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Beate Zschäpe beim NSU-Prozess in München

© dpa

NSU-Prozess: Die Nachbarin, die mit Zschäpe über Sex sprach

"Sie war die Zuhörerin für meine Sorgen": Beim NSU-Prozess in München berichtet eine ehemalige Nachbarin über ihr enges Verhältnis zu Beate Zschäpe. Die allein erziehende Mutter sah Zschäpe als ihre "beste Freundin" - mit der sie sogar über ihr Sexleben sprach.

Von Frank Jansen

Die Zeugin schreit, weil sie sich unverstanden fühlt, eine Nebenklage-Anwältin schreit dazwischen, die Zeugin nehme sich heraus, „hier zu schreien“, da greift Manfred Götzl ein. Der Vorsitzende Richter des 6. Strafsenats am Oberlandesgericht München unterbricht am Dienstagvormittag die Verhandlung, „damit sich die Gemüter beruhigen“. Doch auch nach 20 Minuten Pause geht es laut weiter.

Selten hat die Vernehmung einer Zeugin im NSU-Prozess am Oberlandesgericht München derart die Gemüter bewegt wie die einer früheren Nachbarin von Beate Zschäpe in Zwickau. „Wir haben Nachrichten geguckt, weil es um meine Freundin ging, um meine beste Freundin“, ruft die arbeitslose, stämmige Frau mit weinerlicher Stimme. Die beste Freundin, das war die Hauptangeklagte Zschäpe, die jetzt kaum eine Miene verzieht. „Sie war die Zuhörerin für meine Sorgen, der Anker für mich“, sagt die Zeugin in einem derben, berlinisch-sächsischen Dialektmix. Der Auftritt der Zeugin zeigt, welche Emotionen die Erinnerung an Beate Zschäpe auslösen kann bei Leuten, die ihr nahestanden – ohne damals geahnt zu haben, dass die nette, hilfsbereite Frau von nebenan die Gefährtin von zwei Serienmördern war.

Beate Zschäpe gab sich im Haus freundlich und halbwegs offen

Die Zeugin zog im Juni 2006 in der Zwickauer Polenzstraße 2 ein. Zschäpe lebte dort seit fünf Jahren mit den kaum sichtbaren Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt im Erdgeschoss. Die beiden hatten bis April 2006 bereits neun türkisch- und griechischstämmige Migranten erschossen, zwei Sprengstoffanschläge und mehrere Banküberfälle verübt. Doch Zschäpe gab sich im Haus freundlich und halbwegs offen, wenn auch unter dem falschen Namen „Susann Dienelt“. Es gelang ihr, ein perfektes Doppelleben zu führen, ohne einen Verdacht zu erregen.

Zschäpe freundete sich mit der Nachbarin an. Für sie, allein erziehende Mutter von vier Kindern, darunter eine geistig behinderte Tochter, war es eine Wohltat, „der Lisa“, wie Zschäpes Spitzname lautete, private Probleme erzählen zu können. Bis hin zum Sexleben.

Zschäpe hörte nicht nur zu, sie gab auch Tipps, die heute zumindest makaber klingen. Als ein Sohn der Nachbarin sich mit 12, 13 Jahren in die rechte Szene näherte, habe ihm Zschäpe gesagt, er solle sich davon fernhalten, sagt die Zeugin. Zschäpe habe angedeutet, „sie habe damit auch schon zu tun gehabt“. Wie das gemeint war, erscheint unklar. Hatte Zschäpe genug von rassistischem Terror und der Täuschung argloser Nachbarn?

Die Zeugin jedenfalls erinnert sich an Zschäpe als eine Frau, die in ihrer Wohnung sang und pfiff, die Wein mitbrachte und der sie einiges zu verdanken hatte. Zschäpe habe öfter für sie und die Kinder Lebensmittel gekauft, „Pudding, Brot, Wurst, Nudeln, weil wir es nicht hatten“. Umso mehr war die Zeugin geschockt, als am 4. November 2011 die Polizei vor der Tür stand und nach Susann Dienelt fragte, die verschwunden sei. Zschäpe, die 2008 mit Mundlos und Böhnhardt in die Zwickauern Frühlingsstraße umgezogen war, hatte die Wohnung angezündet und sich abgesetzt. Stunden zuvor hatte Mundlos in Eisenach nach einem Banküberfall Böhnhardt erschossen und dann sich selbst, als sich die Polizei ihrem Wohnmobil näherte. Davon wusste die Zeugin noch nichts, als sie am nächsten Tag zur Brandruine fuhr, um zu sehen, ob ihre Freundin noch lebt. Die sie vier Tage zuvor noch getroffen hatte.

"Sie hat mich gedrückt, eine Minute, und ihr standen  Tränen in den Augen"

Da sei Zschäpe anders gewesen als sonst, sagt die Zeugin, unruhig. „Sie hat mich gedrückt, eine Minute, und ihr standen  Tränen in den Augen.“ Die Zeugin hatte den Eindruck, Zschäpe habe ihr etwas erzählen wollen, es dann aber gelassen. So bleibt offen, ob Zschäpe eine dunkle Ahnung hatte, die beiden Uwes könnten zu ihrem letzten Raubzug aufgebrochen sein.

Als am 4. November 2011 der NSU am Ende war und die Wohnung in Zwickau in Flammen stand, drückte Zschäpe einen Korb mit ihren zwei Katzen einer Frau aus der Umgebung in die Hand, verließ Zwickau und reiste vier Tage per Bahn kreuz und quer durch die Bundesrepublik. Am 8. November stellte sie sich in Jena der Polizei. Die Katzen, betont die Zeugin, „die waren wie ihre Babys“.

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