR.

Sturm ist verheiratet und hat zwei Kinder. Zschäpe hat heute nur sich.

In den 1990er Jahren fand sie in der rechten Szene eine Ersatzfamilie und tat sich mit Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt zusammen. Zwei junge, neonazistische Hitzköpfe, die im Braunhemd herumliefen und mit Straftaten provozierten. Zschäpe wurde wohl zur Komplizin.

Zschäpe muss gemerkt haben, welche Opfer ihre Verteidigerin brachte

Im Januar 1998 taucht sie mit den Uwes ab, nachdem die Polizei in Jena eine Sprengstoffwerkstatt entdeckt hatte, in einer von Zschäpe gemieteten Garage. Die drei finden nie einen Weg zurück ins bürgerliche Leben. Zumindest Mundlos und Böhnhardt radikalisieren sich zu Terroristen. Als die Polizei ihnen am 4. November 2011 endlich auf die Spur kommt, bringen sich die beiden um. Zschäpe lebt weiter. Sie stellt sich, doch die Geschichte der fast 14 Jahre im Untergrund mit Mundlos und Böhnhardt gibt sie nicht preis. Vermutlich haben auch Sturm, Heer und Stahl nur Fragmente zu hören bekommen.

Anja Sturm hat dennoch viel Geduld für Zschäpe aufgebracht. Aber der Angeklagten ist der Unterschied der Kulturen nicht entgangen. Die Anwältin, stets apart gekleidet, Lippenstift, ist keine Verliererin. Optisch versucht Zschäpe da mitzuhalten. Sie kommt im H&M-Chic in den Saal, mit bunten, wallenden Schals, mit häufig wechselnden Frisuren. Andererseits schminkt sie sich nicht. Das Gesicht bleibt auffallend blass. Aus Trotz?

Die drei Verteidiger haben versucht, in der Hauptverhandlung ein wenig Wohlfühlatmosphäre für Zschäpe zu schaffen. Stets liegen kleine Dosen mit Pastillen auf dem Tisch, in harmonischeren Zeiten, die es auch nach dem ersten Eklat im Juli 2014 wieder gab, griffen alle zu. Und auch Zschäpe muss bemerkt haben, welche Opfer gerade Sturm für diese Verteidigung erbracht hat.

Die Anwälte von Beate Zschäpe im Gerichtssaal vor der Eröffnung der Verhandlung.
Die Anwälte von Beate Zschäpe im Gerichtssaal vor der Eröffnung der Verhandlung.

© Reuters

Schon vor Beginn des Prozesses fühlte sich Sturm in Berlin von Anwaltskollegen gemobbt. Es gab Juristen, die ihr vorhielten, man könne doch keine Rechtsextremistin verteidigen. Auch in ihrer Kanzlei geriet Sturm unter Druck. Wolfgang Heer sah die Nöte der Kollegin und bot einen Platz in seiner Kölner Kanzlei an. Sturm nahm an. Dankbar, aber auch mit der schmerzlichen Erkenntnis, dass sie ihrer Familie und sich selbst den Weggang aus Berlin zumuten musste. Sie kam dort in keiner Kanzlei mehr unter. Ein Kollege begründete seine Absage mit der flapsigen Bemerkung, die Verteidigung Zschäpes sei ein „Killermandat“.

Warum tut Sturm sich das an? Sie verweist auf die Professionalität, die ein Strafverteidiger haben muss. Und auf das Recht eines jeden Angeklagten – mag er schwierig und der Tatvorwurf noch so monströs sein – auf eine Verteidigung. Dem entspricht Sturms Verhalten im Prozess. Sie ist beherrscht, zeigt kaum Emotionen. Ab und zu formuliert sie Fragen etwas zu kompliziert. Aber es gelingt Sturm, Zeugen in die Enge zu treiben. So auch im Juli 2014.

