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Die Angeklagte Beate Zschäpe im NSU-Prozess.

© dpa / Peter Kneffel

NSU-Prozess: Opferanwälte wollen 55 Stunden plädieren

Insgesamt 50 Juristen wollen im NSU-Prozess um Beate Zschäpe Plädoyers halten. Das dürfte mindesten vier Wochen dauern. In der Liste sind allerdings noch gar nicht alle Anwälte vertreten.

Von Frank Jansen

Die vielen Opferanwälte im NSU-Prozess werden wahrscheinlich mehrere Wochen für ihre Plädoyers brauchen. Das geht aus einem Schreiben hervor, das der Berliner Nebenklage-Anwalt Sebastian Scharmer am Mittwoch dem Oberlandesgericht München geschickt hat. In dem Schriftsatz sind mit Scharmer selbst insgesamt 50 Juristen aufgelistet, die nacheinander vortragen wollen. Allerdings will nicht jeder ein Einzelplädoyer halten. Mehr als 20 Anwälte haben sich verabredet, in insgesamt vier Gruppen vorzutragen. Scharmer kündigte zudem an, dass die von ihm vertretene Tochter des in Dortmund vom NSU erschossenen Mehmet Kubasik sowie dessen Witwe möglicherweise selbst plädieren werden.

In der Liste steht auch bei jedem Anwalt, wieviel Zeit er vermutlich für seinen Schlussvortrag benötigt. Mit fünf Stunden will der Berliner Jurist Mehmet Daimagüler am längsten sprechen. Er vertritt Angehörige der in Nürnberg von Uwe Böhnhardt und Uwe Mundlos ermordeten Türken Abdurrahim Özüdogru und Ismail Yasar. Die geringste Redezeit, nur zehn Minuten, benötigt der Hannoveraner Anwalt Adnan Menderes Erdal. Sein Mandant ist eines der Opfer des Nagelbombenanschlags, den der NSU in der Kölner Keupstraße verübt hatte. Bei der Explosion im Juni 2004 erlitten mehr als 20 Menschen, die meisten türkischer Herkunft, Verletzungen.

Staatsanwaltschaft setzte ihr Plädoyer fort

In der Summe aller genannten Redezeiten dürften die Plädoyers der 50 Opferanwälte etwa 55 Stunden dauern. Das könnte mindestens vier Wochen werden. Die Liste enthält allerdings nicht alle Juristen, die Hinterbliebene oder überlebende Opfer des NSU-Terrors vertreten. Das Oberlandesgericht spricht von aktuell 60 Anwälten mit insgesamt 95 Mandanten.

Unterdessen setzte am Donnerstag die Bundesanwaltschaft ihr Plädoyer fort. Oberstaatsanwältin Anette Greger ging auf die Morde des NSU, die Sprengstoffanschläge sowie Zschäpes Brandstiftung in Zwickau ein. Mundlos und Böhnhardt hatten von 2000 bis 2007 neun Migranten türkischer und griechischer Herkunft sowie eine Polizistin erschossen. In Köln verübten die Neonazis 2001 und 2004 zwei Sprengstoffanschläge, bei denen ungefähr 25 Menschen verletzt wurden. Ein Sprengstoffanschlag vom Juni 1999, mit einer präparierten Taschenlampe in einem türkischen Lokal in Nürnberg, wurde erst im Prozess bekannt, als der Angeklagte Carsten S. in seinem Geständnis darüber berichtete. Bei der Explosion der Bombe hatte ein Angestellter der Gaststätte Verletzungen erlitten.

Zschäpe sei eine "Meisterin im Verschleiern" gewesen

Greger erwähnte auch kurz diese Tat, obwohl sie für das Urteil keine Bedeutung hat. Bei den anderen Verbrechen nannte die Oberstaatsanwältin ausführlich die Beweismittel, die aus Sicht der Bundesanwaltschaft eindeutig die Täterschaft des NSU belegen. Die Behörde wirft der Hauptangeklagten Beate Zschäpe vor, bei allen Morden und weiteren Verbrechen der Terrorzelle die Mittäterin gewesen zu sein, auch wenn sie selbst am Tatort nicht auftauchte. Zschäpe soll aber die Verbrechen mitgeplant haben. Die Bundesanwaltschaft hält sie auch für überführt, mit Lügengeschichten die Gruppe gegenüber Nachbarn und dem weiteren Umfeld getarnt zu haben.

Zschäpe sei „eine Meisterin im Verschleiern“ gewesen, hatte Greger am Mittwoch betont. Aus Sicht der Bundesanwaltschaft hat Zschäpe zudem mit der Brandstiftung in der Wohnung der Terrorzelle in Zwickau versucht, Beweismittel zu vernichten. Außerdem habe die Angeklagte in Kauf genommen, dass eine Nachbarin und zwei Handwerker, die das Dachgeschoss des Hauses sanierten, hätten sterben können.

Empört reagierten Opferanwälte auf eine Bemerkung der Oberstaatsanwältin zu möglichen Helfern des NSU. Eine Existenz von rechten Hintermännern an den Tatorten, „die einige Rechtsanwälte ihren Mandanten offensichtlich versprochen hatten“, habe sich weder im Prozess noch bei den Beweiserhebungen der NSU-Untersuchungsausschüsse bewahrheitet, sagte Greger am Donnerstag. Scharmer sprach von einer „Frechheit“ und einer „Diffamierung nicht nur von engagierten Nebenklageanwältinnen und –anwälten, sondern vor allem auch der Opfer des NSU-Terrors selbst“.

"Vertuscht und geschreddert“

Mehrere Angehörige von Ermordeten beklagen, im Prozess werde das Unterstützernetzwerk des NSU kaum aufgeklärt. Scharmer warf der Bundesanwaltschaft und den Verfassungsschutzbehörden vor, Hinweise auf Helfer der Terrorzelle an den Tatorten seien „nicht angemessen verfolgt“ worden. Informationen würden nicht herausgegeben, es werde „vertuscht und geschreddert“.

Der Prozess wird kommenden Montag und Dienstag fortgesetzt. Das sind die letzten Verhandlungstage vor der vierwöchigen Sommerpause. Vermutlich wird die Bundesanwaltschaft jetzt noch beginnen, sich mit weiteren Angeklagten auseinanderzusetzen. Ob Greger und ihre beiden Kollegen das Plädoyer auch kommende Woche beenden und die geforderten Strafen für Zschäpe, Ralf Wohlleben, Carsten S., Holger G. und André E. nennen können, ist offen.

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