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Beate Zschäpe beim NSU-Prozess in München.

© dpa

NSU-Prozess: Hätte eine alte Dame Zschäpe entlasten können?

Beim NSU-Prozess haben die Verteidiger von Beate Zschäpe massive Kritik an der Bundesanwaltschaft und am Gericht vorgebracht. Der Vorwurf: Die Befragung einer möglichen Entlastungszeugin wurde angeblich behindert

Von Frank Jansen

Die Verteidiger von Beate Zschäpe fühlen sich unfair behandelt. Die Bundesanwaltschaft und der 6. Strafsenat des Oberlandesgerichts München haben nach Ansicht der drei Anwälte im NSU-Verfahren die Vernehmung einer alten Zeugin behindert, die zugunsten von Zschäpe hätte aussagen können. Die Verteidigung könne sich des Eindrucks nicht erwehren, es habe „kein ernsthaftes Interesse an einer umfassenden und vor allen Dingen prozessordnungsgemäßen Sachaufklärung“ gegeben, kritisierte am Dienstag Zschäpes Anwalt Wolfgang Heer in einer Erklärung im NSU-Prozess.

Heer sprach sogar von einem „irreparablen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens“ und einer Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Verteidiger monieren, sie hätten die gebrechliche Charlotte E. erst befragen können, als die Frau kaum noch ansprechbar war.

Die Rentnerin hatte in der Zwickauer Frühlingsstraße direkt neben der Wohnung von Zschäpe und den NSU-Mördern Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt gelebt. Mutmaßlich Zschäpe zündete am 4. November 2011 das Versteck der drei an, nachdem Mundlos in Eisenach Böhnhardt erschossen hatte und dann sich selbst. Bei dem Brand geriet Charlotte E. in Gefahr. In ihre Wohnung drang Rauch ein, Verwandte holten die damals 89-jährige Frau noch rechtzeitig aus dem Haus. Möglicherweise hat Zschäpe jedoch versucht, die Greisin zu warnen.

Hat Beate Zschäpe versucht, die Rentnerin zu warnen?

So sieht es jedenfalls ein Beamter der Zwickauer Polizei. Er hatte mit Zschäpe gesprochen, nachdem sie sich am 8. November 2011 in  Jena gestellt hatte. Drei Tage später vernahm der Beamte auch Charlotte E. Und er vermerkte handschriftlich, er gehe davon aus, Zschäpe habe bei Charlotte E. geklingelt. Der Polizist regte bei den Kollegen des Bundeskriminalamts an, die Rentnerin solle „als Entlastungszeugin vernommen werden“.

Das ist für Zschäpes Verteidigung ein wichtiges Detail, immerhin wirft die Bundesanwaltschaft der Hauptangeklagten versuchten Mord an Charlotte E. vor. Schon dafür könnte die Angeklagte zu lebenslanger Haft verurteilt werden. Sollte Zschäpe jedoch versucht haben, die Rentnerin zu alarmieren, wäre es zumindest fraglich, dass sie vorsätzlich die Rentnerin töten wollte. Doch als im Januar 2012 Beamte des BKA Charlotte E. befragten, sprachen sie die mögliche Warnung gar nicht an. Und im Prozess  misslangen zwei Versuche, die zunehmend hinfällige Frau zu vernehmen.

Charlotte E., die seit längerem in einem Zwickauer Pflegeheim lebt, war im Dezember 2013 völlig desorientiert, als der Vorsitzende Richter Manfred Götzl sie von München aus per Video einvernehmen wollte. Auch einer kommissarischen Vernehmung durch einen Zwickauer Richter im Mai 2014 im Pflegeheim war Charlotte E. nicht gewachsen.

Im November 2011 hingegen hatte die Rentnerin, trotz des Schocks über den Brand in ihrem Haus und den Verlust der Wohnung, der Polizei klar geantwortet. Charlotte E. sagte, vor dem Brand habe es bei ihr an der Tür geklingelt. Sie habe aber niemanden gesehen. Zschäpes Verteidiger gehen jedoch davon aus, ihre Mandantin habe sogar über die Türsprechanlage die alte Nachbarin aufgefordert, das Haus zu verlassen. Charlotte E., die unter Demenz und anderen Gebrechen leidet, kann dazu nichts mehr sagen.

NSU-Prozess: Verteidiger werfen Bundesanwaltschaft "Beweismittelverlust" vor

Zschäpes Verteidiger werfen der Bundesanwaltschaft und dem Strafsenat einen „Beweismittelverlust“ vor. Angesichts des Alters der Zeugin hätte sich die Bundesanwaltschaft „unverzüglich“ um eine Vernehmung bemühen müssen, bei der die Verteidigung auch hätte fragen können. Dazu wäre ein Termin beim Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs nötig gewesen. Bei der Vernehmung eines Zeugen durch die Polizei hat die Verteidigung eines Beschuldigten kein Recht, dabei zu sein. Doch vor Beginn des NSU-Prozesses im Mai 2013 hatten Zschäpes Anwälte keine Gelegenheit, Charlotte E. zu befragen.

Und die Verteidiger ärgert noch mehr, dass Richter Götzl erst im Dezember 2013 die Vernehmung der Zeugin per Video aus dem Zwickauer Pflegeheim anordnete. Für die Anwälte ist auch unverständlich, dass Götzl zur Befragung von Charlotte E. im Mai 2014 im Heim keinen Richter des Münchner Strafsenats schickte, sondern einen Kollegen des Zwickauer Amtsgerichts um Hilfe bat – der vom NSU-Verfahren wenig wissen konnte.

Zschäpes Verteidiger haben nun beantragt, den ersten Anwalt Zschäpes nach ihrer Flucht sowie einen Zwickauer Oberstaatsanwalt als Zeugen zu laden. Der Anwalt werde aussagen, schon am Tag nach Zschäpes Festnahme bei der Staatsanwaltschaft auf die Vernehmung von Charlotte E. gedrungen zu haben. Der Oberstaatsanwalt soll das bestätigen.

Ob die beiden vom Münchner Strafsenat geladen werden, ist offen. Zschäpes Verteidiger, so ist zu vermuten, halten die von ihnen angeprangerten Versäumnisse im Fall Charlotte E. so oder so für gravierende Gründe, das Urteil im NSU-Prozess in der Revision anzufechten. In den Reihen der Opferanwälte stößt die Empörung der Verteidiger hingegen auf Unverständnis. Selbst wenn Zschäpe vor dem Brand bei Charlotte E. geklingelt hätte, sei das kein Rücktritt von der Tat, sagte Anwalt Alexander Hoffmann. Und leicht spöttisch deutete er an, die Verteidiger könnten sich geschadet haben. So wie sie argumentierten, gingen sie offenbar selbst davon aus, „dass Zschäpe die Brandstifterin war“. Verteidiger Wolfgang Stahl widersprach prompt. Und er beharrte darauf: sollte Zschäpe vor dem Brand bei Charlotte E. geklingelt haben, wäre die Annahme der Bundesanwaltschaft, „dass in Mordabsicht ein Feuer gelegt wurde, ausgeräumt“.      

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