Der Ex-Neonazi-Anführer und frühere V-Mann Tino Brandt beschreibt Zschäpe als ideologisch gefestigte Rechtsextremistin, mit „Fachwissen“ zu Szenethemen wie „Germanentum“. Wann sei denn Zschäpe mit Wissen zum Germanentum aufgefallen, fragt Sturm. Der massige Zeuge zögert. „Ich habe kein konkretes Bild vor Augen.“ Sturm bohrt weiter. Als Brandt behauptet, er habe sich in den 1990er Jahren mit Ralf Wohlleben, einem der Mitangeklagten im NSU-Prozess, über Zschäpe und ihre Rolle in der Szene unterhalten, fragt die Verteidigerin nach Details. Brandt stockt wieder. Dann sagt er halblaut, „mir ist selber kein einziges Gespräch konkret in Erinnerung“.

Zwei Stunden später lässt Zschäpe über einen Polizisten dem Strafsenat mitteilen, sie habe das Vertrauen in Sturm, Heer und Stahl verloren. Zu begreifen ist das nicht, schon gar nicht an diesem Tag, dem 128. im Prozess. Zschäpe hat offenbar ihre eigene, unzugängliche Logik.

Am Dienstag geht der Prozess weiter

So bleibt auch rätselhaft, warum die Angeklagte jetzt wieder gegen Sturm giftet. Und nur gegen sie. Es wird von Zschäpe nicht zu erfahren sein, zumindest nicht in absehbarer Zeit. Obwohl ihr das Schweigen offenbar mehr zu schaffen macht. Dem Münchner Psychiater Norbert Nedopil hat Zschäpe im März ungewöhnlich offen geschildert, wie sehr es sie belaste, das Redebedürfnis zu unterdrücken. Sie klagte über Vorwürfe und Zermürbungstaktiken der Nebenklage-Anwälte, über die ständige Beobachtung durch Journalisten, über die unverschämten Briefe eines Stalkers, der täglich auf der Zuschauertribüne in der ersten Reihe sitzt und sie anstarrt. Im Gerichtssaal gehe es zu „wie in einem Kriegsgebiet“, sagte Zschäpe.

Ein Vorwurf ging auch an die drei Verteidiger. Sie könne nicht abschalten, meinte Zschäpe, weil sie aufpassen müsse, dass ihre Anwälte wirklich in ihrem Sinne agieren. Sonst wäre es zu Fehlern gekommen. Welche, sagte sie nicht. Und warum sie weiter schweigt, ob sie einst mit den Uwes eine Art Omertà verabredet hat, blieb dem Psychiater ebenfalls verborgen. Die Verteidiger unterstützen die Schweigestrategie – angesichts von Zschäpes Sturheit bleibt ihnen wenig anderes übrig.

Nedopil hatte im Auftrag von Richter Götzl mit Zschäpe gesprochen und ein Gutachten erstellt. Götzl befürchtet, Zschäpe könnte verhandlungsunfähig werden. Sie ist in den vergangenen Monaten mehrmals erkrankt, meist litt sie unter psychosomatischen Beschwerden. Würde Zschäpe dauerhaft verhandlungsunfähig, wäre die gleiche Situation zu erwarten wie bei einem Abgang ihrer Verteidiger: Das Verfahren müsste von dem gegen die vier Mitangeklagten abgetrennt werden und später noch einmal von vorne beginnen. Es wäre eine fast schon historisch zu nennende Geduldsprobe für den Rechtsstaat.

Richter Götzl hat für kommenden Dienstag die Fortsetzung des Prozesses angekündigt. Wie es im Terminplan vorgesehen ist. Ob sich die Angeklagte dann auf auf einen Handschlag mit ihrer Verteidigerin einlässt, bleibt ungewiss. Zschäpes Launen sind ihre letzte Zuflucht. Anja Sturm wird es vermutlich aushalten. Sie sagt von sich selbst: „Ich bin eine sehr stringente Person“.

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